Daran wollen sie anknüpfen: Porsches Entwicklungs-Vorstand Michael Steiner (links) und Motorsportchef Fritz Enzinger beim Prototypen-Rennen 2017 in Le Mans. Foto: Porsche

Porsche kehrt mit der neuen Langstrecken-Königsklasse nach Le Mans zurück. Der LMDh-Prototyp, der dafür entwickelt wird, soll auch in den wichtigsten nordamerikanischen Rennen starten.

Stuttgart - Porsche geht von 2023 an in der LMDh, der neuen Topklasse der FIA-Langstrecken-Weltmeisterschaft, wieder mit einem Prototypen an den Start. In diesem Interview sagen Entwicklungs-Vorstand Michael Steiner und Motorsportchef Fritz Enzinger, welche Vorteile die neue Klasse hat – und warum sie so zuversichtlich sind.

Herr Enzinger, Porsche steigt wieder in eine der höchsten Le-Mans-Kategorien ein. Das wird ab 2023 die neu geschaffene LMDh-Klasse mit Hybrid-Prototypen sein. Gibt es ein schöneres Weihnachtsgeschenk für den Porsche-Motorsportchef?

Enzinger: Ich freue mich sehr darüber. Seit ungefähr 20 Jahren warten wir darauf, dass es endlich ein Auto gibt, mit dem man bei den weltweit wichtigsten Langstreckenmeisterschaften den Gesamtsieg holen kann. Das ist jetzt passiert.

Sie fahren dann auch in den USA mit?

Enzinger: Ja. Porsche hat die Einführung der neuen Hybrid-Prototypen-Klasse schon bei der gemeinsamen Verkündung durch die Veranstalter ACO/WEC und IMSA ausdrücklich begrüßt. Es ist ein Reglement für Hybridrennwagen, mit denen man sowohl in der nordamerikanischen IMSA-Serie als auch in der Langstrecken-Weltmeisterschaft gesamtsiegfähig sein wird. Außerdem werden wir darauf achten, dass das Reglement perspektivisch den Einsatz synthetischer Kraftstoffe, sogenannter E-Fuels, ermöglicht.

Sind auch andere Hersteller dabei?

Enzinger: Bisher bestätigt sind Peugeot und Toyota, die in einer artverwandten Klasse in Le Mans und der Langstrecken-WM antreten werden. Acura – also Honda – will ein LMDh-Auto bauen. Viele andere sind in Warteposition. Audi prüft das neue Projekt und will den LMDh-Einstieg vorbereiten. Das wäre dann die zweite Marke aus dem Volkswagen-Konzern. Wir hoffen natürlich, dass weitere Hersteller dazukommen. Ich denke da zum Beispiel an Ferrari oder BMW.

Geht mit solch einer Serie ein Traum in Erfüllung?

Enzinger: Es war immer der Wunsch, dass auch US-amerikanische Teams nach Le Mans kommen. Diese Möglichkeit besteht nun. Im Gegenzug haben wir dann bei US-Klassikern wie den 24  Stunden von Daytona oder den 12  Stunden in Sebring ein Auto, mit dem wir den Gesamtsieg holen können. Das ist ein toller Ausblick.

War für Ihren Einstieg ausschlaggebend, dass die USA für Porsche ein so wichtiger Markt sind?

Enzinger: Ja, das ist ein wichtiger Aspekt. Der nordamerikanische Markt ist für die Marke sehr bedeutend. Und wer die Rennen in Daytona oder Sebring einmal miterlebt hat, ist sofort begeistert: Da sind immer Zehntausende von Zuschauern dabei. Ohne die Einschränkungen durch die Corona-Pandemie natürlich.

Herr Steiner, Ihr Sportchef Enzinger ist ein Motorsportenthusiast durch und durch. Hat er viel Mühe gehabt, die Porsche-Vorstandsetage von diesem neuen Engagement zu überzeugen?

Steiner: Ehrlich gesagt, nicht. Aus dem Vorstand kam positive Rückendeckung. Wir mussten das Projekt aber intensiv durchdenken – und Fritz hat mit seinem Team einen tollen Job gemacht. Damit im Langstreckensport eine Formel gefunden wird, in der wir in Nordamerika, das uns sehr am Herzen liegt, und in Europa gesamtsiegfähig fahren können, waren die Zusagen des ACO und der IMSA nötig. Als diese Zusagen feststanden, haben wir Fritz Enzinger und seine Mannschaft damit beauftragt zu untersuchen, wie ein solches Projekt aussehen könnte.

Wo liegt der Vorteil der neuen Serie im Vergleich zur ehemaligen LMP1-Klasse?

Steiner: Nachdem der Prüfauftrag erfolgreich abgeschlossen worden war, haben wir gesagt: Jawohl, da gehen wir rein, wir sind dabei. In einer Hybridklasse mit vertretbarem Kostenaufwand um den Gesamtsieg mitzufahren, macht den Motorsport attraktiver und verspricht durch die überschaubaren Budgets mehr Wettbewerb. Das ist in der heutigen Zeit wichtiger denn je.

Von welchem Volumen gehen Sie aus, wenn Sie von einem überschaubaren Finanzrahmen sprechen?

Enzinger: Solche Zahlen kommunizieren wir üblicherweise nicht.

Bedeutet die Umstellung von der ehemaligen Langstrecken-Königsklasse LMP1 zur LMDh-Kategorie einen Cut, oder gibt es noch Parallelen?

Enzinger: Beim neuen Reglement ist deutlich mehr auf Kosteneffizienz geachtet worden. Das Basischassis ist im Grunde für alle dasselbe, es gibt auch eine gewisse Anzahl an aerodynamischen Gleichteilen. Trotzdem bleiben ausreichend Möglichkeiten, sich zu differenzieren. Etwa beim Antriebsstrang. Im Hinblick auf die Kosten sprechen wir im Vergleich zu unserem LMP1-Engagement, das wir 2017 nach drei Gesamtsiegen beendet haben, von etwa einem Drittel.

Ein LMP1-Engagement soll schätzungsweise 100 Millionen Euro im Jahr gekostet haben. Ein Drittel davon, wäre das ein Ansporn für andere Marken, eventuell mitzumachen?

Enzinger: Ohne auf Ihre Schätzung eingehen zu wollen, erhoffen wir uns natürlich, dass mehrere Hersteller hinzukommen. Das wäre auch deshalb attraktiv, weil das Reglement auf fünf Jahre festgeschrieben ist. Man darf an den Autos in dieser Zeit nur minimale Veränderungen vornehmen. Es kommt nicht jedes zweite Jahr ein neuer Rennwagen. Das wäre mit enormen Kosten verbunden.

Herr Steiner, warum hat Porsche die höchste Le-Mans-Klasse überhaupt verlassen und ist in die Formel E eingestiegen? Hätte man sich im VW-Konzern nicht sagen können: Die Formel E übernimmt Audi und Porsche bleibt im Langstreckensport, um so auch Ressourcen zu sparen?

Steiner: Darf ich ein bisschen aus dem Nähkästchen plaudern?

Aber gerne.

Steiner: Lange vor dem dritten Sieg in Le Mans haben wir vereinbart: Wenn wir das dreimal in Folge schaffen, dann werden wir es auch dabei belassen. Die Kosten und der technologische Einsatz waren in der LMP1-Klasse enorm hoch. Unser Einstieg in die Formel E war vor dem Hintergrund dessen, was wir mit unseren Serienprodukten machen, nur konsequent.

Welchen Nutzen hat die elektrische Serie für Sie? Mit Porsche-Rennwagen verbindet man nicht auf Anhieb E-Mobilität.

Steiner: Die Formel E ist eine Effizienz-Formel. Es geht nicht nur darum, schnelle Fahrer zu haben. Es geht darum, wie ich mit der gegebenen Energiemenge bestmöglich umgehe, um zu gewinnen. Das gilt nach meiner Einschätzung auch für die E-Mobilität auf der Straße. Auch dort spielt die Effizienz der E-Fahrzeuge eine wichtige Rolle. Vor allem in Hinblick auf die Weiterentwicklung, zum Beispiel von Batterien und des gesamten Antriebssystems.

Herr Enzinger, wie zufrieden sind Sie eigentlich mit der sportlichen Entwicklung der Formel E? Audi und BMW haben die Serie jüngst verlassen.

Enzinger: Trotzdem sind immer noch neun Hersteller dabei. Es gibt weltweit keine andere Weltmeisterschaft, in die mehr Automarken involviert sind. Die Rennen sind attraktiv, die Städte, in denen gefahren wird, auch.

Porsche und Mercedes sind in der Formel E – aber die Stadt Stuttgart lässt keine Rennen in der Automobilmetropole zu. Wie ist das möglich?

Enzinger: In Deutschland wird bisher nur in Berlin gefahren. Die Verträge mit den Städten sind langfristig. Als Alternative zu Berlin könnte man durchaus in Stuttgart fahren, vielleicht auch abwechselnd an beiden Orten. Die Liste der Bewerberstädte ist inzwischen sehr lang.

Jetzt haben Sie die Frage aber elegant umschifft.

Steiner: Ein Formel-E-Rennen in der Landeshauptstadt wäre toll für Stuttgart und sicherlich toll für die Mitarbeiter, die ihr Team mit Leidenschaft anfeuern und mit ihm zusammen feiern könnten. Das wäre sicher interessant und auch attraktiv.

Attraktiv wäre auch Porsche als Motorenhersteller in der Formel 1. Immer wieder wurde über Ihren Einstieg spekuliert. Wie nah waren Sie an dem Thema dran?

Steiner: Es ist kein Geheimnis, dass wir die Motorsportabteilung mit der Entwicklung eines Hocheffizienzmotors beauftragt haben. In Summe haben wir uns aber entschieden, nicht mit einem Motor in die Formel 1 einzusteigen. Unserer Einschätzung nach waren die Rahmenbedingungen ungünstig für jemanden, der neu dazukommen will. Wir haben das Projekt dann wieder auf die Seite gelegt.

Auch bei Porsche wird fast nur noch über Elektromotoren, hochsensible Hybridantriebe und synthetische Kraftstoffe geredet – die Mobilität verändert sich. Doch verbindet man mit Ihrer Marke am ehesten einen drehfreudigen Sechszylinder mit mindestens 400 PS und beeindruckendem Sound . . .

Steiner: Ich teile die Leidenschaft für den Verbrenner. Ich liebe hochdrehende Saugmotoren und auch unsere modernen Turbomotoren, die Leistung im Überfluss bieten, dabei aber trotzdem sehr spontan sind. Trotzdem fahre ich seit über einem Jahr einen Taycan – und das jeden Tag. Dieser vollelektrische Sportwagen reagiert noch spontaner, lenkt hervorragend ein und ist durch und durch ein Porsche. Auch an diese andere Klangkulisse kann man sich sehr gut gewöhnen.

Wie lange gibt es noch Verbrenner?

Steiner: Unser 911er wird sicher einer der letzten Verbrenner sein, den man noch kaufen kann.

Und wann wird der gekauft? Im Jahr 2040 oder 2050?

Steiner: Wenn es nach uns geht, wird es keinen Grund geben, solche Motoren zu verbieten. Mit E-Fuels haben wir die Chance, auch Verbrenner klimafreundlich zu betreiben.