Vom Brennpunkt in den Bund: Die Neuköllner Bezirksbürgermeisterin Franziska Giffey soll SPD-Ministerin in der neuen Regierung werden.
Berlin - Alle paar Wochen greift Franziska Giffey zu dem Etui, in dem ihre schwere Amtskette liegt. Sie tritt dann vor den Spiegel, legt sich das goldfarbene Zeichen der Macht vorsichtig aufs Kostümrevers und rückt den Schmuck zurecht. Es ist Einbürgerungstag im Multikultibezirk Berlin-Neukölln. Seit 2015 lässt es sich die Bezirksbürgermeisterin nicht nehmen, mit den 1000 Menschen pro Jahr, die hier deutsch werden, zu feiern.
Die Amtskette wird Giffey wohl bald ablegen. Sie soll für die SPD als Ministerin ins Bundeskabinett aufrücken. Noch ist unklar, welches Ressort sie bekleidet. Sicher ist aber schon: das wäre ein rasanter Aufstieg. Die 39-Jährige, die in Frankfurt/Oder geboren ist, hat ihn der Forderung der SPD-Ostlandesverbände nach einer Repräsentantin zu verdanken.
Keine Angst vor deutlichen Worten
Erst vor drei Jahren ist die Politikwissenschaftlerin auf den Bürgermeisterposten in dem Berliner Bezirk gewechselt, damals als Nachfolgerin des bundesweit bekannten integrationspolitischen Hardliners Heinz Buschkowsky. Er hatte Giffey schon als 24-Jährige nach Neukölln geholt, als „Europabeauftragte“, was auf den ersten Blick seltsam klingen mag für einen Stadtbezirk. Aber es erzählt schon etwas über diese Frau. Sie weiß trotz ihres jungen Alters sehr genau, dass Politik heißt, dicke Bretter zu bohren und Details zu kennen. Ihr Job damals: suchen, wo es Fördertöpfe gibt, aus denen der klamme Problembezirk Hilfe erwarten könnte. 2011 wurde Giffey Bildungsstadträtin, und wer sie heute erlebt, weiß, dass sie die mangelnde Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit in ihrem Innersten umtreibt. Wie es in Hartz-IV-Familien aussieht und in Schulen, in denen viele Kinder den Tag ohne Frühstück beginnen, weil sie die einzigen sind, die morgens aufstehen, hat sie sich oft von Nahem angesehen.
Giffey ist eine Politikerin, die genau wie ihr Vorgänger sehr deutliche Worte findet, um die Probleme in ihrem Bezirk anzusprechen: soziale Schieflagen, Integrationsverweigerung, Verwahrlosung, Kriminalität. Sie bekam recht. Regeln sind das, wofür sie in der Einwanderungsgesellschaft eintritt, kein Laisser-faire. So kämpfte die promovierte Verwaltungswissenschaftlerin ruhig, aber beharrlich um ein Urteil gegen eine Rechtsreferendarin, die mit Kopftuch im Publikumsverkehr arbeiten wollte, was aus Sicht Giffeys gegen das Berliner Neutralitätsgesetz verstößt.
Mit heller, freundlicher Stimme sagt sie in aller Deutlichkeit, dass ein Dutzend arabischer Clans in ihrem Bezirk den Frieden bedrohen. Gegen die organisierte Kriminalität zum Beispiel gibt es in Neukölln die ersten Vor-Ort-Staatsanwälte, die Zahl der Razzien und Kontrollen hat zugenommen. Giffey bastelt mitten in dem Bezirk, der so schrill zwischen sozialem Brennpunkt und Hipstertum schillert, an einem kommunalen Null-Toleranz-Modell mit einem Schuss Berliner Liberalität.
Null Toleranz mit Augenmaß
Mancher stößt sich dann an Bildern, die nach Law and Order aussehen – wenn Giffey zum Beispiel wie neulich mit verschränkten Armen zwischen einer Rotte „Müllsheriffs“ posiert. Die Herren in Uniform kommen von einem privaten Sicherheitsdienst, welchen der Bezirk bezahlt, um Sperrmüllmissbrauch zu ahnden. Die Aktion ist typisch Giffey: eine pragmatische Lösung für ein Problem, angesichts dessen andere Bezirksfürsten nur resigniert die Schultern heben und auf die Überlastung von Ordnungsämtern verweisen. Wo andere diskutieren, macht sie einfach. So kommen viele Fotos mit Giffey zustande: von der Einbürgerungsfeier bis zur Schulkloeinweihung, zu der allen Ernstes ein Band durchschnitten wird. Was man auf allen Bildern sehen kann: dieser Frau ist es wichtig, nah dran zu sein an den Aufgaben in ihrem Beritt. Von sich selbst offenbart sie dabei wenig. Ihre äußere Erscheinung zeigt dieselbe Gleichförmigkeit wie ihr Auftreten. Nichts ist da unkontrolliert. Die blonden Haare werden immer sorgsam zur Hochsteckfrisur gefasst, die Bürgermeisterin trägt meist Kostüm, Seidenschal, Pumps – sogar das Lächeln wahrt stets eine bestimmte Form.
Auch dass da jemand an seinem politischen Aufstieg arbeitet, und zwar hart, konnten Beobachter schon lange sehen. Jetzt wechselt Giffey direkt in die Bundespolitik. Wird sie das können? An Erfahrung übers Kommunalpolitische hinaus fehlt es ihr bisher, es gibt auch keine landespolitischen Sporen, die sie sich verdient hätte. Auch wenn Neukölln mit 350 000 Einwohnern so groß ist wie westdeutsche Großstädte, so handelt es sich doch nur um einen Berliner Bezirk, in der zweistufigen Verwaltung werden viele Entscheidungen hier gar nicht getroffen. In ihrer eigenen Partei im Berliner Landesverband hat sie keine große Machtbasis. Auch die spezifischen politischen Herausforderungen, vor denen die strukturell schwache SPD im Osten steht, haben für Giffey bisher keine Rolle gespielt. Und gerade der Ortsname „Neukölln“, der in vielen Debatten der jüngeren Zeit um Einwanderung gerade im Osten immer als Synonym für das Horrorszenario einer herbeifantasierten „Umvolkung“ gilt, dürfte für die SPD keine Hilfe dabei sein, Wählervertrauen zurückzugewinnen.