Finanzminister Danyal Bayaz weist die Vorwürfe zurück. Foto: dpa/Marijan Murat

Baden-Württemberger können den Verdacht auf Steuerhinterziehung nun online melden. Finanzminister Danyal Bayaz tritt Kritik daran entgegen. Es gehe nicht um Mutmaßungen wegen der Putzfrau des Nachbarn.

Stuttgart - Mitten im Bundestagswahlkampf ist die Aufregung um das neue Hinweisportal zur Steuerhinterziehung des baden-württembergischen Finanzministeriums groß. Von Steuerpranger, Denunziantentum und Blockwartmentalität ist die Rede. Doch anonyme Hinweise waren auch bisher möglich, betont Finanzminister Danyal Bayaz. Per Brief oder Telefon wurden demnach im Südwesten bisher verdächtige Beobachtungen gemeldet – so, wie es in Bundesländern wie etwa Berlin oder Niedersachsen, auch geregelt sei. „Im Jahr 2021 sollte das aber auch online gehen, deshalb das System“, so Bayaz.

Nur begründete Hinweise werden verfolgt

Dabei gehe es weder um die Putzfrau des Nachbarn noch um willkürliche Verdächtigungen. „Anzeigen müssen selbstverständlich gut begründet sein, sonst werden sie von der Steuerfahndung erst gar nicht bearbeitet. Ein einfacher Hinweis genügt ausdrücklich nicht“, betont der Finanzminister. „Niemand muss befürchten, dass künftig die Steuerfahndung vor der Tür seht, nur weil der Nachbar ihn angeschwärzt hat.“ Außerdem gehe es um „relevante Fälle von Steuerbetrug“.

Begründeten Anzeigen gehe die Steuerfahndung nach, dazu sei sie gesetzlich verpflichtet. In Baden-Württemberg haben die Fahnder dem Ministerium zufolge im Jahr 2020 rund 250 Millionen Euro an Mehrsteuern durch Steuerhinterziehung entdeckt, bundesweit waren es 3,2 Milliarden Euro. „Für Steuerhinterziehung darf es null Toleranz geben“, sagte Bayaz. 2020 gingen beim Finanzministerium im Südwesten 1619 anonyme Hinweise ein. Strafrechtlich verwertet wurden knapp sechs Prozent davon. Ein Großteil der anonymen Anzeigen habe somit keinen Anfangsverdacht begründet, erklärte ein Sprecher.

Wirtschaftsministerin warnt vor Missbrauch

Eine Sprecherin von CDU-Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut bekräftigt die Bedeutung der Steuerehrlichkeit. Sie sei „ein hohes Gut und natürlich auch im Interesse eines funktionierenden Wettbewerbs“. Deshalb unterstütze das Wirtschaftsministerium grundsätzlich geeignete Instrumente, um Steuerhinterziehung zu bekämpfen. Man gehe davon aus, dass das Finanzministerium das Für und Wider des neuen Portals abgewogen habe und Änderungen vornehmen werde, wenn sich herausstellen sollte, dass die Nachteile überwiegen. „Es darf nicht sein, dass dieses Portal missbraucht wird, um rechtschaffene Unternehmen zu denunzieren“, so die Sprecherin. Tobias Wald, der finanzpolitische Sprecher der CDU-Fraktion, hätte es „begrüßt, wenn der Finanzminister zumindest die Mitglieder des Ausschusses für Finanzen vorab informiert hätte“.

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Der Rechtsexperte der Landtags-FDP, Nico Weinmann, befürchtet: „Eine anonyme Meldeplattform, bei der jeder jeden mit wenigen Mausklicks einer Straftat bezichtigen kann, ohne für sich Konsequenzen befürchten zu müssen, öffnet Denunzianten Tür und Tor.“ Der AfD-Fraktionschef Bernd Gögel warnt, „staatlich gefördertes Denunziantentum gefährdet den Zusammenhalt“.

Transparency sieht nur wenig Denunziationen

Die Organisation Transparency International, die gegen Korruption kämpft, verweist auf diverse Studien, nach denen kaum absichtliche Falschmeldungen vorkämen, auch nicht bei anonymen Hinweismöglichkeiten.

Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi argumentiert, wenn das Portal zu mehr Anzeigen führe, müsse das Land mehr Personal zur Bearbeitung dieser Anzeigen bereit stellen. Helfen würden laut Verdi-Landesleiter Martin Gross zusätzliche Betriebsprüfer.

SPD rechnet nicht mit mehr Anzeigen

Gelassen sieht die Landes-SPD den Aufruhr. Finanzexperte Martin Rivoir findet, „alles was sich jetzt ändert, ist ein zusätzliches Portal, und das ist eigentlich nur eine konsequente technische Weiterentwicklung.“ Rivoir kündigte für die SPD eine parlamentarische Evaluation nach einem Jahr an. Man rechne aber nicht mit einem signifikanten Anstieg der Anzeigen – das sei auch nicht eingetreten, als die neue Meldemöglichkeit per E-Mail eingeführt worden sei.

Rivoir vermutet vielmehr: „Den größten Anlass zur Empörung bietet wahrscheinlich das Sommerloch.“ Wie bei der CDU kommt jedoch auch bei der SPD von Bundespolitikern im Wahlkampf deutlich schärfere Kritik. So monierte der Heidelberger SPD-Bundestagsabgeordnete Lothar Binding, das Portal befördere „Misstrauen, Missgunst, auch Unterstellung“. Die SPD lehne ein anonymes Hinweisportal bundesweit ab.