Sabine und Günther Oberkamm mit Koch Simon Hölzer vom Restaurant Augustenstüble in Stuttgart. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Das Rezept für erfolgreiche Quoten ist einfach: Kochsendungen auf allen Kanälen! Köche sind die neuen Stars! Wir stellen in unserer Serie die besten, originellsten oder kreativsten der Region vor. Heute: Die Legenden der Stuttgarter Gastroszene, das Ehepaar Oberkamm vom Augustenstüble.

Stuttgart - Günther Oberkamm, den alle nur Obi nennen, kann ganz plötzlich ganz laut werden. „Der Mittelstand wird doch ausgeblutet, weite Teile des Mittelstands werden prekarisiert, sogar Ärzte und Architekten“, schimpft er zum Beispiel laut.

In diesem Moment, den Kopf errötet, wird klar, warum dieser Wirt einen solchen Platz in der Stuttgarter Gastronomieszene eingenommen hat: Der Mann ist ein Unikat, ein Typ mit Charakter, ein alter Linksliberaler, der sich niemals verbiegen lassen würde. Seit über zehn Jahren betreibt er zusammen mit seiner Frau Sabine, ein idealer Gegenpol und nicht minder stark, im Westen das Augustenstüble.

Zwei Gastgeber im klassischen Sinne, zwei Idealisten – und immer noch kann jeden Abend der Moment kommen, dass sich Obi in ein Gespräch einmischt und mit viel Verve die Welt erklärt.

Das Markenzeichen: leuchtend rote Hosenträger

Günther Oberkamm hat auf seinem Weg in die Augustenstraße einiges erlebt, sein Charakter hat sich wenig verändert. Irgendwann sind die roten Hosenträger dazugekommen. Aber das war eher Zufall. „Des isch so noa worda“, sagt Obi, eine Masche sei das jedenfalls nicht. Allerdings ein günstiger Zufall, denn die leuchtend roten Hosenträger über dem schwarzen T-Shirt sind natürlich ein herrliches Markenzeichen.

Zum Jubiläum im Augustenstüble sind seine Stammgäste genauso eingelaufen: allesamt in roten Hosenträgern und schwarzen Shirts.

Ein Markenzeichen ist eine gute Sache, aber eine Marke wäre das Ehepaar Oberkamm auch ohne die roten Hosenträger. Obwohl ihre Geschichte im roten Milieu begonnen hat. Günther Oberkamm hat, ganz klassisch, Politik, Kultur und Philosophie studiert. Das war Anfang der 1980er Jahre, damals glaubten Studenten noch an das Gute und lebten entsprechende Utopien aus – zum Beispiel im Maulwurf in Vaihingen, der heute noch eine wunderbare Fußballkneipe ist.

Damals war der Maulwurf allerdings ein Kollektiv, ein kleines bisschen Kommunismus in Vaihingen. Dort ist Günther Oberkamm eingestiegen, die beste Ausbeute aus diesem Projekt war seine heutige Frau, Sabine Oberkamm, die sich als junger Gast in den jungen Wirt verguckt hat. Sie war Arbeits- und Beschäftigungstherapeutin – und ist dann mit ihrem Partner ins Gastgewerbe eingestiegen.

Erste Station: das legendäre Eger im Bohnenviertel

Erste Station: das legendäre Eger im Bohnenviertel. 1987 übernahmen die beiden nonkonformen Leute dieses nicht sonderlich gut beleumundete Lokal – und machten eine Kunst- und Kulturkneipe draus. So lange hat es nicht gedauert, bis das Eger zum Pflichtprogramm für Studenten wurde. Das Nachtleben zu dieser Zeit war nicht unbedingt das aufregendste, das Eger war wie eine Oase.

„Wir haben damals noch sehr lustige Geschichten erlebt“, sagt Sabine Oberkamm. Zum Beispiel haben die Wirte an einem Abend einem Schauspieler den Tresen überlassen, um gemeinsam den „Faust“ anschauen zu können. Das Theater der Altstadt lag nebenan.

Wenn er daran denkt, wird Günther Oberkamm wieder lauter: „Das war noch was ganz anderes. Damals haben die Leute noch Durst gehabt!“, poltert er heraus. Damals seien die Leute mit sechs Viertele intus nach Hause gefahren. Auch wenn das nicht erstrebenswert ist, für die Wirte war das Geschäft einfacher.

Das Paar definierte die feine regionale Küche

Die weitere Geschichte der beiden füllte ein ganzes Buch, deshalb hier der Kurzdurchlauf. Vom Eger, das abgerissen wurde, ging’s ins Drei Mohren in der Pfarrstraße, ein Lokal, bei dem die alte Fassade des historischen Baus von der Friedrichstraße in die Altstadt verfrachtet worden war. Im Drei Mohren kochten die Oberkamms dann auch erstmals.

„Schon damals gab’s geschmorte Ochsenbäckle“, sagt Sabine Oberkamm. In dieser Zeit definierte das Paar die feine regionale Küche, als es diesen Begriff noch überhaupt nicht gab. Der Laden brummte, allerdings gab’s nur acht Tische. Dafür aber andere Auffassungen als der Verpächter.

Zeitgleich kam ein Angebot aus Fellbach. „Wir sind aufs Dorf gegangen“, sagt Obi dazu aus heutiger Sicht. Das Dorf war eine 40 000-Einwohner-Gemeinde, eher ein Vorort von Stuttgart, aber eben nicht mehr die linksliberale Innenstadt. Deshalb brauchte das Ehepaar seine Eingewöhnungszeit, durch diverse Dispute waren beide gestählt.

Für den Einsatz gab's einen Michelin-Stern

Der Patron lief längst mit seinen roten Hosenträgern durchs topmodern, rustikal renovierte Lokal. Mit Bernd Bachofer interpretierte ein talentierter Koch die Ideen etwas freier. Und plötzlich gab’s für den Einsatz vom Michelin den Adelstitel für die linken Vögel. „Den Stern wollten wir überhaupt nicht!“, sagt Obi Oberkamm, sie haben die Herausforderung aber angenommen – auf ihre Weise. Ohne Tischdecken. Ohne steifes Getue. Dafür mit einem Chef mit roten Hosenträgern.

Das Ende kam schlicht mit dem Auslaufen des Pachtvertrags. Und aufgrund des Aufwands. Sabine Oberkamm: „Abends Lokal, morgens habe ich die Zimmer geputzt.“ Also kam der nächste Schritt, das Augustenstüble im Stuttgarter Westen. Eine Rückkehr in die Stadt, zu den Wurzeln.

„Wir haben all die Erfahrung in einen Topf geworfen“, sagt Günther Oberkamm. Herausgekommen ist dieses ungewöhnliche Lokal mit französischer Bistroküche. Cuisine bourgeoise nennen die beiden ihr Kind. „Das hier ist sicher das authentischste Lokal unseres Lebens“, sagt Sabine Oberkamm. Mit Simon Hölzer haben sie einen Koch gefunden, der gleich tickt. „In zwei Jahren kam es zwischen uns zu keinem einzigen Streit – und wir sind streitbare Leute“, sagt Sabine Oberkamm.

„Wir wollen keinen Pfiff!“

Im Augustenstüble kochen sie auf höchstem Niveau, das vor allem den Zutaten den Raum lassen soll. „Auf Lebensmittelqualität legen wir nun seit dreißig Jahren großen Wert“, sagt Sabine Oberkamm, ein bisschen scheint es ihr lästig, immer wieder darauf hinweisen zu müssen.

Vor allem dann, wenn sich Gäste über die Preise wundern. Ein richtig gutes Huhn für den Coq au Vin kommt eben aus Frankreich, weil die Tiere dort in der Aufzucht viermal so lange leben und entsprechend anders schmecken.

Klar ist: Die Cuisine bourgeoise verlangt viel vom Koch, vor allem auch Zurückhaltung, weil die Produkte im Mittelpunkt stehen. So mancher Kritiker übte sich allerdings ebenfalls in Zurückhaltung, erzählt Obi Oberkamm. Einmal habe einer geschrieben: Das Lokal ist ordentlich, aber ohne Pfiff.

In dem Moment, in dem er das erzählt, wird der Kopf von Günther Oberkamm wieder ein bisschen rot. „Wir wollen keinen Pfiff!“ Er will nur ein guter Gastgeber sein, gute Küche anbieten und dabei authentisch sein.

Rezept: Coq au Vin

Rezept: Coq au Vin

Die Zutaten (für 4 hungrige Esser): ein Bresse-Huhn (Poulet de Bresse, circa 2,2 Kilogramm, mindestens 81 Tage Freilandhaltung), 1,5 Liter Rotwein, 1,5 Liter Geflügelfond (kein Wasser!), 700 g Röstgemüse (Sellerie, Möhre, Lauch, Zwiebel), Thymian, Rosmarin, Knoblauch, Lorbeer,Wacholder, schwarze Pfefferkörner, 1 EL Tomatenmark, 200 g geräucherter Bauchspeck, 300 g kleine Champignons, 150 g Schalotten.

Die Zubereitung: Vom Huhn den Kopf, die Füße und die Innereien entfernen. Innereien separat in Butter braten. Mit einem scharfen Filetiermesser die Brust und die Keulen von der Karkasse trennen.

Brust beiseitelegen und von der Keule die Haut und den Mittelknochen entfernen. Aus allen Abschnitten vom Huhn und aus 350 g Röstgemüse sowie aus einem Teil der Gewürze einen Geflügelfond herstellen – mit kaltem Wasser ansetzen und langsam erhitzen, circa drei Stunden köcheln lassen,dann durch ein Sieb passieren. Die Flügel und die Keulen in einem Topf scharf anbraten, sowie das restliche Gemüse. Das Tomatenmark dazugeben, leicht mitrösten.

Dann mit Rotwein ablöschen und reduzieren lassen. Mit dem Geflügelfond auffüllen und Gewürze beigeben. Die Keulen und die Flügel circa 45 Minuten schmoren lassen, herausnehmen und an einen warmen Ort stellen.

Rosmarin, Thymian und Knoblauch in die Soße geben und diese reduzieren lassen, passieren und eventuell mit Butter leicht abbinden (die Soße dabei vom Feuer nehmen). Speck, Schalotten und Champignons in Butter weichschmoren. Die Brust scharf anbraten und bei 160 Grad Umluft 8 bis 10 Minuten in den Ofen schieben.

Anrichten: In einem tiefen Teller die Keule platzieren und mit der Soße übergießen. Speck und Co. mit frisch gehackter Petersilie vermengen und darübergeben. Die tranchierte Brust darauf drapieren.

Dazu passen Kartoffelstampf, Pasta, Baguette...