Alltag am Hauptbahnhof 1989: Polizisten kümmern sich um einen alkoholisierten Hilflosen. Foto: Kraufmann

Seit 25 Jahren in der Passage unterm Hauptbahnhof: Der Posten in der Klett-Passage hat die Sicherheit erhöht – und auch die Polizei in ein besseres Licht gerückt. Denn es gab eine düstere Vorgeschichte.

Stuttgart - Es ist wie ein Befreiungsschlag. Raus aus der Schmuddelecke, raus aus einer vermeintlichen Strafkolonie für Polizisten, die am Brennpunkt Hauptbahnhof ihrerseits Obdachlose quälen und Kleinkriminelle misshandeln. An Stuttgarts Front der Randgruppen, einer Schattenwelt aus Straftätern, Süchtigen, Verrückten und Verzweifelten, stellen sich die Sheriffs am 5. Mai 1992 erstmals ins Schaufenster: mit nagelneuem Posten, für 1,2 Millionen Mark, umgerechnet 610 000 Euro, umgebaut. Mehr Beamte und mehr Präsenz sollen die Sicherheit verbessern – und auch die Polizei selbst wieder in ein besseres Licht rücken.

„Ein Schmuckkästchen“, so der damalige Polizeipräsident Volker Haas. Die Jahre davor waren die Polizisten in einem Hinterhof an der Lautenschlagerstraße untergebracht, im Abseits, beengt, unterbesetzt. Es gab ständigen Umgang mit einer Klientel, die nicht gerade als Aushängeschild einer Stadt gilt. „Eine stationäre Subkultur aus Strichern, Stadtstreunern, Kiffern, Heroinabhängigen, psychisch Auffälligen“, sagt Peter Kollmannthaler, 1992 der erste Postenführer im Schmuckkästchen im Untergrund.

Roman L. etwa, ein Mann, der Aids hat und schnell ausrastet. Wie auch sein Affe namens Hannes auf der Schulter: sehr bissig. Oder Herr M., als Zündler bekannt und immer wieder in den Toiletten nächtigend oder zündelnd. Oder Herr H. aus dem Bürgerhospital, der zwölf Mercedes-Sterne auf den Tresen legt und gegen Bier eintauschen will.

Ein Betrunkener legt einen Posten lahm

Derweil bei der Polizei: ständige Personalnot. Als ein Reporter im August 1989 nachts mit auf Streife geht, sollten zwei Doppelstreifen und ein Wachhabender im Polizeiposten Arnulf-Klett-Platz in der Lautenschlagerstraße Dienst tun. Doch wegen Urlaub und Abordnung sind statt fünf nur drei Leute im Einsatz. Harry, ein 50-jähriger Wohnsitzloser, der volltrunken an einer Rolltreppe liegt, legt den Posten lahm. Weil er von zwei Beamten zur Ausnüchterung gefahren werden muss, ist der Wachhabende allein im Posten. Er darf niemanden reinlassen, auch keinen Hilfe suchenden Bürger.

Und dann sind da noch die Übergriffe von Beamten, die zwischen 1986 und 1989 die Gerichte beschäftigen. Ausgerechnet ein Schichtführer gehört zu diesen schwarzen Schafen und Schimanskis, die gegen Punks und Betrunkene vorgehen. Ein alkoholisierter Mann wird im Keller des alten Postens an ein Rohr gekettet, wird geschlagen, ein Shampoo in seiner Tasche ausgeleert. Die Polizeiführung reagiert, entzieht dem Innenstadtrevier die Zuständigkeit für den Posten, lässt nur noch erfahrene Freiwillige in die Dienststelle, die im Volksmund schon „Lautenschlägerstraße“ heißt.

An den Engpässen beim Personal ändert sich indes wenig. Auch 1990 sind die Räume mit Kundschaft überfüllt. Die Polizeiführung startet eine Schwerpunktaktion mit Abordnungen aus drei Revieren und Bereitschaftspolizei. Ein Strohfeuer.

Die Chance: Eine Bankfiliale zieht um

Dann wird alles anders: Die Stadt verlegt ihren i-Punkt aus der Klett-Passage hinauf in die Königstraße. Die damalige Landesgirokasse zieht ihre Filiale vom Nordausgang der Passage in den ehemaligen i-Punkt um. Und für die Polizei bietet sich plötzlich die Möglichkeit, dort auf 137 Quadratmetern einzuziehen – und den Hinterhof an der Lautenschlagerstraße zu verlassen. Und weil das Klientel schwierig ist und im Zuständigkeitsbereich pro Jahr etwa 1000 Straftaten verübt werden, wird auch der Personalbestand aufgestockt: Sechs Polizisten sollen pro Schicht rund um die Uhr im Einsatz sein.

Peter Kollmannthaler, der erste Postenführer 1992, hält das Projekt für gelungen. „Wir kannten unsere Klientel und konnten mit ihr umgehen.“ Allerdings haben sich die Zeiten geändert. Man muss seine Pappenheimer nicht mehr kennen, die Kundschaft ist fremder und mobiler geworden. Im Posten, lange Zeit wegen Lüftungsproblemen geschlossen, sitzen nur noch zwei Beamte. Die Streifentätigkeit wird seit 2016 von der Sondertruppe der sogenannten Sicherheitskonzeption Stuttgart übernommen.

Die Lage heute: Alles halb so wild

Das sei personalintensiv und auch in Ordnung, findet Kollmannthaler, inzwischen im Ruhestand. Vizepräsident Norbert Walz hat jüngst dem Gemeinderat klar gemacht, dass der Posten nur noch von 6 bis 20 Uhr geöffnet sein müsse, weil die Arbeit nachts andere Dienststellen erledigen könnten. Die Lage im Jahr 2016: 175 einfache und gefährliche Körperverletzungen, 364 Drogendelikte, 53 Taschendiebstähle. Alles halb so wild.

Dass sich der Posten überlebt hat, glaubt Ex-Chef Kollmannthaler aber nicht. „Man sollte in Notfällen wissen, wo man schnell die Polizei findet.“ Die Polizei sollte daher an Brennpunkten sichtbar sein – und nicht versteckt in einem Industriegebiet.