„Bei soetwas bleibt mir die Luft weg“, sagt Ursula Marx, Beauftragte für Menschen mit Behinderung Foto: Alexandra Kratz

Die Behindertenbeauftragte und Alt-Stadträtin Ursula Marx aus Rohr feiert ihren 70. Geburtstag. Sie liebt ihre Arbeit, selbst wenn sie eigentlich Geurtstag hat. Doch so langsam denkt auch sie ans Aufhören.

Vaihingen-Der Geburtstagskuchen und die Geschenke müssen warten. In Ursula Marx’ Terminkalender steht heute der Fachtag „Barrierefrei gesund?“. Und der dauert von morgens 9 Uhr bis nachmittags 16 Uhr. „Aber das ist genau mein Thema“, sagt die Frau aus Rohr. Es geht um die Frage, wie die gesundheitliche Versorgung für Menschen mit einer geistigen Behinderung vorangebracht werden kann. „Das ist eines der Hauptprobleme“, sagt Marx.

Sie liebt ihren Job, auch wenn sie eigentlich Geburtstag hat

Sie muss es wissen. Marx ist gelernte Krankenschwester und seit zwei Jahren die Beauftragte für Menschen mit Behinderung in Stuttgart. Wer ein solches Ehrenamt inne hat, der kann selbst an seinem 70. Geburtstag nicht einfach frei machen. Für Marx ist das kein Problem. Sie liebt ihren Job. Und große Feiern mag sie sowieso nicht. Schon gar nicht, wenn sie selbst im Mittelpunkt steht. „Ich stelle mich gern ans Rednerpult und spreche als Behindertenbeauftragte, aber alles andere...?“, sagt Marx und verzieht das Gesicht.

Marx erhält für ihr Engagement die Ehrenmünze

Morgen wird es wieder einen dieser Termine geben. Denn die Sozialbürgermeisterin Isabell Fezer verleiht Ursula Marx die Ehrenmünze. Verdient hat die Senioren die Auszeichnung allemal. Von 1994 bis 2006 war Marx Mitglied im Gemeinderat, von 1995 an war sie Fraktionsvorsitzende. Politisch interessiert sei sie schon immer gewesen. „Und ich habe mich immer schon für den Umweltschutz eingesetzt. Denn als Mutter zweier Kinder habe ich mir erhebliche Gedanken darüber gemacht, was auf uns zukommt“, sagt die Alt-Stadträtin.

Sie entschied sich 1990 selbst in die Politik zu gehen

Zu den Grünen kam sie 1990 nach der ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl. Diese sei völlig misslungen gewesen, meint Marx. „Die Grünen haben bewährte Leute laufen lassen und völlig Unbekannte auf ihre Liste gesetzt.“ Das sei der Moment gewesen, in dem sie beschlossen habe, nicht mehr nur schimpfend auf dem Sofa zu sitzen, sondern selbst aktiv zu werden. Es wurde eine steile politische Karriere.

Ihr ging es immer vorangig um die Sache selber

Ursula Marx war eine geschätzte Kommunalpolitikerin, bei den Bürgern und bei ihren Mitstreitern im Gemeinderat. „Ich habe mich immer um ein gepflegtes Miteinander bemüht“, sagt Marx zu diesem Thema. Parteigrenzen kümmerten sie nicht wirklich. „Ich habe mich für die Sache interessiert. Aber freilich überschneidet sich das an der ein oder anderen Stelle mit der grünen Ideologie“, gibt Marx zu.

Eine Aufagbe, die ihr lange Spaß gemacht hat

Als sie 2006 nicht wieder für das Kommunalparlament kandidierte, sei das eine bewusste Entscheidung gewesen. „Ich habe diese Arbeit wirklich unwahrscheinlich gern gemacht“, betont Marx. Aber irgendwann sei sie dann doch der politischen Fensterreden und den Vorentscheidungen, die außerhalb des Gemeinderats gefällt werden, überdrüssig gewesen. „Frau Marx, wir brauchen das nicht mehr zu diskutieren. Wir haben die Mehrheit“, diesen Satz habe sie sich wörtlich anhören müssen, sagt die Altstadträtin.

Marx kritisiert das derzeitige Gremium

„Wenn ich heute auf den Gemeinderat schaue, bin ich froh, dass ich da nicht mehr sitze“, gibt Marx unumwunden zu. Das Gremium sei hin und wieder unzuverlässig geworden, übt die Alt-Stadträtin Kritik. So hätten die Mitglieder fraktionsübergreifend befürwortet, dass ein Behindertenführer erarbeitet wird. Doch am Ende stellten die Stadträte dafür kein Geld im Haushalt zur Verfügung. Das hat Marx geärgert: „Bei so etwas bleibt mir die Luft weg“, sagt die 70-Jährige.

Der Weg zur Inklusion geht sich in vielen kleinen Schritten

In ihrem neuen Amt als Behindertenbeauftragte muss Ursula Marx nicht mehr um Mehrheiten diskutieren. „Das ist ein völlig anderes Arbeiten. Ich gehöre keinem Gremium mehr an, habe eine eigene Stabsstelle und kooperiere eng und gut mit den Ämtern“, sagt Marx. Ihr geht es vor allem um die Inklusion. Diese wolle sie voranbringen. Das sei ein langer Weg der vielen kleinen Schritte. Die meiste Zeit ist Marx bei denjenigen, die sie in ihrer Rolle als Behindertenbeauftragte brauchen, trifft sich mit ihnen auf eine Tasse Kaffee, hört zu, berät und vermittelt. „Ich will denjenigen helfen, die es nicht immer ganz leicht im Leben haben“, sagt Ursula Marx.

Eine Skandinavientour steht noch auf ihrer Liste

Wenn sie irgendwann ihr Ehrenamt niederlege, möchte sie sich an viele erinnern können, die dank ihrer Unterstützung einen neuen Weg gefunden haben. Mit 70 könne man schon mal ans Aufhören denken, fügt die Alt-Stadträtin mit einem Lachen hinzu. Denn sie habe noch einen Traum: Zusammen mit ihrem Mann will die gebürtige Hamburgerin durch Skandinavien touren – mit dem Fahrrad, ohne Elektromotor, das Zelt in der Satteltasche. Das werde noch einmal ein Abenteuer, sagt Marx voller Vorfreude.

Doch heute wird erst einmal gefeiert. Denn am Abend wird es dann doch Geburtstagskuchen und Geschenke im Kreis der Familie geben. „Wir machen zusammen Abendbrot, ganz einfach und unkompliziert“, sagt Marx. Ihre sieben Enkelkinder freuen sich schon seit Wochen darauf.