Szene aus „Von einem, der auszog, weil er sich die Miete nicht mehr leisten konnte“ Foto: dpa

Eine Oper haben der Musiker Dirk von Lowtzow und der Theatermann René Pollesch versprochen. Ihr Stück „Von einem, der auszog, weil er sich die Miete nicht mehr leisten konnte“ wurde am 19. März an der Berliner Volksbühne uraufgeführt. Nach Bayreuth klang das Ergebnis naturgemäß nicht.

Berlin - Wenn sie sich nicht gerade als Meerestierchen verkleiden, sich amöbenartig im glitschigen Urschleim wälzen oder mit einem Killerwal um die Wette schwimmen, diskutieren sie über das Subjektivitätsmissverständnis, über Psychosen, Phantasmen, das Begehren und den Kollaps des Realitätssinns. Ein Kinderchor singt „Nein! Nein! Nein!“, der Bariton Martin Gerke schmettert zart „Ihr habt keine Macht über mich“, und Martin Wuttke und Lilith Stangenberg singen niedlich im Duett „Ich hafte an dir wie Tinte auf Papier“.

„Von einem, der auszog, weil er sich die Miete nicht mehr leisten konnte“ ist ein grandioser, pompös arrangierter Diskurspop-Ulk, ein virtuoses Durcheinander, eine fantastische Entdeckungsreise, eine etwas andere Schöpfungsgeschichte, ist Unterwasserballett, Ideendrama, Anti-Theater. Eine Oper ist das Stück von René Pollesch und Dirk von Lowtzow aber nicht wirklich. Am Donnerstag wurde es an der Berliner Volksbühne uraufgeführt.

Es sind nur eine Handvoll Liedtexte und Kompositionen, die Dirk von Lowtzow, hauptberuflich Sänger und Songschreiber der Band Tocotronic, beigesteuert hat. Meistens bleiben diese – wie bei Pollesch nicht anders zu erwarten – bewusst Fremdkörper, dienen als störrische Unterbrecher im nicht enden wollenden Pollesch-Diskurs.

Ein Wal als einsames Bühnenrequisit

Nur ganz selten finden Polleschs Beharrlichkeitsduktus und von Lowtzows Verweigerungspathos tatsächlich zusammen. Am schönsten kurz vor dem Schluss: Ein Wal, der so ziemlich das einzige Bühnenrequisit des Abends ist, hat sich in eine Art U-Boot verwandelt, Martin Gerke mimt den singenden Kapitän im Ausguck, und im Walfischbauch hocken Polleschs drei Schauspieler, hören neugierig zu, werden dabei von einer Handkamera gefilmt, stellen ihre eigene Ratlosigkeit aus.

Der größte Quatsch, den man vor der Uraufführung von „Von einem, der auszog, weil er sich die Miete nicht mehr leisten konnte“ lesen konnte, war, dass Dirk von Lowtzow mit dieser Oper in der Hochkultur angekommen sei. Das ist natürlich Blödsinn. Nicht weil das Stück eigentlich keine Oper ist, sondern weil von Lowtzow keine Opern schreiben muss, um für das zu taugen, was manche immer noch naiv als Hochkultur bezeichnen. Dazu reichen die Songs aus, die er seit Jahren für Tocotronic schreibt – allesamt hochwertige, poetisch-verdichtete Kunstwerke.

Die Lieder, die er für Pollesch geschrieben hat, würden sich, wenn er sie selbst singen und mit Tocotronic spielen würde, kaum vom restlichen Repertoire der Band unterscheiden. Doch diesmal singt er nicht selbst, sondern neben den Schauspielern und Martin Gerke auch der Rundfunk-Kinderchor Berlin. Und anstelle einer Rockband spielt das Filmorchester Babelsberg unter der Leitung Oliver Pohls. Ein bisschen Größenwahn muss erlaubt sein. Das macht bereits die Ouvertüre klar, für die man sich die Pauken und Posaunen bei Richard Strauss’ „Also sprach Zarathustra“ geborgt hat. Tatsächlich ist der tollste Effekt dieses Stücks, die eigenwilligen, fragmentarischen Postmoderne-Diskurse Polleschs auf eine Musik treffen zu lassen, die einem die ganze Zeit Hollywood vorgaukelt.

Zwar hat Dirk von Lowtzow die Lieder getextet und komponiert, für deren pompöse Auftritte ist aber Thomas Meadowcroft verantwortlich, der die Stücke arrangiert und orchestriert hat. Er hat dafür gesorgt, dass die Musiker des Filmorchesters Babelsberg zitathaft kein Klischee auslassen: Sie spielen die Gefühlsverstärker, erschüttern mit dramatischen Blechbläsern, wühlen mit enthusiastischen Streicher-Stakkati auf, verzaubern mit zart gezupften Harfen und sanften Flötenmelodien.

Die komplett mit Lametta verkleidete Bühne von Bert Neumann gibt vor, irgendwie glamourös und funkelnd zu sein. Auch die drei Schauspieler Martin Wuttke, Lilith Stangenberg und Franz Beil (stets begleitet von der Souffleuse Tina Pfurr) sind von Lisa von Mechow in glitzernde Garderobe gesteckt worden. Trotzdem könnte der Kontrast zwischen diesem süffisanten Überwältigungssoundtrack und der Sperrigkeit des Pollesch-Textes kaum größer sein, der eine verquere Schöpfungsgeschichte darstellt, die bei „Adam und Jane“ beginnt und beim Google-Geschäftsbericht noch lange nicht aufhört.

Polleschs Schauspieler haben wieder keine festen Rollen, heißen mal Alraune, mal Jennifer, mal Henry. Martin Wuttke, der im April das letzte Mal den Leipziger „Tatort“-Kommissar Andreas Keppler spielen wird, kann wunderbar verzaust aussehen, zappeln und stottern. Lilith Stangenberg darf selbst Banalitäten im dozierenden Ton vortragen. Franz Beil hat stets überhastet, wild gestikulierend den undankbarsten Job der drei.

Mit diesen Akteuren arbeitet sich „Von einem, der auszog, weil er sich die Miete nicht mehr leisten konnte“ routiniert an den Pollesch-Topoi ab. Es geht um die Geschichten, mit denen Menschen ihren Lebensentwürfen Sinn geben wollen, um das Begehren, um verzweifelte Selbstentwürfe („Ich möchte meine Erregungszustände zu einem befriedigenden Abschluss bringen“), um die Illusion von Individualität und Unaustauschbarkeit: „Das ist die Geschichte von mir und Dingsda“, sagt Wuttke. Und Stangenberg verrät, wie leicht es ist, selbst einen riesigen Wal in einen kleinen Fisch, einen Papagei oder zum Beispiel in einen Kater zu verwandeln: „Einfach die Flosse abschneiden und ein paar Drähte durch die Schnauze bohren – fertig ist die Miezekatze.“

Termine, Karten und Informationen unter: www.volksbuehne-berlin.de