In der zeitgenössischen Werbung heißt es über das Auto: „Sein Repertoire: Per Achse zum Rennen und wieder nach Hause. Montag ins Büro. Dienstag nach Genf. Abends zurück. Mittwoch zum Shopping.“ Foto: Porsche AG

Vor einem halben Jahrhundert hat Porsche einen 911er präsentiert, der Geschichte geschrieben hat. Der damalige Entwickler erzählt, woran beinahe alles gescheitert wäre.

Elektromotoren, autonomes Fahren, riesige Displays – im Jahr 2022 könnte der Eindruck entstehen, dass gerade das Auto neu erfunden wird. Doch Hermann Burst weiß, dass das nur ein Teil der Wahrheit ist. Bei der Entwicklung des Automobils hat es immer wieder Innovationssprünge gegeben – und an einem dieser entscheidenden Wendepunkte war der Stuttgarter maßgeblich beteiligt.

Hermann Burst hat den Porsche 911 Carrera vor 50 Jahren als Ingenieur so grundlegend verändert, dass aus einem Problemfall für Porsche der seinerzeit schnellste Serienwagen Deutschlands wurde. Und ein Verkaufsschlager, der wegen seines auffälligen Hecks später einen einprägsamen Spitznamen bekam: Entenbürzel. Der 82-Jährige lächelt, wenn er daran zurückdenkt, wie alles kam. Der damals bei Rennen eingesetzte 911er schwächelte. „Die sind hinterhergefahren“, erzählt Burst, „die Motorleistung stimmte nicht, und das Fahrverhalten wies Mängel auf.“ Die Fahrer beschwerten sich über zu viel Auftrieb am Heck.

Senkrecht startende Flugzeuge im Windkanal getestet

Da kam Hermann Burst ins Spiel. „Ich arbeitete zuvor im Windkanal bei der Technischen Hochschule, der heutigen Uni Stuttgart.“ Bursts Leidenschaft galt der Aerodynamik. Im Windkanal untersuchte er den Luftwiderstand der Fahrzeuge von Porsche, Daimler und BMW. „Aber auch Hubschrauber und senkrecht startende Flugzeuge haben wir dort getestet.“ Auf der Anlage lernte Burst 1968 den Porsche-Rennsportchef Peter Falk kennen. Kurz darauf wechselte der damals 28-Jährige zum Sportwagenbauer.

Porsche stellte im Mai 1972 ein Team aus 15 Ingenieuren zusammen, das dem lahmenden Prestigeflitzer Beine machen sollte. Schließlich richtete sich der 911er an betuchte Kunden, von denen manche mit dem Auto selbst an Rennen teilnehmen wollten. Burst musste als Erstes das Problem mit dem Auftrieb des Flitzers lösen: Nur wenn Piloten bei hohen Geschwindigkeiten ein sicheres Fahrgefühl haben, können sie das Maximale aus dem Wagen herausholen.

Der Entenbürzel soll das Auto auf die Straße drücken

Der junge Ingenieur kam dank seiner Erfahrungen aus der Luftfahrt auf die Lösung des Problems: „Wenn man den 911er von der Seite im Profil ansah, ähnelte seine Form der Tragfläche eines Flugzeugs. Das war aerodynamisch für das Auto natürlich ungünstig.“ Eines Tages fiel Burst eine Lösung ein, um dem Porsche seine Flatterhaftigkeit auf der Straße auszutreiben. Und zwar ohne Hilfe jeglicher Computermodelle.

Burst und seine Mannschaft entwickelten einen Heckspoiler, der filigran aus dem Fahrzeug aufragte. Ihr Kalkül: Dieser Entenbürzel sollte mit seiner Erhebung den 911 Carrera RS 2.7 bei schneller Fahrt Richtung Straße drücken und gleichzeitig den Heckmotor mit Kühlluft versorgen. Um die ideale Form zu finden, legten die Techniker anfangs Bleche und Holzklötze auf die Motorhaube. Dann hatten sie jene motorisierte Sportskanone gefunden, nach der sie gesucht hatten. Der 911 Carrera beschleunigte in weniger als sechs Sekunden auf 100.

Carrera auf dem Pariser Autosalon präsentiert

Im Oktober 1972 präsentierte Porsche den Carrera auf dem Pariser Autosalon. Der Sportwagen war ein Kind seiner Zeit, in der Klimawandel noch ein Fremdwort war – und für die Werbefachleute des Unternehmens klar war, wer zur Zielgruppe gehörte. Das Bild eines Porsche mit Leonberger Kennzeichen zierte dieser Spruch: „Der Porsche Carrera RS. Nur 500 Männer werden ihn fahren.“

Dabei war man bei Porsche anfangs unsicher, ob der grundlegende Eingriff ins Design des Fahrzeugs bei den Käufern Anklang finden würde. „Der Vertrieb war zunächst nicht begeistert“, erinnert sich Hermann Burst. „Die dachten, dass es den Leuten nicht gefallen würde.“ Doch schon zwei Monate nach der Präsentation in Paris sieht die Welt ganz anders aus: „Die wurden mit Anfragen überhäuft.“ Porsche verdreifachte den Absatz binnen kürzester Zeit.

Er selbst fährt ein Unikat

Im Ruhestand denkt Burst gerne an diese turbulenten Aufbruchsjahre für die Marke zurück: „Mir ist erst in den letzten Jahren klar geworden, dass wir mit diesem Carrera den Meilenstein gesetzt haben für die weitere Entwicklung des Elfers. Er hat dessen weitere Entwicklung stark beeinflusst.“ Der Entwickler des Sportwagens gönnt sich heute manchmal nostalgische Ausflüge: natürlich in einem 911er, den er vor 30 Jahren selbst gebaut hat. Einem Unikat aus einer anderen Zeit der Automobilgeschichte.

Infos zur Ausstellung im Porsche-Museum

Die aktuelle Ausstellung im Porsche-Museum erzählt die Geschichte des Entenbürzels nicht nur mit Fahrzeugen und Anekdoten, sondern auch anhand von Filmen, Fotos, Rennplakaten und interaktiven Elementen. Fahrzeuge, Entwicklungsunterlagen, Werbebroschüren, Preislisten und der Carrera-Schriftzug beschreiben den Weg vom Entwicklungsfahrzeug hin zum serienfertigen Porsche. Das Museum ist dienstags bis sonntags von 9 bis 18 Uhr geöffnet. Erwachsene zahlen zehn Euro (ermäßigt fünf Euro).