Szene aus „Amphitryon“ mit Patrycia Ziolkowska und Fridolin Sandmeyer Foto: Birgit Hupfeld

Kaum eine Schauspielerin auf deutschen Bühnen verfügt über solch eine sprachliche Kraft und Verführungsmacht wie die in Polen geborene Patrycia Ziolkowska. Regisseure wie Luk Perceval, Nicolas Stemann und Ulrich Rasche schätzen das, und so erlebt man die Künstlerin häufig in besonders heftigen Theaterexperimenten. Eine Begegnung mit einer Ausnahmekünstlerin.

Frankfurt am Main - Wie sollte sich ein Gott nicht in diese Frau verlieben. Federnder Schritt , biegsamer Körper. Widerspenstige Lockenfrisur. Und diese Stimme. Voll und kräftig, und ein Ton, der die hohe Sprache von Kleist nicht zwanghaft zu Alltagssprache verkleinert, sondern stark und natürlich, wie gerade erdacht klingen lässt. Von Patrycia Ziolkowska bekommt Amphitryon jedes e, jedes n, jedes a, jedes o, wenn sie etwas verwundert fragt: „Beklagst du über meine Kälte dich/So siehst du mich verlegen, wie ich dich befried’gen soll.“ Etwas Warmes, Schmelzendes ist da im Ton, das noch an die Wärme zwischen den Laken erinnert – umso schmerzhafter ist diese Sinnlichkeit für Amphitryon (Nestroy-Preisträger Max Simonischek), da tatsächlich nicht er befriedigt wurde, sondern ein Gott, der Amphitryons Gestalt angenommen und sich den ehelichen Liebesdienst erschlichen hatte.

Einschneidende Begegnung mit Luk Perceval

Nicht nur hier, in Andreas Kriegenburgs Kleist-Inszenierung in Frankfurt zeigt Patricia Ziolkowska keine Scheu, ihre Verführungskraft auszuspielen, oder Furcht vor dem großen Gefühl, das von Blicken, Bewegung, von Sprache vor allem getragen wird. Beim Tee in einem kleinen Frankfurter Café schweigt die Schauspielerin eine Weile, sagt dann: „Jede Sprache hat ihre eigene Musik, ihren eigenen Rhythmus, die polnische und die deutsche sind einander in Struktur und Klang eher fern. In beiden fühle ich mich zu Hause, wobei die deutsche Sprache natürlich eine ungleich größere Dominanz und Lebendigkeit in meinem Leben einnimmt. Die polnische Sprache berührt als Mutter-Sprache tief verwurzelte Emotionen und prägt meine Identität. Mehrsprachigkeit ist ein unbezahlbarer Schatz.“

Vielleicht ist sie deshalb eine herausragende Protagonistin gerade in Schauspielproduktionen, die nur wenig dem traditionell psychologischen Spiel verpflichtet sind – weil ihre klassische, leidenschaftlich sich verausgabende Spielweise einen reizvollen Kontrast bildet zu Inszenierungen, die an Performances grenzen. Einer der ersten, bei dem sie dies zeigen konnte, war der Belgier Luk Perceval. „Eine einschneidende Begegnung“, sagt Patrycia Ziolkowska. „Ein Erweckungserlebnis – seine Arbeitsweise ist fern jeglicher konventioneller Sichtweise.“ Sie sprach für den Molière-Abend vor, eine Koproduktion von Berliner Schaubühne und den Salzburger Festspielen. Und sie habe sich gewundert, als Perceval während des Vorsprechens mit der Kamera um sie herumging, alles aufzeichnete, sie zum Improvisieren animierte. „Die Kamera setzte er auch bei den Proben ein und wir werteten das gemeinsam aus, man lernt viel dabei.“

Liebe, Wunde, Schmerz, Hass

„Perceval lässt einem viel Freiheit, das impliziert eine Autonomie und Eigenverantwortung des Spielers auf der Bühne. Es geht darum die Realität auf der Bühne wahrzunehmen, dem Text zu begegnen, dem Partner, dem Publikum, sich selbst. Aus dem Moment heraus zu agieren. Es geht um Begegnung. Er hat ein Gefühl für Raum und dafür, wie man über Körperlichkeit etwas erzählt. Der Körper ist auch ein Raum im Raum. Dabei begibt man sich manchmal in extreme Erschöpfungszustände – und das setzt dann wieder andere ungeahnte Kräfte frei. Im besten Fall kann man über sich hinaus wachsen. Man lässt ungenaues weg, kommt an den Kern einer Figur. Man bleibt ganz im Jetzt, kann mit allen Sinnen aufeinander reagieren.“

Fünf Monate Probenzeit hatte das Ensemble für den Abend, der mehrere Texte von Molière umfasste. Ein Kraftzehrender Verausgabungsabend mit Thomas Thieme als Molière. Perceval arbeite nicht unbedingt psychologisch, sagt Ziolkowska. Ihn interessiere eher zum Beispiel nach Liebe, Wunde, Schmerz, Hass zu fragen. Ziolkowska: „Ein Kampf um die Liebe und die Frage, was ist Liebe. Was verbindet uns Menschen, außer dem Tod. Dahinter steht die Sehnsucht nach tiefer Erfahrung, nach Begegnung. Er glaubt fest an die Utopie und die Kraft des Ensembles. Menschen in ihrer Verletzbarkeit, ihrem Kampf. ihrem Scheitern, ihrem Witz, ihrer Blödheit ihrem Facettenreichtum zu zeigen.“

„Streit gehört dazu“

Große Themen eben. „Manche kritisierten, die Frau sei nur Opfer in der Inszenierung. Ich sehe das anders. Aus vier Frauenfiguren, die bei Molière durchaus archetypisch sind, haben wir eine durchgängige Figur entwickelt, die sich durch alle vier Stücke erzählte. Manche Rollenklischees haben wir genützt, um sie zu überhöhen – am Ende ist es die Frau, die den Mann hält, Stärke zeigt und ihn überlebt.“ Diese Arbeit, entgegen aller Konventionen, eben keinen Konsens schaffend, polarisierte und spaltete das Publikum sehr. Für mich ist es, zum Beispiel neben „Faust I + II“ von Nicolas Steman, eine meiner wichtigsten Arbeiten und Erfahrungen.“

Wenn sie von der intensiven Probenzeiten spricht, spricht sie auch von Auseinandersetzungen. Angesichts der Debatte über Regie- und Intendantendespoten in Film und Theater sagt sie: „Streit gehört dazu, wenn es Teil eines schöpferischen Prozesses ist. Man darf auch mal ausrasten in dem geschützten Raum, den Proben bedeuten, aber jeder der Beteiligten trägt eine Verantwortung. Verletzungen, eigene und die von anderen, erkennt man sofort – und alle müssen Sorge dafür tragen, dass Respekt und Vertrauen, die Grundvoraussetzungen für alles gewahrt bleiben.“

Pfeifen auf die Konvention

Dies gilt sicher umso mehr für Mammutprojekte wie die von Perceval „Molière“ oder Nicolas Stemanns „Faust“ bei den Salzburger Festspielen. „Faust I“ – gespielt in drei Monologen von Sebastian Rudolph, Philipp Hochmair und Patrycia Ziolkowska. Selbstverständlich spielte sie nicht nur das Gretchen, sondern wie ihre Kollegen auch die anderen Figuren. Ein Langzeitprojekt, beglückend. „Der Text gehörte allen, wir hatten zunächst nur eine leere Bühne, drei Tische.“ Die Figuren aufzusplitten, verschiedene Aspekte der Figur so zu betonen, das entwickelte sich während der Proben. Ein Achtstundentheaterspektaktel, klug, witzig, anrührend, überfordernd. Woher kommt diese Bereitschaft alles zu geben – abgesehen von der Lust aufs Spiel?

Furchtlosigkeit und das Pfeifen auf Konventionen ist etwas, das sie als Kind erlebt hat. Von ihrem Großvater in Polen berichtet sie, der Chirurg war und auch daheim häufig in seiner grünen Berufskleidung umherging, zudem die Enkelin beim blutigen Geschäft zusehen ließ. In den Ferien nahm er sie nicht mit auf den Ponyhof, sondern besichtigte mit ihr historische Gedenkstätten wie Treblinka und das Grab des unbekannten Soldaten in Warschau. „Ich bin dankbar, dass er uns als Kinder ernst nahm.“ Die Eltern kehrten der Heimat den Rücken – kamen erst in Belgien bei Freunden unter, dann im Mehrländergrenzgebiet bei Aachen. In Ziolkowskas Erzählung fällt der Satz: „Sie hatten nichts zu verlieren“. Eine Lockerheit, die sie unbekümmert an der Schauspielschule vorsprechen ließ. „Ich war so unbekümmert und dadurch frei von Druck oder Angst, sozusagen im schönsten Sinne blauäugig“, sagt Ziolkowska und lächelt, schüttelt den Kopf. Sie wurde genommen, „habe das erst einmal gar nicht ernst genug genommen und sicher mit Chuzpe und Leichtsinn die Lehrer und Mitstundenten genervt.“ Und doch spielte sie bereits während der Ausbildung bei Regisseur Leander Haussmann.

Filme mit Fatih Akin

Auch wenn es jetzt anders aussieht, ist Ziolkowska „bin nie einen geraden Weg gegangen“. Sie hat nach dem Studium zunächst drei Jahre frei gearbeitet, an vielen Bühnen in Wien, Bonn, Köln, Berlin gearbeitet, Filme mit Fatih Akin gedreht „Solino“ und „Auf der anderen Seite“. Trotz der guten Kritiken gab es danach wenige Angebote, die sie gereizt hätten. „Sehr bedauerlich“, sagt sie, zuckt die Schultern. Jüngst hat sie einen Polizeiruf mit Jürgen Vogel gedreht und einen Fernsehfilm mit Henry Hübchen. Und kürzlich hat sie einen Kinofilm gedreht – in Polen. „Es ja immer die Frage, soll man in Ländern wie Ungarn oder China spielen oder nicht demoktratisch gesinnten Ländern fernbleiben.“ Ziolkowska entschied, gerade jetzt auch in Polen zu arbeiten. „Ich erlebe die Stimmung als repressiv, depressiv und halte es für fatal, die dortigen Künstler zu isolieren. Ich habe in einem historischen Thriller von Lukasz Barczyk gespielt, der nicht so patriotisch ausfiel wie die staatlichen Geldgeber es sich erhofft hatten – aber das hätte man sich denken können, wenn man sich deutlich vergegenwärtigt hätte, wer der Regisseur ist, ein kontroverser, sehr guter, kluger, vor allem kritischer Autorenfilmer.“

Zola-Marathon

Die Bühnenarbeit fand in den vergangenen Jahren vor allem am Hamburger Thalia Theater statt, wo auch Perceval inszenierte. Ihre vorerst letzte gemeinsame Arbeit war wieder ein Mammutprojekt, eine Zola-Trilogie – jedes Jahr auf der Ruhrtriennale feierte ein Stück Premiere, zuletzt im September 2017 bei kühlem Wetter. Ziolkowska spielt eine leidenschaftlich liebende Frau, Sommerkleid, hohe Schuhe, fiebrige Hitze verströmend bei gefühlten kühlen fünf Grad vor in Decken gehüllten Zuschauern in halb offener Halle. „Ein charismatischer Ort“. Patrycia Ziolkowska schwärmt. „Als wir das später im Thalia Theater im geschlossenen Raum gespielt haben, habe ich die frische Luft vermisst und selbst die Fledermäuse, auch den Umgang mit dem realen Licht und wie es langsam dunkel wurde.“ Die Trilogie begann am Nachmittag und endete gegen 23 Uhr. Aber die Kälte? Ziolkowska lächelt. „Der Produktionsleiter hat uns rührend mit warmen Getränken umsorgt. Das Adrenalin trägt dich durch die Kälte hinweg, und in der Hitze des Gefechts hat man sie auch bald vergessen.“

Neustart in Frankfurt

Und jetzt – Frankfurt? „Ich willl nicht gemütlich werden. Ich war lange in Hamburg und hatte das Gefühl, es ist Zeit für neue Erfahrungen“, sagt Ziolkowska und ihr strahlendes Lächeln erklärt sich rasch. „Zudem plane ich nicht mehr nur für mich alleine.“ Patrycia Ziolkowska ist Mutter geworden. Und da ihrem Lebenspartner und ihr ein Vertrag für Frankfurt angeboten wurde, war klar, dass Frankfurt die vorläufige neue Heimat wird.

„Perser“ bei den Salzburger Festspielen

Nach der Arbeit mit dem überregional viel gefragten Kriegenburg ist auch das nächste Projekt eine wichtige Produktion. Ulrich Rasche, zuletzt sogar in der New York Times für seine Schillerinszenierung der „Räuber“ gefeiert, wird „Die Perser“ auf die Bühne bringen in Frankfurt und bei den Salzburger Festspielen. „Die Räuber mit ihrer strengen Form hatten etwas von einem gewaltigen Sprachkonzert, gepaart mit hoher körperlicher Präsenz und Disziplin in radikaler Dynamik, begleitet von einer durchdringenden autarken musikalischen Komposition und einem sich radikal in Bewegung befindlichen Bühnenbild. Mensch versus Maschine. Ich fand das geglückte Zusammenspiel all dieser Komponeneten faszinierend und hochinteressant und freue mich auf die Arbeit, mich mit einem der Urtexte der Kultur zu befassten. Eine tolle Herausforderung.“ Zur Vorbereitung der „Perser“ liest sie viel, neben dem Text auch Nietzsche, Geburt der Tragödie zum Beispiel- Sie ist eine Schauspielerin, der das Besondere zugetraut wird. „Amphitryon“ mit ihrem verzweifelt hoffnungslosen „Ach“ zum Finale lässt darauf hoffen, dass auch ihre nächste Arbeiten besonders werden.

Info

„Die Perser“ feiern Premiere bei den Salzburger Festspielen am 18. August. Die Premiere am Schauspiel Frankfurt folgt am 28. September.

Weitere Theaterpremieren bei den Salzburger Festspielen: Kleists „Penthesilea“ (Regie: Johan Simons, 29. Juli) , Hamsuns „Hunger“ (Regie: Frank Castorf, 4. August). Grossmans „Kommt ein Pferd in eine Bar“ (Regie: Dusan David Parizek, 8. August).