Edelgard Grieger lebt ihre künstlerische Kreativität jetzt im Ruhestand geradzu stürmisch aus. Foto: Martin Bernklau

Porträt der Woche: Die langjährige Kunsterzieherin Edelgard Grieger stellt ihre Arbeiten vor. Im Rahmen der Sillenbucher „Kultur bei uns“-Atelierbesuche lud sie die Gäste in die Räume einer Grundschule ein.

Heumaden - Fürs Malen war keine Zeit, als sie noch mit voller Kraft im Schuldienst stand. Denn Edelgard Grieger war eine engagierte Pädagogin, gab „immer 150 Prozent“, bis zur Erschöpfung. Jetzt aber – im tätigen Ruhestand – lebt die Heumadenerin aus Berlin ihre ganze künstlerische Kreativität fast schon stürmisch aus, vorwiegend mit Materialbildern und den „schnellen“ Acrylfarben. Das Reihenhaus an der Kerbelstraße wäre vielleicht etwas eng geworden. Und so lud sie am Sonntag im Rahmen der Sillenbucher „Kultur bei uns“-Atelierbesuche die Gäste zu den Bildern „Abstrakte Landschaftsmalerei“ kurzerhand in die Räume der nahegelegenen Grundschule ein.

Entscheidung gegen den Realismus

Edelgard Grieger schöpft „aus der Fantasie, aus dem Material“. Der Vulkan oder das Kliff, die auf ihren Arbeiten sichtbar werden, sind keine Fujiyamas oder Dover Cliffs, keine Abbilder realer Berge, Küsten, Wälder. Und doch sind sie wirklich. Sie malt nichts ab und hat sich bewusst gegen den Realismus entschieden, den sie lieber der Fotografie überlässt. „Schon als Kind war ich dem Haptischen verhaftet, dem Begreifbaren“, sagt sie. Im Garten steht die eigenhändig geschaffene Kopie einer bunten „Nana“-Plastik von Niki de St.Phalle, der modernen Großmeisterin der befreiten Phantasie und ihrer Gegenwelten. Dass Edelgard Grieger zur Stuttgarterin wurde, im Herzen aber doch Berlinerin blieb, ist ein Beispiel für den Zugriff der Zeitgeschichte in menschliche Schicksale. Sie war in eine gutbürgerliche Professorenfamilie am Zehlendorfer Schlachtensee geboren worden. Der Vater blieb lang in Gefangenschaft. Vielleicht hat die aus allen Kräften ihres kleinen Leibes schreiende Edelgard ihre Mutter im Kriegsasyl von Beelitz-Heilstätten damals vor der Vergewaltigung durch marodierende russische Soldaten bewahrt.

Beeindruckende Lehr-Laufbahn

Eine beeindruckende Lehr-Laufbahn

An der Pädagogischen Hochschule in Berlin studierte Edelgard Grieger Kunsterziehung und Germanistik. Nach dem Examen fuhr sie mit dem Vater nach Kärnten in die Ferien. Dort erfuhren sie am 13. August 1961 im Radio vom Mauerbau, und der Vater drängte sie, sich noch gleich auf der Rückreise in Stuttgart fürs Lehramt zu bewerben. Wegen des besonderen Rufs der Berliner Ausbildung nahm man sie dort auf der Stelle. Dass Edelgard Grieger eine beeindruckende Lehr-Laufbahn machte und bis heute blieb, hat sie nicht bereut. Aber immer noch zieht es sie nach Berlin, nicht zuletzt der rüstig auf die 100 Lebensjahre zugehenden Mutter wegen. Die „fanatische Theatergängerin“ hat sich – bis auf wenige fantastische Stuttgarter Phasen – oft nach den Berliner Bühnen gesehnt und nach der Kreativität dieser Stadt, die unablässig und stetig ihr Gesicht verändert.

An der Schloss-Realschule in Stuttgart Mitte hatte Edelgard Grieger begonnen, nach der Baby-Pause für Sohn und Tochter, nach gewonnenen Wettbewerben mit ihren Schülern und Mentoren-Aufgaben für die Referendars-Ausbildung, verbrachte sie ihre letzten 20 Berufsjahre an der Birken-Realschule Sillenbuch und hat auch dort versucht, „Generationen von Schülern die moderne Kunst nahezubringen“. Die durften etwa plattgefahrene Cola-Dosen zu geometrischen Bildformen im Vasarely-Stil schichten.

Bei aller Kenntnis der traditionellen Kunstgeschichte und der Techniken lag ihr das Moderne immer am Herzen. Deshalb verwertet sie gefundenes Material aus der Natur, von Verpackung, Druck und Technik, schichtet Stoffe, Seidenpapier, Sand und vielerlei andere Texturen spontan. So werden Bilder zu Collagen und zu Reliefs. Die darüber schnell trocknende Acrylfarbe behandelt sie auch mit dem Spachtel. Davon konnten sich die Gäste beim „Blick hinter die Kulissen“ gestern ein umfassendes Bild und einen Begriff machen.