Für sie ist Trump der Vorbote einer Zeitenwende: Marine Le Pen. Foto: AFP

Populismus an der Macht: Der Wahlsieger Donald Trump wird zur Galionsfigur einer Bewegung, die in ganz Europa auf dem Vormarsch ist.

Stuttgart - Manche feiern das Wahlergebnis in den Vereinigten Staaten wie den Auftakt zu einer Weltrevolution. „Wir sind Präsident!“, twittert die AfD in Berlin, obwohl Donald Trump bisher nicht den Eindruck erweckte, als verstehe er sich als Wiedergänger seines Amtsvorgängers John F. Kennedy („Ich bin ein Berliner“). Aus dem vereinnahmenden Satz spricht der Trotz einer Bewegung, die sich auch in Europa aus den Souterrains in die Beletage der Politik empor arbeitet. In Deutschland haben die Populisten binnen zwei Jahren schon zehn Landesparlamente erobert. In Österreich und Frankreich greifen sie nach dem wichtigsten Staatsamt. Für sie wird Trump zu einer Galionsfigur.

2016 wird nach den Worten von Nigel Farage, dem Erfinder des Brexit, mit „zwei großen politischen Revolutionen“ in die Geschichtsbücher eingehen: dem Votum der Briten gegen eine vermeintliche Fremdherrschaft aus Brüssel und dem Triumph Trumps – gleichfalls ein Schlag ins Kontor der etablierten Politik.

Petry schlägt revolutionäre Töne an

Revolutionäre Töne schlägt auch die AfD-Vorsitzende Frauke Petry an. Sie spricht von einer „politischen Zeitenwende“. Mit dem Machtwechsel in Washington erhalte „das vom politischen Establishment entmündigte Volk seine Stimme zurück“. Die Wähler Trumps, so Louis Aliot, Vizepräsident des französischen Front National, hätten „einer arroganten Elite den Stinkefinger gezeigt“. Dieses Anliegen treibt alle populistischen Parteien um. Sie verstehen sich als Herolde des „wahren Volkes“, dessen Beschwerden von einer abgehobenen politischen Klasse überhört und von der „Lügenpresse“ verschwiegen würden. Für Petry, Farage und Aliots Chefin Marine Le Pen bringt der unerhörte Wahlkampf Trumps die Unerhörten an die Macht.

Tatsächlich scheint der 45. US-Präsident Menschen zum Wählen animiert zu haben, die bis dahin politischer Abstinenz verfallen waren – weil sie Wahlen ohnehin für ein abgekartetes Spiel hielten oder den demokratischen Wettbewerb verachteten. Solche Effekte lassen sich auch in Europa überall dort beobachten, wo Populisten Erfolge feiern. Wie im Fall Trump wird deren Rückhalt häufig unterschätzt, etwa im Vorfeld der Landtagswahlen in Baden-Württemberg. Die Blindheit der Demoskopen passt für einschlägige Kreise ins Bild. Für sie sind auch Meinungsforschungsinstitute Teil des herrschenden Politkartells.

Trump profitiert von Abstiegsängsten

Trump profitiert wie die AfD & Co. von Abstiegsängsten, der Furcht vor dem Verlust von Identität und wirtschaftlichen Errungenschaften angesichts der Risiken der Globalisierung. Diese Verunsicherung speist sich zudem aus der Flut von Nachrichten über Anschläge und Terrorgefahren. In diesem Weltbild ist der Islamismus allerorten auf dem Vormarsch, die Einflüsse fremder Nachbarn nehmen überhand. Daraus erwächst die Sehnsucht nach Autorität und Abschottung. Mit Trump wird Globalisierungskritik zu einem nationalen Anliegen.

Es ist gleichwohl schwer zu erklären, wie ausgerechnet ein Milliardär, der systematisch Steuern hinterzogen hat, zur Projektionsfläche der Hoffnungen jener Kreise werden konnte, die sich auf der Schattenseite Amerikas wähnen. Unter Trumps Wählern sind Gutverdiener allerdings überrepräsentiert. Auch die AfD ist keineswegs eine „Partei der Abgehängten“, wie eine Allensbach-Studie unlängst interpretiert wurde – sondern die Partei derer, die sich abgehängt fühlen.

Präsident der schweigenden Mehrheit

Trump spricht jenen nach dem Munde, denen das Vokabular der politischen Korrektheit ein Gräuel ist. Unter ihnen ist die Ansicht verbreitet, man müsse „doch mal sagen dürfen“, was Unmut stiftet – und ansonsten im Gemurmel an den Stammtischen untergeht. So wird Trump zum Sprachrohr der „schweigenden Mehrheit“, die in seinem Fall tatsächlich eine ist, auch wenn sie längst nicht mehr schweigt.

In Europa hoffen nicht wenige, dass die Schockwellen der US-Wahl über den Atlantik herüberschwappen. „Heute die Vereinigten Staaten, morgen Frankreich“, twittert etwa Marine Le Pen, die unter den Kandidaten für das Präsidentenamt bei Umfragen vorne liegt. In Österreich ist Norbert Hofer schon einen Schritt weiter. Er wird am 4. Dezember wohl Staatsoberhaupt. Le Pens Front National könnte wiederum stärkste Partei bei den Parlamentswahlen im Juni 2016 werden. So weit ist die AfD noch nicht, doch sie hat auch ohne Rückenwind aus Amerika Schwung genug, um nächstes Jahr in den Bundestag einzuziehen. ,,Was Donald Trump kann, das kann ich auch“, glaubt der niederländische Islamkritiker Geert Wilders. Die Amerikaner hätten „sich die Demokratie und ihr Land zurückgegeben“. So klingt der Machtanspruch der Populisten stets wie eine historische Mission. Der Kreuzzug gegen die verhasste Elite geht weiter.