Porträt der Woche: Die doppelte Staatsbürgerschaft ist ein Spezialthema des 16-jährigen Baran Kücük, der schon von Kanzlerkandidat Peer Steinbrück offiziell begrüßt wurde.
Stuttgart-Plieningen - Er muss sich nicht in Deutschland integrieren. „Integrieren müsste ich mich, wenn überhaupt, in der Türkei“, sagt Baran Kücük. Dass er genauso gut Deutsch spricht wie seine Schulkameraden, ist für ihn nicht der Rede wert. „Darauf bin ich nicht stolz“, sagt er. Warum auch? „Ich sehe mich als Deutscher und nicht als Türke.“ Kurz vorher hat seine Mutter Revani aufgetischt, eine türkische Spezialität mit Grieß und Zucker. Baran Kücük, 16 Jahre alt, ist im Herzen ein Deutscher, aber seine Eltern – und sein Pass – sind türkisch.
Es ist nur eine Frage der Zeit, dass der Junge aus dem Steckfeld die deutsche Staatsbürgerschaft beantragen wird. Wenn einer wie Baran Kücük sagt, dass er Deutscher ist und dass auch auf dem Papier werden will, heißt das noch lange nicht, dass er die Nationalität seiner Eltern abstreifen will wie ein durchgeschwitztes Hemd. Im Gegenteil: „Ich möchte mich nicht entscheiden müssen“, sagt der 16-Jährige. Die Forderung nach einer doppelten Staatsbürgerschaft ist mittlerweile sein Spezialthema.
„Er war schon immer so“
Während Baran Kücük erklärt, warum es falsch ist, dass sich junge Leute wie er für eine Staatsbürgerschaft entscheiden müssen, fuchtelt er mit den Händen. Seine ältere Schwester Berfin sitzt links neben ihm, schaut ihn von der Seite an und kichert. Sie macht sich nicht lustig über ihren kleinen Bruder; aus ihrem Gesicht spricht viel eher Bewunderung. Wie ein Erwachsener im Jungenkörper kommt ihr Baran vor, sagt sie. „Aber er war schon immer so.“ Er lächelt verlegen. Ungefähr so, wie wenn die Sprache auf Peer Steinbrück kommt und den Sonderparteitag der SPD im April.
Der Kanzlerkandidat hat den Schüler offiziell begrüßt und ihm vier Minuten seiner Redezeit gewidmet. Eben wegen Baran Kücüks Kopfzerbrechen über die Staatsbürgerschaft. Der Junge war Steinbrück offenbar aufgefallen, als er Anfang März beim SPD-Bürgerkonvent mitgemacht hatte. Damals durften Bürger – jenseits vom Parteibuch – Vorschläge machen, was ins SPD-Wahlprogramm geschrieben werden soll.
Nach den Ferien geht er ans Wirtschaftsgymnasium West
Beim Sonderparteitag hätte Baran Kücük übrigens sogar selbst eine Rede halten dürfen. Aber er hat sich dagegen entschieden, wegen der Schule. Er hat sich zu der Zeit auf seine Abschlussprüfung an der Robert-Koch-Realschule in Vaihingen vorbereitet. „Mir ist Schule sehr wichtig“, sagt er. Wenn es sein muss sogar wichtiger als eine Rede vor den SPD-Granden. „Wissen ist Macht“, sagt er.
Den Realschulabschluss hat Baran Kücük inzwischen fast hinter sich. Der schriftliche Teil ist bestanden, nach den Sommerferien geht er ans Wirtschaftsgymnasium West, denn er will unbedingt studieren. Vielleicht Politikwissenschaft, vielleicht Volkswirtschaftslehre, vielleicht Geschichte, das ist noch nicht raus. Welche Fächer auch immer nachher auf seinem Uni-Zeugnis stehen werden, Baran Kücük würde auf jeden Fall gern Politiker werden. Für die SPD, der er seit Kurzem angehört.
„Das ist ein Stück Kultur“
Dass gerade dieses Parteibuch auf seinem Schreibtisch liegt, hat nicht nur mit Peer Steinbrück zu tun, sondern vor allem mit Willy Brandt. Von dem spricht der Junge mit versonnenem Blick. An seinem Kleiderschrank klebt ein Foto von Willy Brandt im Siebengebirge. „Mein Lieblingsbild“, sagt Baran Kücük und lächelt. Sein Großvater schwärme heute noch von Brandt. Er war der erste in der Familie Kücük, der nach Deutschland kam. Seinen Ruhestand verlebt er nun in der Türkei.
Wenn sich Baran Kücük mal nicht um die Schule kümmert und die Integration Integration sein lässt, dann ist er vielleicht mit den Plieninger Ringern auf der Matte, oder er spielt Klarinette. Mit dem Instrument hat er in der Realschule angefangen. Da die bald Geschichte ist, wird er sich einen Lehrer suchen. Aufhören kommt nicht infrage. „Das ist ein Stück Kultur“, sagt er. „Und klassische Musik ist gut für die Konzentration, hab ich mal gelesen.“ Seine Schwester Berfin kichert wieder neben ihm. Ihr kleiner Bruder. Bei der Verabschiedung des Gastes sagt er: „Übrigens, Sie dürfen mich gern duzen.“ Er ist ja erst 16.