Wirkt ruhig und bedächtig und ist engagiert: Dierk-Christian Vogt Foto: factum/Granville

Er kommt aus Kiel, ist Kardiologe und Sportarzt – der 55-jährige Dierk-Christian Vogt ist das Gesicht der Atomschutt-Gegner im Kreis Ludwigsburg. Ein Besuch bei dem bedächtigen Widerständler.

Schwieberdingen - Wer Dierk-Christian Vogt in seiner Arztpraxis beim Ludwigsburger Bahnhof besucht, kommt nicht auf die Idee, dass hier ein Widerständler gegen die Einlagerungvon schwach strahlendem Atomschutt vom Abbau des Kernkraftwerks Neckarwestheim praktiziert. Die Einrichtung der Praxis ist solide, aber bescheiden. Der 55-Jährige stammt aus Kiel und hat die norddeutsch-trockene Ausdrucksweise nach Schwaben mitgebracht. Er spricht leise und bedächtig, will sachlich bleiben in einer emotionalen Debatte, in der es um Ängste, radioaktive Strahlung und Heimatgefühl geht.

Schon zum Studium hatte es ihn tief in den Südwesten verschlagen: In Freiburg hat er studiert, danach am Bietigheimer Krankenhaus in der Internistischen Abteilung gearbeitet. Im Land geblieben ist er wegen seiner Frau, einer schwäbischen Pfarrerin. Früher war sie in einer Gemeinde, jetzt ist sie auf Landesebene für Inklusion zuständig. „Als Pfarrerin hat sie immer das letzte Wort“, sagt Vogt und schmunzelt in der ihm eigenen Art: Ein verschmitztes Lächeln folgt einer kurzen Pause, als wollte er sich versichern, dass der Gesprächspartner den Scherz auch versteht.

Ein Arzt engagiert sich gegen Atommüll

Wie kommt ein so in sich ruhender Mensch wie Dierk-Christian Vogt dazu, eine Initiative gegen Deponierung von Atomschutt zu gründen, sich bei den Internationalen Ärzten für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW) zu engagieren und sich mit dem grünen Umweltminister Franz Untersteller anzulegen?

Vogt ist 1998 in die Ludwigsburger Praxis in der Leonberger Straße eingestiegen, die sein Kollege 1983 gegründet hatte. Mit seiner Frau und drei Kindern wohnt er in Schwieberdingen – und da beginnt das besondere Interesse von Dierk-Christian Vogt. Denn in der beschaulichen 11 000-Einwohner-Gemeinde im oberen Strohgäu liegt im Froschgraben eine der Kreisdeponien, auf der Bauschutt gelagert wird. Schon 2012 hat er sich damit beschäftigt – und kam mit einer Gruppe von Mitstreitern zu der Überzeugung, dass eine solche Deponie nicht in ein dicht besiedeltes Gebiet mitten im Ballungsraum passt.

„Damals hieß es, man solle wegen Schwelbränden Fenster und Türen geschlossen halten“, erinnert sich Vogt. Man organisierte die Kritik dagegen – und schloss sich zu einer losen Gruppe von inzwischen gut 50 Mitstreitern zusammen. Zunächst ging es vor allem um Schwieberdingen. Die Gruppe deckte 2016 per Zufall auf, dass asbestverseuchter Bauschuttauf der Deponie gelagert wurde. Ein Skandal, der zum Streit zwischen dem Landrat Rainer Haas und seinem für den Abfallbetrieb AVL zuständigen Ersten Landesbeamten Utz Remlinger – und letztlich zu dessen Weggang geführt hat.

Widerstand gegen Atomschutt aus Neckarwestheim

Gleichwohl war das eigentlich ein Nebenthema. Denn seit 2015 beschäftigt das Problem Atomschutt die Gruppe um Dierk-Christian Vogt. Genau genommen handelt es sich um niedrig strahlenden Abfall, sogenanntes freigemessenes Material. Zusammen mit Monika Leder und Erwin Wild hat er eine Initiative gegründet. „Es war eine große Sorge vorhanden“, sagt Dierk-Christian Vogt mit dem ihm eigenen Understatement, „als Mediziner beschäftige ich mich damit, wie sich die Risiken darstellen.“ Er kam wie seine Mitstreiter zum Schluss, dass eine Bauschutt-Deponie wie in Schwieberdingen nicht der richtige Ort für Atomschutt sei.

Die Gruppe wuchs, organisierte Proteste, mobilisierte die Öffentlichkeit. Vogt und seine Mitstreiter trugen die Diskussion in die Landesärztekammerund gerieten mit dem Umweltminister Franz Untersteller aneinander. „Von den Grünen im Land bin ich enttäuscht“, sagt Vogt, der ihnen durchaus nahesteht. „In Schleswig-Holstein gab es Runde Tische. Hier wurden wir nur informiert und nicht beteiligt.“ So streitet er mit dem Landrat Rainer Haas, der keinen gesetzlichen Spielraum sieht, den Atomschutt abzulehnen, wie es sein Kollege Achim Brötel im Neckar-Odenwaldkreis tun möchte.

Haas hat Vogt immer wieder vorgehalten, die natürliche Strahlung sei viel höher als die des freigemessenen Schutts. Ja, sagt Vogt, und führt ein Argument dagegen hinzu: „Deswegen sterben jedes Jahr 11 000 Menschen an Krebs. Noch mehr Strahlung führt nicht zu weniger Toten.“ Doch verfolgen Vogt und seine inzwischen bundesweit vernetzte Initiative Interessengemeinschaft Deponien Schwieberdingen und Horrheim nicht eine Art Sankt-Florians-Prinzip? Atomschutt nur nicht vor meiner Haustür? Er wendet ein: „Auch andere Deponien sind nicht geeignet.“ Sinnvoller sei es, den Schutt so lange bei den abgebrochenen Atomkraftwerken zu lagern, bis ein Endlager gefunden sei.

Dem Landrat zollt Vogt Respekt

Doch es kommt anders. Der Kreistag hat im vergangenen Juli trotz Demonstrationen der Gegnerkeinen ablehnenden Beschluss gefasst– jede Woche könnten nun die ersten Lastwagen mit Schutt aus Neckarwestheim anrollen. Eine Niederlage für Vogt und seine Mitstreiter – und doch zollt er dem Landrat Respekt: „Er hat umfangreiche Nachsorge zugesagt, mehr als gesetzlich nötig.“ Ist das Abbruchmaterial abgelagert, wird Strahlung gemessen und sichergestellt, dass alles verpackt bleibt.

„Haas hat sich in die richtige Richtung bewegt“, sagt Dierk-Christian Vogt. Eigentlich könnten sie sich die Hand geben, der Kreispolitiker und der protestierende Arzt. Doch der Konflikt ist nur befriedet, es bleiben die Differenzen. Vogt spricht von „Radionukliden mit 4,3 Milliarden Jahren Halbwertszeit“, die nach Schwieberdingen kommen, und der Landrat sieht sich von den Gegnern zum Rechtsbruch aufgefordert. Dierk-Christian Vogt will die Diskussion weiter vorantreiben, in der Ärztekammer und in der Öffentlichkeit. Er ist sich sicher: „Wir können mit öffentlichem Widerstand die Politik verändern.“