„Fahrn, fahrn, fahrn auf der Autobahn!“ – Emil Schults Interpretation der Kraftwerk-Hymne auf die Monotonie des Unterwegsseins: „Autobahn Comic“ (2004–2019) Foto: © Emil Schult

Sex, Exzess, Rausch? Es geht auch ohne: Die Hamburger Deichtorhallen zeigen eine von Max Dax kuratierte Ausstellung zum Verhältnis von Kunst und Popmusik: „Hyper. A Journey into Art and Music“.

Hamburg - Eine Aussage, bei der unzählige Hamburger Musiker in die Tischkante beißen werden: „Neben den Beatles sind Scooter die vielleicht berühmteste Band dieser Stadt“, sagt Max Dax. Tatsächlich spricht es nicht für die Popkulturmetropole, wenn ihre wichtigsten Exporte eine Gruppe aus Liverpool und ein Bumstechnokollektiv aus dem Vorort sind. Allerdings ist Max Dax nicht irgendwer: Der 1969 als Maximilian Bauer in Kiel geborene Journalist war unter anderem Chefredakteur der Zeitschriften „Spex“ und „Electronic Beats“ und ist mittlerweile die deutschsprachige Autorität, wenn es darum geht, intellektuell beschlagen über Popmusik zu reden. In den Hamburger Deichtorhallen hat Dax die Ausstellung „Hyper! A Journey into Art and Music“ kuratiert – und weil er Scooter, wie gesagt, eine übergroße Bedeutung zuschreibt, liefert deren größter Hit auch den Ausstellungstitel: „Hyper Hyper“.

Eine Nähe zwischen Pop und Kunst festzustellen ist nicht neu. Diese Erkenntnis findet man in den sexuell aufgeladenen Identitätsspielen von Andy Warhols Factory, in der wütenden Kreativitätsrebellion des Punk und im bildungsbürgerlich angereicherten Snobismus britischer Artschool-Bands der Thatcher-Zeit. „Jeder Maler möchte eigentlich ein Rockstar sein“, zitiert Dax den Künstler Thomas Scheibitz, „jeder Musiker möchte eigentlich ein Künstler sein“ – was sich schwer belegen lässt, aber ein hübsches Statement ist, das in „Hyper!“ auch eingelöst wird: mit graffitiartigen Wandgemälden der Sonic-Youth-Bassistin und studierten Künstlerin Kim Gordon, mit den Grafiken des Ex-Kraftwerkers und Beuys-Schülers Emil Schult und nicht zuletzt mit den Nähbildern „Studio“ (2011) von Michaela Melián, im Brotberuf Professorin an der Hamburger Hochschule für Bildende Künste, die zur Eröffnung mit ihrer Band F.S.K. die Konzertperformance „Ein Haufen Scheiss und ein zertrümmertes Klavier“ aufführt. Pop und Kunst sind Verwandte, zweifellos.

Installation mit dem „Weißen Album“ der Beatles

Sie sind allerdings so nahe Verwandte, dass die Klischeefalle bei einer Ausstellung zum Thema an jeder Ecke lauert. „Bitte nicht ein weiteres Mal Andy Warhol und Velvet Underground!“, forderte der Deichtorhallen-Intendant Dirk Luckow, doch weil Pop oft das ironische Unterlaufen von Erwartungen bedeutet, zeigt Dax dann eben doch die Klischees. Jedoch mehrfach gebrochen: Ja, es gibt Plattencover zu sehen, aber nicht die ikonografische Banane, die Warhol für die Debüt-LP von Velvet Underground designte, sondern gefakte Plattencover von Rosemarie Trockel und Thea Djordjadze. Und dazu noch eine Rauminstallation des texanischen Künstlers Rutherford Chang: ein Plattenladen, der ausschließlich das „White Album“ der Beatles beinhaltet. Chang kauft seit 2007 gebrauchte Exemplare der Platte, heute besitzt er über 2000 Stück – einerseits Massenware, andererseits Unikate, die durch die unterschiedlichen Seriennummern und durch den unterschiedlichen Grad der Abnutzung einen einzigartigen Charakter annehmen.

Eine Erwartung an eine Ausstellung von Popmusik und Kunst wäre natürlich auch Lautstärke – und dann steht man in den verhältnismäßig stillen Deichtorhallen. Zwar existiert zu manchen Exponaten ein Soundtrack, oft über Kopfhörer, aber was es da zu hören gibt, sind in der Regel minimalistische Elektroflächen, etwa ruhige Ambienttracks von Marcel Dettmann, die zu Friederike von Rauchs ebenso ruhigen Architekturfotografien erklingen. „Hyper!“ ist an keiner Stelle Sex, Exzess, Rausch – Begriffe, für die der Scooter-Song aus dem Titel exemplarisch steht und die man mit Pop ebenso verbindet wie die bei Dax allgegenwärtige Ironie. Selbst ein Abstecher zum Fantum ist Dekonstruktion – die verwüsteten Britney-Spears-Starschnitte aus Phil Collins’ „Britney“-Serie (2001–03) oder „77 Barton Street, Macclesfield“ (2019), die Frottage eines unspektakulären Hauses bei Manchester, mit der Scott King dem Geburtshaus des Joy-Division-Sängers Ian Curtis ein Denkmal setzt.

Berghain or not Berghain?

Seine Herangehensweise an Pop vergleicht Dax mit dem Hören einer Schallplatte. Sie hat zwar auch eine Dramaturgie, aber es steht dem Hörer frei, die Nadel an einer bestimmten Stelle auf die Rillen zu setzen: „Wir sind ja erwachsene Menschen.“ Und vielleicht versteckt sich in dieser Formulierung ein Zugang zur Popkultur, der explizit erwachsen sein will und nur noch am Rande etwas zu tun hat mit Sex oder Drogen. Das ist nicht unsympathisch, bekennt sich allerdings zu Leerstellen: „Hyper!“ ist extrem subjektiv, große Bereiche des Themas werden nur gestreift, andere ganz ausgelassen. „Wenn man Künstler nach ihren Lieblingsbands fragt, dann sagen die meisten Kraftwerk, Joy Division und New Order“, behauptet Dax, aber er fragt eben nur Künstler, die Kraftwerk, Joy Division und New Order mögen.

Die Deichtorhallen betritt man durch einen tunnelartigen Gang, von dessen Wänden Sven Marquards Fotoporträts der Türsteher aus dem Berliner Berghain blicken. Man fühlt sich wie in der Schleuse vor einem Club – und auch das ist ein Klischee, klar. Aber direkt auf den Tunnel folgt ein detailgetreues Korkmodell des Berghain; Philip Topolovac hat es 2016 gebaut. „I’ve never been to Berghain“ heißt es. Und das ist dann wieder der ironische Bruch, der sagt: Wenn man Pop ernst nimmt, darf man ihn bloß nicht allzu ernst nehmen.