Michael Kühner vor der Tatortkulisse eines Degerlocher Mordes 1962 Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Uniformen gibt es natürlich auch im neuen Stuttgarter Polizeimuseum. Doch diese neue Institution im Polizeipräsidium auf dem Pragsattel ist mehr eine Galerie, die auch Stuttgarts schaurige Schattenseiten beleuchtet.

Stuttgart - Da hinten steht sie, die schwarze Mülltonne. 1990 hatte sie einen Proteststurm ausgelöst, weil die Stuttgarter Polizei mit ihr Raser in die Falle gehen lassen wollte. In der Tonne war ein Blitzkasten versteckt, für Kameraobjektiv und Blitz waren zwei große Löcher in die Plastiktonne geschnitten. Als unsere Zeitung über diese neue Form der Radarfalle am 2. April 1990 berichtete, brachen bundesweit Proteste los, und die Pläne wanderten – in die Tonne.

25 Jahre später steht die Mülltonne im neuen Stuttgarter Polizeimuseum – einer Galerie mit originalen und originellen Relikten aus 166 Jahren Polizeigeschichte. Verantwortlich zeichnet einer, der 41 Jahre davon in Stuttgart mitmachte – erst als Wachtmeister gegen den Proteststurm der 68er-Bewegung, am Ende als Vize-Polizeipräsident. „Wir haben alles gesammelt, was Polizeiarbeit ausmacht“, sagt Michael Kühner, der 67-jährige Vorsitzende des Polizeihistorischen Vereins.

Alleine durchlaufen geht nicht

120 000 Euro stecken in dem Museum, das auf dem Gelände des Polizeipräsidiums in einem ehemaligen Lager mit 220 Quadratmetern in einem Nebengebäude untergebracht wurde. Große Subventionen gab es keine: Die Räume wurden zwar vom Land zur Verfügung gestellt, der Aufwand für die Exponate wurde aber ehrenamtlich und über Spenden des 230 Mitglieder starken Vereins finanziert. „Den laufenden Betrieb bestreiten wir mit Eintrittsgeldern aus den Führungen“, sagt Kühner. Alleine durchlaufen geht nicht – fünf bis sechs Museumsführer stehen bereit, um die Besuchergruppen durch die Räume zu lotsen. Schließlich kommt es besonders auf die Geschichten hinter den Exponaten an.

Das Erpresserschreiben zum Beispiel. Beim ersten Stuttgarter Kidnapping-Fall 1958 war ein Siebenjähriger in Degerloch entführt und getötet worden. Zu sehen ist das schriftliche Geständnis des 40-jährigen Mörders, ehe er sich in einer Gefängniszelle erhängte. Zu hören ist auch seine Stimme, weil dessen Erpresser-Anruf damals im Rundfunk ausgestrahlt wurde.

In einer Wache der 60er Jahre sind alte Telefone und Alkoholteströhrchen zu begutachten – und ein Tarnschieber. Eine Brusttasche mit einer Tabelle der Codes, mit denen die Einsätze verschlüsselt per Funk durchgegeben wurden. „Uran 1/1, fahren sie in die Hauptstraße, Signal 049.“ Die Zahl 049 stand laut Tabelle für Unfall. An anderen Tagen für Bankraub. „Ein Glückstag war’s für damalige Polizeireporter, wenn ein Beamter so einen Tarnschieber mal auf dem Autodach vergaß“, sagt Kühner.

Zeugnisse von Mord und Totschlag

Wer das Museum besucht, bekommt Zeugnisse von Mord und Totschlag präsentiert. In verschiedenen Themenbereichen gibt es viel zu sehen von Stuttgarts schaurigen Schattenseiten. Nahezu lebensgroß ist der Tatort des ersten Schwulenmords 1962 in Degerloch zu sehen. Der 55-jährige Kaufmann Hans J. hatte den 22-jährigen Hilfsarbeiter Ulrich L. in seine Wohnung genommen. Und lag am Ende tot auf dem Bett. Der Täter flüchtete mit seinem VW Käfer, baute einen Unfall und wurde Tage später am Bodensee festgenommen.

In der Abteilung des Deutschen Herbsts und der Anschläge der Roten Armee Fraktion 1977 findet sich ein handgeschriebener Zettel der inhaftierten RAF-Terroristin Gudrun Ensslin, in dem sie auf eine (danach nie gefundene) orangefarbene Aktenmappe verweist. Ein Film zeigt ein Interview mit den Eltern eines der bei der Schleyer-Entführung erschossenen Stuttgarter Polizisten.

Das Museum zeigt auch ein selbst gebautes Mini-U-Boot, mit dem der sogenannte Telefonzellenbomber 1996 von der Polizei 300 000 D-Mark haben wollte. Der damals 31-jährige Elektroniker aus Eberdingen hatte zwei Bomben detonieren lassen, es gab zwei Schwerverletzte. Er wurde erst Jahre später gefasst.

Nationalsozialismus veränderte auch die Polizei

Der Blick geht aber auch weit in die Geschichte zurück. Da gibt es den ersten Revolvertyp, den die Stuttgarter Beamten erstmals 1912 tragen durften. Damals nur im Nachtdienst und bei der Begleitung Gefangener. „Zuvor war ein Beamter erschossen worden, deshalb die Waffe“, sagt Kühner. Die Polizei als Opfer – aber auch als Täter: Ein eigener Raum widmet sich der Zeit des Nationalsozialismus, der auch die Polizei veränderte. Die einen Mitläufer, die anderen als treibende Kräfte des Nazi-Massenmordapparates.

Am Mittwoch wird das Stuttgarter Polizeimuseum von Innenminister Reinhold Gall offiziell eröffnet. Danach ist der reguläre Museumsbetrieb geplant. Der findet vorerst aber hinter relativ verschlossenen Türen statt. „Zunächst sind wir da aber noch in der Findungsphase“, sagt Vereinsvorsitzender Kühner. Das heißt: Das Museum ist für die Öffentlichkeit nicht so ohne weiteres zugänglich – sondern zunächst nur für Gruppen nach Voranmeldung und Terminvereinbarung. Schließlich könnten sich die Besucher auf dem Gelände des Präsidiums verlaufen – und dann nebenan im echten Polizeigefängnis landen.

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