Spurensicherung: Die Polizei ist im Juli nach einem Tötungsdelikt in einem italienischen Lokal in der Innenstadt im Einsatz. Foto: 7aktuell.de/Simon Adomat

2022 war ein alarmreiches Jahr in Stuttgart: Es gab zahlreiche Tötungsdelikte, eine Welle von neuen WhatsApp-Betrügereien, rätselhafte Farbanschläge auf Obdachlose – und doch auch ein paar Lichtblicke.

Die Pandemie scheint ihren Griff zu lockern, die Einschränkungen fallen – dafür bricht im Osten Europas ein Krieg aus. Und auch in Stuttgart wird 2022 für Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienst ein alarmträchtiges Jahr. Ein Rückblick auf besondere Momente an Stuttgarts Tatorten und Schauplätzen.

Auf Leben und Tod Ein schwarzer Montag für die Stadt. Und Schwerstarbeit für die Stuttgarter Kripo. Am 11. Juli, zwischen 11.30 und 15.50 Uhr, entdeckt die Polizei gleich zwei Tötungsdelikte – es sind Beziehungstaten an unterschiedlichen Orten. Eine Frau wird von ihrem Ex-Mann getötet, ihre Leiche in einem Firmenparkhaus in Bad Cannstatt zurückgelassen. Und in einem angesagten Lokal in der Innenstadt liegen die Leichen zweier befreundeter Gastwirte.

Wie die beiden 53-jährigen Wirte zu Tode kamen, darüber gibt es auch fast ein halbes Jahr später keine Ergebnisse. „Die Ermittlungen in diesem Fall sind noch nicht abgeschlossen“, sagt der Sprecher der Staatsanwaltschaft, Aniello Ambrosio. Die Männer waren im Untergeschoss eines italienischen Restaurants nahe der Universität offenbar mit Stichverletzungen entdeckt worden – in einem von innen verschlossenen Raum, ohne Anzeichen dafür, dass ein Dritter dabei gewesen sein könnte. Ob der eine seinen Freund und Geschäftspartner umbrachte und sich dann selbst tötete – das bleibt offiziell Spekulation. Bei einem Todesermittlungsverfahren ohne Strafverfolgung wird es keinen öffentlichen Gerichtsprozess geben.

Die Ex-Frau auf der Fahrt erschossen

Bei der zweiten Bluttat des 11. Juli sieht das schon ganz anders aus. Ein 33-Jähriger hat sich nach einer fast einmonatiger Flucht in die Heimat den Stuttgarter Behörden gestellt. Der Deutschtürke soll seine getrennt von ihm lebende 32-jährige Frau, ebenfalls kurdischer Herkunft, bereits in der Nacht zum 10. Juli auf der Fahrt zwischen Bad Cannstatt und Untertürkheim erschossen haben. Im Dezember hat die Staatsanwaltschaft deshalb Anklage wegen Mordes aus Heimtücke und niedrigen Beweggründen erhoben.

Überhaupt hat es 2022 deutlich mehr Tötungsdelikte gegeben. Eine 89-Jährige wird am 4. Januar in ihrer Wohnung im Stuttgarter Norden gefesselt und getötet. Die Tat fliegt auf, weil der Täter in den Räumen Feuer legt. Ermittelt wird ein 35-Jähriger, der sich derzeit vor Gericht verantworten muss. Dabei geht es auch um die Frage, ob der Mann aus Ostafrika wegen einer möglichen psychischen Erkrankung schuldfähig ist oder nicht.

Ein tödliches Drogengeschäft

Ein 44-Jähriger will am 18. Februar in Neugereut einen Streit vor einer Kneipe schlichten – und wird von einem 26-Jährigen mit einem Faustschlag zu Boden gestreckt. Er erleidet tödliche Kopfverletzungen. Der drogenabhängige Angreifer wird später zu fünf Jahren Haft verurteilt. Schüsse fallen am 14. April, an Gründonnerstag, in einem Wohnviertel in der Neckarvorstadt. Ein 33-Jähriger stirbt. Monate später werden vier portugiesische Verdächtige im Alter von 19, 20, 21 und 28 Jahren in Portugal und Frankreich gefasst. Hintergrund der Tat soll ein Streit über ein Drogengeschäft gewesen sein.

Ein Tötungsdelikt in einem Hotel in Untertürkheim an Ostersonntag, 17. April, wird indes zu einem Fall für die Esslinger Kripo – weil die Leiche in deren Zuständigkeitsbereich entdeckt wurde. Der Verdächtige, ein 47-jähriger deutscher Hotelier, soll seinen 59-jährigen Gast wegen dessen Barvermögens mit einer Hantel erschlagen und die Leiche dann mit Helfern in Esslingen-Sirnau in einem Wald entsorgt haben. Das vorerst letzte Mordopfer dieses Jahres ist eine 86-Jährige, die am 16. September in ihrer Wohnung in Bad Cannstatt umgebracht wurde. Die Soko ermittelte später in Münster einen 53-jährigen italienischen Verdächtigen, der zeitweise in dem Mietshaus des Opfers gewohnt haben soll.

Mit Lug und Trug Die kriminellen Geschäfte mit Telefonbetrügereien blühen weiter. Falsche Polizisten zocken weiter Millionensummen ab, indem sie ihre zumeist älteren Opfer in Angst und Schrecken um ihre Angehörigen versetzen. Dabei wird eine relativ neue Masche immer erfolgreicher: der Betrug auf dem Smartphone über den Chatdienst Whatsapp. Der über 20 Jahre Enkeltrick wird auf ein neues Niveau gehoben. Und er funktioniert.

Es beginnt mit einer SMS: „Hallo Mama, das ist meine neue Telefonnummer, du kannst die alte löschen. Kannst du mir eine Whatsapp-Nachricht auf diese Nummer schicken . . .“ Wer nun wirklich Mama ist und die besagte Nummer als Sohn oder Tochter in seine Kontaktdaten im Handy einspeist, hat verloren. Denn bald schon bittet Sohn/Tochter über Whatsapp, eine Rechnung für angeblich gekaufte Computer und Handys online zu überweisen. Da fällt niemand drauf rein? Die Auswertung unser Krimidatenbank zeigt, dass die Opfer bis zu 16 000 Euro zahlen, wie ein Fall am 3. August zeigt.

In Haft und ohne Obdach

Um Hunderttausende Euro geht es dagegen in Sachen Michael Ballweg. Der Gründer der Querdenken-Bewegung soll die Schenkungen seiner Anhänger in großen Teilen für eigene private Zwecke missbraucht haben. Ballweg kommt am 29. Juni in Untersuchungshaft. Angeblich hatte er sich ins Ausland absetzen wollen. Seine Anhänger reagieren mit Protestdemos vor dem Stammheimer Gefängnis.

Menschen und Würde Vom 3. September an werden in der Innenstadt, im Stuttgarter Osten, in Bad Cannstatt, aber auch Obertürkheim schlafende Wohnungslose mit Farbe übergossen. Was erst wie ein Dummejungenstreich aussieht, wächst sich zu einer Serie mit elf Attacken aus. Wer hat etwas gegen Wohnsitzlose, von denen viele nicht einmal Anzeige erstatten? Recherchen unserer Zeitung zeigen, dass es ähnliche Vorfälle zuletzt auch in Köln gegeben hat. Zufall? Gut zwei Wochen später wird ein Verdächtiger gefasst – auf frischer Tat. Der 45-Jährige aus Osteuropa ist selbst ein Obdachloser.

Sie wollen die Menschheit vor der Klimakatastrophe bewahren – und kleben sich auf den Asphalt viel befahrener Bundesstraßen. Wenige Aktivisten, aber ein großer Effekt. Am 31. Januar geht es noch darum, Nahrungsmittel vor dem Wegwerfen zu retten. Dann ist das Klima das Thema. „Wir haben keine Zeit mehr, nur zu mahnen“, sagt ein 27-jähriger Biologiestudent. Dafür ist er bereit, sich anzeigen zu lassen oder gar „in den Knast“ zu gehen. Zunächst verhängt das Amtsgericht Geldstrafen.

Zahlen und Schicksale Die Straßen Stuttgarts sind manchmal ein gefährliches Pflaster. Und doch gibt es bis vor Weihnachten lediglich zwei Unfalltote. Am 14. Juli verunglückt ein 48-jähriger Motorradfahrer in der Engelbergstraße in Weilimdorf tödlich. Am 25. November stürzt ein 85-Jähriger mit seinem Pedelec in der Hölderlinstraße im Westen und stirbt im Krankenhaus. Zudem gibt es fünf Todesopfer bei Bahnunfällen, die nicht zur Verkehrsunfallstatistik zählen– unter ihnen ein sehbehinderter 47-Jähriger, der am 2. Dezember am Halt Stadtbibliothek zwischen zwei Wagen der Stadtbahn stürzte.

Vier Todesopfer durch Brände

Zum Schutz vor Bränden oder gefährlichen Gasvergiftungen in den eigenen vier Wänden empfiehlt die Feuerwehr Rauchmelder und Kohlenmonoxidwarngeräte. Das kann Leben retten – aber nicht immer. Vier Menschen kommen dennoch ums Leben, weil das Feuer zu spät bemerkt wird. Am 25. Januar, 26. Januar und 9. März sterben drei Frauen im Alter von 86, 77 und 76 Jahren sowie ein dreijähriger Bub in ihren Wohnungen in den Stadtteilen Süd, Rohr und West. Auch über der Feuerwehr selbst liegt ein Schatten. Als mutmaßlicher Serienbrandstifter in Stammheim wird am 16. Oktober ein 19-Jähriger festgenommen – ein Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr.

Aber auch Licht statt nur Schatten Der Blaulicht-Alltag 2022 hat aber nicht nur Schattenseiten. Eine Katze etwa wird am 15. Juli mithilfe einer Drehleiter der Feuerwehr von einem Hausdach gerettet und ins Tierheim nach Botnang gebracht. Eine Gänsefamilie, die sich am 29. Juli im Bereich König-Karls-Brücke in Bad Cannstatt auf einem Radweg verirrt hat, wird von einer Streife vorbei an Zäunen bis zum Neckarufer eskortiert. Es heißt, die Tiere wären darüber „gans“ erfreut gewesen. Ziemlich verirrt hat sich auch die Besatzung eines Polizeifahrzeugs, das am 24. August am Schlossplatz plötzlich unfreiwillig abhebt. Ein ausfahrbarer Poller wird zum (Streifen-)Wagenheber. Eine Beförderung der besonderen Art.  

Der Polizeihauptmeister freudig grinst:

„Ich bin jetzt im gehob’nen Dienst!“