Studierte Philosophie, bevor sie Schauspielerin wurde: die talentierte Aenne Schwarz. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Die in der Nähe von Nürtingen aufgewachsene Schauspielerin Aenne Schwarz ist am Burgtheater Wien engagiert und beeindruckt jetzt auch im Kinofilm „Alles ist gut“. Bei einem Besuch in Stuttgart erzählt die 35-Jährige, was ihr am „Tatort“ nicht gefällt und was einen guten Film ausmacht.

Stuttgart - Von Ferne wirkt sie wie die „Frau vom Meer“ aus Henrik Ibsens Drama, dunkel gewandet, ruhelos, Schatten suchend. Bei einem kurzen Besuch in Stuttgart verwandelt Aenne Schwarz den Platz vor dem Opernhaus in eine Bühne. Noch lange könnte man ihr beim Umhergehen zuschauen, doch dann kommt der Fotograf, ein Winken und freundliches Hallo.

Ihr Gesicht wirkt alterslos, etwas tragisch Umwehtes umgibt Aenne Schwarz. In Antú Romero Nunes’ „Räuber“-Inszenierung, die 2013 im Stuttgarter Schauspielhaus zu sehen war, bildete Schwarz einen abgründigen Kontrapunkt zwischen den extrovertiert verspielten Auftritten ihrer Kollegen Michael Klammer und Paul Schröder.

Vom Naturtheater Grötzingen zum Burgtheater Wien

Es ist ihr aber nicht daran gelegen allzu gesetzt zu wirken. Sie macht eine glaubhaft fröhliche Miene beim Posieren für den Fotografen; sie dürfte wissen, dass die Kamera ihr Freund ist. Seit Jahren, sagt sie später, sei sie mit Jim Rakete befreundet, lasse sich gern von ihm fotografieren, am liebsten in Kostümen ihrer Rollen. Die üblichen Agenturbilder, Schauspieler in legerer Alltagskleidung, das interessiert sie nicht so. Die damit implizierte naive Ansage „Sei doch einfach mal du selbst“ . . . Aenne Schwarz schnaubt: „Wer oder was soll das denn sein?“ Authentizitätsbeteuerungen hält sie für problematisch, man merkt ihr die jahrelange Lektüre zeitgenössischer Philosophie an.

Denn zum Theater kam Schwarz, die zurzeit in Eva Trobischs Film „Alles ist gut“ im Kino zu sehen ist und auf Festivals Preise einsammelt, über Umwege. Als Teenager hatte sie im Ensemble des Naturtheaters Grötzingen in Aichtal gespielt. „Schule war nicht meins, und den ganzen Sommer Theater zu spielen, auf dem Dach nachts zu trinken, tags zu proben und zu spielen“, das schon eher. Das sei es auch, sagt sie, auf die Frage, was sie von Aichtal nach Wien zum Burgtheater mitgenommen habe. Dass Theater eine Art Familie sein könne, dass es dort ums Gemeinsame gehe: „Nur wenn jeder auf und hinter der Bühne bei der Sache ist, kann es gelingen“.

„Ein pietistisches Nest“

Nach der Schule wollte sie aber erst einmal nur eins: weg. „Es gab einen starken Moment der Abstoßung.“ Inzwischen wisse sie die schwäbische Mentalität wieder zu schätzen. Das Stuttgarter Publikum, sagt sie auf dem Weg vom Opernhaus zum Café, habe sie während der „Räuber“-Vorstellungen auf gute Art als uncool und sehr herzlich kennengelernt. Als Teenager aber habe sie, die in der Nähe von Nürtingen aufgewachsen ist, eine Enge gespürt. Um es klar zu sagen: „Es war ein pietistisches Nest.“ Zu viel Ernst, Pflichtbewusstsein, Freudlosigkeit für die Tochter von gerne Feste feiernden Eltern aus dem katholischen Oberschwaben.

Trotz der Theatererfahrungen in den Ferien wollte sie sich nicht an einer Schauspielschule bewerben. „Ich war nicht so gern unter Menschen, war unsicher und habe mir das nicht zugetraut. Ich dachte, ich bleibe lieber im Hintergrund, habe Bachmann und Kafka verschlungen, später an der Uni Lacan, Jelinek, Foucault.“ Stattdessen studierte sie Philosophie, Germanistik und Religionswissenschaft. Später, als sie nebenher mit Freunden Filme drehte, eine Art Erleuchtung: „Du bist verrückt, wenn du deinen Traum nicht verfolgst.“

Sie startete gleich auf höchstem Niveau. Ausbildung an der renommierten Schauspielschule Ernst Busch in Berlin, Angebote nach dem Abschluss in Hamburg, Wien, Berlin. Seit einigen Jahren ist sie am Burgtheater engagiert, aber damals, direkt nach der Ausbildung, entschied sie sich für Armin Petras’ Maxim-Gorki-Theater in Berlin und gegen das Wiener Burgtheater, weil sie dort eine schon zugesagte Spielverpflichtung für eine freie Produktion hätte abblasen sollen. Was man sich angesichts ihrer langjährigen Arbeitsbeziehungen zu Regisseuren wie Jan Bosse, Antú Romero Nunes und Andreas Kriegenburg gedacht hat, sagt sie selbst: „Ich bin treu“, kurzes Schweigen. „Man findet sich nicht ohne Grund. Es ist gut, wenn man sich gefunden hat. Man darf Fehler machen, muss sich nicht voreinander beweisen und kann sich zusammen auf Wichtigeres stürzen.“

Eindrucksvolles Spiel in „Alles ist gut“

Wobei – kürzlich hat sie bei der Arbeit zu „Hotel Strindberg“ in Wien einen neuen Autor und Regisseur gefunden, Simon Stone. „Er bindet die Schauspieler mit ein, lange probt man nicht, liest und redet miteinander, verbringt Zeit und gibt sich gegenseitig viel. Und wenn man am nächsten Tag etwas von sich im Text findet, von dem man nicht wusste, ob der Regisseur und Autor es überhaupt mitbekommen hat, dann ist das schön . . . die Aufmerksamkeit, die da ist.“

Den anderen wahrnehmen, einander vertrauen – dass genau das oft schwer ist, auch das zeigt der Film „Alles ist gut“, in dem Aenne Schwarz zurzeit auf der Leinwand zu sehen ist. „Was ich an dem Film mag, ist, dass er Leerstellen zulässt, zerrissene Figuren“, sagt Schwarz. Janne, so heißt die junge Frau in dem Film, nimmt sich nach einer Vergewaltigung durch einen Bekannten (gespielt von Hans Löw) vor, so zu tun, als sei nichts passiert. „Janne ist eine Frau, die beschließt: Ich möchte wirklich meine Ruhe. Zugleich ist da unbewusst oder bewusst sicher das Bedürfnis, ihren Vergewaltiger zu bestrafen. Ihr bleibt die moralische Überlegenheit.“ Sie erzählt niemandem davon, auch Janne enttäuscht, verletzt Menschen. Lakonisch ausgedrückt: „Es ist auch eine Geschichte über schlechtes Timing.“

Metoo-Debatten auch am Theater

Gut ist das Timing für den Filmstart, obwohl der natürlich deutlich vor der Metoo-Debatte gedreht wurde. Man täte ihm darum unrecht, bezeichnete man ihn als Film zum Thema. Aenne Schwarz erachtet es gleichwohl als wichtig: „Es ist gut, dass über Macht und Missbrauch mehr gesprochen wird, auch am Theater natürlich“, sagt sie. „Oft ist die Tabuisierung das größte Problem. Man muss die Grausamkeit des Menschen konstatieren dürfen, der Mensch ist ultrabrutal und pervers. Viel findet im Verborgenen statt. Das Thema ist wichtig. Ich wünschte mir zuweilen nur mehr Differenziertheit und Dissens.“

Ein Grund auch, weshalb Schwarz den Kopf schüttelt auf die Frage, ob sie ein „Tatort“-Angebot annehmen würde. „Es ist erstaunlich, wie viele Schauspieler Kommissare spielen und dass Menschen so gern Fast-Food-Morde sehen, schnell zubereitet und konsumierbar. Wenn ein Film zeigt, wie brutal und ‚unbequem‘ so ein Mord, so ein Tod tatsächlich sein kann, folgt hingegen oft Kritik und Zensur.“

Wer die Schauspielerin im Theater sehen will, muss rasch nach Wien fahren, noch steht sie dort auf der Bühne. Sie spielt zurzeit „Hotel Strindberg“ an der Seite von Caroline Peters und Martin Wuttke und „The Who and the What“ mit Peter Simonischek, „eine Theaterarbeit mit Jan Bosse ist ausgemacht“. Doch sie will das Ensemble verlassen und frei arbeiten.

Wo es Aenne Schwarz hinzieht? Es wird sich zeigen. Auf den viel gelobten Film „Alles ist gut“ dürften interessante Rollenangebote folgen. So ist jedenfalls zu hoffen, für sie und für das Publikum.