David Byrnefindet die Zukunft spannender als die Vergangenheit. Foto: Warner

Er hält Donald Trump für verrückt und sich selbst für einen realistischen Utopisten: Mit seinem quirlig-eklektischen neuen Album „American Utopia“ verabreicht David Byrne der Welt eine Dosis Zuversicht.

Berlin - Sieht man einmal davon ab, dass das Haar inzwischen grau, ja eigentlich fast weiß ist, so hat sich David Byrne seit den Zeiten vor rund 40 Jahren, als er noch Sänger der Post-Punk-New-Wave-Ikonen Talking Heads („Burning down the House“) war, praktisch nicht verändert. Er ist noch immer der schlaksige, sich etwas linkisch bewegende Mann im graublauen Anzug, der an diesem Nachmittag – auf der Suche nach Handy-Empfang – durch die Hinterzimmer des Veranstaltungszentrums The Venue in Berlin-Neukölln tigert, wo er am Abend seinen Vortrag halten wird. Als er sich nach erfolgreicher Bewältigung seines Anrufs endlich hinsetzt, bleibt Byrne weiterhin sprunghaft, jetzt in verbaler Hinsicht. „Mein Album und ‚Reasons to be cheerful‘ nahmen zur gleichen Zeit Gestalt an“, läutet er die Konversation ein, „und ich dachte erst nicht, dass beide Projekte verwoben sind, aber dann stellte sich genau das Gegenteil heraus.“

An dieser Stelle muss man sich eine plötzliche Pause im Redefluss des überaus sympathischen und keinerlei Berührungsängste hegenden David Byrne vorstellen. Und als er wieder losredet, sagt er: „Meine Songs entstehen eigentlich immer nach Gefühl. In ‚I dance like this‘ zum Beispiel singe ich darüber, wie ich mein ganzes Leben lang versuche, ein besserer Tänzer zu werden. Der Haken dabei ist: Ich kann mir einfach keine Schritte merken, sondern erfinde meine eigenen Schrittfolgen.“ Dass der Song sowohl heiter als auch auf faszinierende Weise dissonant klingt, passe eben zum Tanzthema. „Kann ich tanzen? Nun ja, die einen sagen so, die anderen so. Ich finde Ja. Meine Musik ist seit jeher ziemlich rhythmisch, von daher habe ich schon ein Händchen für Bewegung. Neulich war ich in Brooklyn bei so einem Balkantanzabend. War witzig. Alle hielten sich an den Händen und tanzten im Kreis. Ich mittendrin, bis eine alte Frau mitten im Tanz meine Hand losgelassen hat und stinksauer abhaute. Irgendwas muss ich wohl falsch gemacht haben.“

„Trump ist verrückt, aber er ist nur ein Symptom.“

David Byrne, der ja nicht nur Musiker, sondern nebst vielem anderen auch Buchautor („The Bicycle Diaries“ handelt von seinen Erfahrungen als leidenschaftlicher Radfahrer in Städten, die nicht zwingend auf leidenschaftliche Radfahrer gewartet haben), Verfasser von Theaterstücken und Designer von Fahrradständern ist, lacht immer wieder laut auf, an dieser Stelle besonders. Überhaupt ist das von Brian Eno mitproduzierte „American Utopia“, an dem Byrne bereits vor der Trump-Wahl zu schreiben begann („Die Gräben innerhalb der Gesellschaft werden breiter und breiter. Trump ist sicher verrückt, aber er ist nur ein Symptom, nicht die Ursache“), ein eher heiteres Album für ernste Zeiten.

Vierzehn Jahre ist sein letztes Soloalbum schon alt, zuletzt brachte er 2012 gemeinsam mit St. Vincent „Love this Giant“ heraus – da haben sich zwischenzeitlich so einige melodische Schätzchen in der Kiste des „immer arbeitenden“ Meisters angesammelt. „Every Day is a Miracle“ zum Beispiel klingt so fröhlich wie ein Kinderlied. „Ich mache Pop. Also Songs, die nicht nur irgendwelchen Kunst-Heinis gefallen sollen, sondern den Leuten auf der Straße. Zu Liedern wie ‚Every day is a Miracle‘ oder ‚Everybody’s coming to my House‘ kann jeder Mensch einen Zugang finden. Und mir selbst helfen absurde, lustige Songs, mich dagegen zu wappnen, dass Ärger, Frust und Verzweiflung die Oberhand bekommen.“

„Was ist falsch daran zu träumen?“

David Byrne versteht sich selbst als realistischen Utopisten. „Die Titel meiner Projekte sind fast ein bisschen provokant, das gebe ich zu. Ich versuche, an eine gute Zukunft zu glauben. Aber es ist ein stetiger Kampf. Trotzdem: Was ist falsch daran zu träumen?“ Byrne glaubt an Fortschritt sowie an die Lernfähigkeit des Menschen. In seiner knapp einstündigen „Reasons to be cheerful“-Präsentation zeigt er anhand anekdotischer Beispiele aus aller Welt (Bikesharing, ökologische Initiativen, sinnvolle Drogenpolitik und Ähnliches) auf, dass eine bessere Welt nicht außer Reichweite liegt.

Der in Schottland geborene, aber sein Erwachsenenleben komplett in New York verbracht habende Byrne trägt im Wahlheimatland seinen Teil dazu bei. Auch ganz konkret. „Ich habe mich in den USA seit Jahrzehnten an Wahlen beteiligt, aber das war stets ein illegaler Akt.“ Byrne feixt vor Freude beim Erzählen, er ist erkennbar stolz auf sein Schelmenstück. „Ich habe immer nur meinen Führerschein gezeigt, bis mal jemand sagte: ‚Sie sind doch gar kein Staatsbürger.‘ Ich: ‚Stimmt.‘‘ Ärger gab es keinen, seit 2016 besitzt David Byrne nun auch die US-amerikanische Staatsbürgerschaft und darf ganz offiziell mitwählen.

Nur bei einem einzigen Thema bleibt er komplett sachlich. Die Wiedervereinigung der seit bald dreißig Jahren getrennte Wege gehenden Talking Heads stehe bei aller gegenseitigen Wertschätzung nicht auf dem Programm. „Was Nostalgie angeht, bin ich sehr skeptisch. Immer schon gewesen. Sie führt zu nichts. Die Zukunft ist für mich spannender als die Vergangenheit.“