Gezeichnet: Eine Polizistin in Dallas nach der Schießerei, bei der mehrere ihrer Kollegen getötet wurden. Foto: AP

Nach der neuerlichen Polizeigewalt gegen Schwarze in den USA und dem mutmaßlichen Racheakt in Dallas steht fest: Amerika braucht dringend eine andere Polizei, gerade weil deren Job so gefährlich ist, meint unser Kommentator Michael Weißenborn.

Stuttgart/Dallas - Amerika taumelt unter dem Eindruck dramatischer Bilder aus der texanischen Metropole Dallas: In einer Art Häuserkampf eröffnete mindestens ein Heckenschütze am Rande einer friedlichen Anti-Rassismus-Demonstration das Feuer auf Polizisten, um nach den Worten des örtlichen Polizeichefs „so viele Beamte wie möglich zu verletzen oder zu töten“. Kurz zuvor hatten sich im Internet in Windeseile schockierende Handyvideos von zwei jungen afroamerikanischen Männern verbreitet, die von der Polizei in Louisiana und Minnesota erschossen worden waren. Auch wenn die feigen Polizistenmorde von Dallas Racheakte für die neuerliche Polizeigewalt gegen Schwarze waren, bleiben viele Umstände der Tat im Dunkeln. Auch das Vorgehen der Polizei in Baton Rouge und Falcon Heights ist noch lange nicht aufgeklärt. Vorsicht also vor voreiligen Schlüssen!

Zwei Jahre nach dem Tod eines jungen Schwarzen durch Polizistenhand in Ferguson schaut die Öffentlichkeit genauer hin. Auch das ist ein Grund dafür, dass Zeugen sogleich zu ihren Smartphones greifen und die Vorgänge festhalten. Nur ziehen Politik und Gesellschaft noch immer nicht die richtigen Schlüsse. Beispiel Waffen: US-Polizisten treffen auf eine Nation, die mehr als 300 Millionen Handfeuerwaffen besitzt. Das macht Polizisten verständlicherweise nervös. Denn sie wissen nie, ob ein Verdächtiger in seiner Hosentasche nicht doch nach einer Pistole greift. Daran wird sich so schnell nichts ändern. Denn selbst nach den blutigen Massakern der jüngsten Vergangenheit scheitern auch die mildesten Vorschläge zur Einschränkung des Waffenbesitzes. Viele US-Bürger folgern eher: Höchste Zeit, sich nun auch eine Waffe zu zulegen. Man weiß ja nie.

Schwarze Opfer, weiße Polizisten

Seit Ferguson debattiert Amerika über Polizeigewalt auch verstärkt aus dem Blickwinkel der komplizierten Beziehungen zwischen Weißen und Schwarzen. Aus gutem Grund: Die meisten Opfer sind Schwarze, die meisten beschuldigten Polizisten sind weiß. Da überrascht es nicht, dass eine Mehrheit der schwarzen US-Bürger kein Vertrauen in die Polizei hat und davon überzeugt ist, dass sich das Strafrechtssystem gegen sie richtet. Es ist nicht gut für den sozialen Frieden in einer Gesellschaft, wenn eine Bevölkerungsgruppe den Gesetzeshütern vor allem mit Misstrauen begegnet. Auch die Polizei in den Einwanderungsgesellschaften Europas kann aus diesen Fehlern lernen. Das gestörte Verhältnis zwischen Afroamerikanern und der US-Polizei ist Teil längst nicht überwundener Rassenspannungen. Diese wurzeln tief in der Geschichte Amerikas und sind daher auch nicht über Nacht heilbar.

Trotzdem existieren Möglichkeiten um zu erreichen, dass Polizisten in den USA weniger zur Waffe greifen: Nach Ferguson formulierte eine Arbeitsgruppe des Präsidenten, was zuallererst nötig ist: die Schulung neuer Polizeitaktiken, die Spannungen abbauen statt sie mit martialischem Auftritt und Ausrüstung zu verschärfen; eine konsequente Bestrafung von Polizisten, die Unschuldige töten, sowie Polizeiführungen und eine zivile Aufsicht, die über diesen nötigen Kulturwandel wachen. Fortschritte wurden gemacht, aber zu langsam und zu wenige, wie die gestiegene Zahl von Todesopfern durch Polizisten nahelegt.

Polizisten sind keine Sozialarbeiter

Allerdings vertraut die US-Gesellschaft schon viel zu lange auf Antworten aus dem Strafrecht auf soziale Fragen. Denn natürlich kann die Polizei Obdachlosigkeit, Drogenmissbrauch oder Armut nicht kurieren. Diese Probleme sind aber mit der Polizeigewalt oft untrennbar verwoben. Polizisten sind keine Sozialarbeiter. Auch das muss Amerika einsehen.