Szene aus einem Kurzfilm zum Thema „Fuck Corona“ Foto: Lena Leonhardt

Das Kino Delphi in Stuttgart zeigt Sexfilme. Schmuddel? Von wegen! Mit dem „Natural Instincts“-Filmfestival bringt die Initiatorin Lu Breitenberger die Themen Sexualität, Identität, Gesundheit und Lust auf sensible Weise in das Arthaus-Kino.

Stuttgart - Ein Pornofilmfestival? Äh, wie jetzt? So und ähnlich skeptisch und fragend fällt die erste Reaktion der meisten aus, mit denen Lu Breitenberger zum ersten Mal über ihr Filmfestival „Natural Instincts“ spricht, das nun in Stuttgart stattfindet. Die 33-Jährige, die eigentlich Laura heißt, hat das Pornofilmfestival initiiert und die Filmschau samt Begleitprogramm organisiert. Zu sehen gibt es an drei Tagen acht 60-minütige Filmeinheiten aus Dokumentationen und pornografischen Kurzfilmen etwa aus Deutschland, England und der Schweiz.

 

„Ich finde nackte Menschen schon seit der Jugend viel interessanter als angezogene und will die Themen Nacktheit und Sexualität aus der Tabuzone holen“, sagt sie. Hauptberuflich hat die künstlerische Leiterin des Festivals weder mit Pornos noch mit Filmen zu tun, sondern kommt aus der Betriebswirtschafts- und Beraterbranche. Die Filme für ihr Festival hat sie mit Augenmaß in den letzten zwei Jahren ausgewählt: „Mir geht es in erster Linie darum zu zeigen, dass es nicht nur Schmuddelpornos gibt, sondern ästhetische und respektvolle pornografische Filme, die eine offene Sexualität der Geschlechter zeigen und das Natürliche an Sexualität hervorheben“, so die Stuttgarterin.

„Es wird sich viel an dem Begriff Pornografie gestoßen, weil er in der Gesellschaft negativ besetzt ist. Zum Teil auch berechtigt, aber es gibt auch ästhetisch ansprechende Filme und nicht nur die Schmuddelecke“, ergänzt sie. Einer, der gleich positiv auf ihre Idee reagiert hat, ist Peter Erasmus vom Delphi Kino. „Ich war sofort interessiert und fand das eine gute Idee, die Leute darauf aufmerksam zu machen, dass es auch Pornofilme abseits des Mainstreams gibt.“

Alternative Pornografie aus Deutschland und Europa

Erasmus, der zusammen mit seinem Sohn Simon die Kinos Delphi und Atelier am Bollwerk führt, bietet die Räumlichkeiten und die praktische Umsetzung für das Festival. „Uns ist es wichtig, das Thema in die Stadt zu bringen,“ argumentiert der 39-jährige Simon Erasmus. „Sexualität geht schließlich so gut wie jeden was an“, sagt Peter Erasmus. Lu Breitenberger hat ihr Festival Natural Instincts genannt, weil sie der Meinung ist, dass Sexualität ein Grundbedürfnis aller Menschen ist. „Es gibt Essen, Trinken und Schlafen, und dann kommt relativ schnell das Bedürfnis nach körperlicher Nähe und auch nach Sexualität“, sagt sie.

Aus eigenem Interesse habe sie angefangen, sich für alternative Pornografie zu interessieren, „gerade weil das, was im Mainstream gezeigt wird, auch was Werbung zeigt oder andere Darstellungen von Sexualität, sehr stereotyp ist. Das zusammen mit der Tabuisierung des Themas hat mich sehr gestört.“ Bei ihrer Recherche sei sie auf Filme gestoßen ist, die ästhetisch ansprechend gewesen seien und auch eine gleichberechtigte Lust der Geschlechter aufgegriffen hätten. „Es war wichtig für mich zu sehen, dass es das auch gibt. Als ich dann auf einem alternativen Pornofilmfestival in Berlin war, war für mich klar: Das braucht Stuttgart auch.“ Für die Auswahl der Filme für ihr eigenes Festival habe die 33-Jährige neben der Ästhetik vor allem auf sexuelle Vielfalt, Gesundheit und Identität sowie auf Diversität, also unterschiedliche Körper, unterschiedliche Konstellationen und unterschiedlich alte Personen gesetzt.

Toleranz, Vielfalt und sexuelle Gesundheit stehen im Mittelpunkt

Beim Blick auf das Programm des anstehenden Festivals dürften auch letzte Skeptiker überzeugt werden, dass es sich nicht um abseitige Filme von zwielichtigen Pornoseiten handelt. Vielmehr erweckt das Programm den Eindruck, für eine zeitgemäße Aufklärung für Erwachsene in Sachen Sexualität eintreten und alternativen Sexfilmen eine Plattform bieten zu wollen. Nicht nur das: Die einzelnen Filmeinheiten werden jeweils von einer Diskussionsrunde mit einem Experten oder einer Expertin aus Stuttgart flankiert. Nach den vier Kurzfilmen etwa zum Themenblock „In Vulvina Veritas“ steht eine Gesprächsrunde mit einer Vertreterin vom Feministischen Frauengesundheitszentrum Stuttgart an, nach dem Filmblock „Sex trough the Ages“ kann das Publikum mit einer Sexualtherapeutin zum Thema Sex im Alter diskutieren, nach dem Block „Penis Poetry“, in dem es um schwule Männer geht, kann mit einem Experten des Vereins 100% Mensch über das Thema Porno, Kunst und Rollenbilder gesprochen werden.

Zeitgemäße Aufklärung für offene Erwachsene

Gesprächsbedarf bietet das Festival genügend, zumal es ein Novum für die Stadt ist. „In Berlin, der Schweiz und Österreich gibt es solche Festivals, ich bin gespannt, wie es hier läuft. Ich würde mich freuen, wenn es nicht bei diesem einen Mal bleibt“, sagt Breitenberger. Peter Erasmus findet, dass es höchste Zeit für so ein Format in der Stadt ist, die er diesbezüglich als „verschnarcht, verklemmt und zu pietistisch“ bezeichnet.

Ob Stuttgart bereit dafür ist, hat sich im Vorfeld schon gezeigt – mehrere Vorstellungen sind bereits fast ausverkauft.

Tickets und Termine

Vor Ort
Das Festival findet vom 23.-25. Juli im Delphi Kino in Stuttgart statt. Tickets gibt es pro Film und Themeneinheit zu 13 Euro. Weitere Infos unter: https://www.natural-instincts.eu/

Hygienekonzept
Voraussetzung für einen Kinobesuch ist ein Nachweis eines der drei G’s. Die Sitzplätze und das Buchungssystem des Kinos sind so angepasst, dass der geforderte Mindestabstand von einem freien Platz zu den nächst buchbaren Sitzplätzen sichergestellt ist. Maskenpflicht gilt bis zum Sitzplatz.