Wer fremd aussieht, wird in Stuttgart eher kontrolliert. Die Polizei wehrt sich: keine Willkür.
Stuttgart - Anar Mammadov ist in Baku in Aserbaidschan geboren. Seit mehr als zehn Jahren lebt er in Deutschland; seit vier Jahren besitzt der Pianist die Staatsbürgerschaft seiner „zweiten Heimat“. Doch wenn der 37-Jährige der Polizei begegnet, wird er immer wieder daran erinnert, dass er zwar einen deutschen Pass besitzt – aber wie ein Mensch aus Aserbaidschan aussieht.
„Wenn ich mit Bus und Bahn oder zu Fuß in der Stadt unterwegs bin, werde ich regelmäßig ohne Anlass von Polizeistreifen kontrolliert“, erzählt Mammadov. „Die Beamten sind misstrauisch, sie verdächtigen mich wie einen Drogendealer und behandeln mich oft respektlos.“ Wenn er mitten auf der Königstraße oder in der S-Bahn-Station von der Polizei festgehalten wird und die Kontrollprozedur vor den Augen neugieriger Passanten stattfindet, fühlt sich der 37-Jährige „ausgegrenzt und diskriminiert“. Denn so viel steht für Mammadov fest: „Ich werde ausschließlich kontrolliert, weil ich für die Beamten wie ein Ausländer aussehe.“
Migranten spielen im Polizeialltag eine besondere Rolle
„Willkürliche Kontrollen gibt es nicht“, wehrt Stefan Keilbach, Pressesprecher der Stuttgarter Polizei, ab: „Der Umstand, dass jemand keine deutsche Staatsangehörigkeit hat oder Migrant ist, ist für uns kein Kontrollanlass.“ Allerdings habe die Polizei das Recht, an „unter Sicherheitsaspekten neuralgischen Punkten“ auch „verdachtsunabhängig“ zu kontrollieren. Das gelte zum Beispiel für das Umfeld von Bahnhöfen oder in Fußgängerzonen. „Grundlage ist aber stets ein aktuelles, spezifisches Lagebild“, so Keilbach. Das könne eine bundesweite Terrordrohung sein oder auch nur eine Schwerpunktaktion Ladendiebstahl in der City.
Erfahrene Polizisten räumen freilich ein, dass Ausländer und Migranten im Polizeialltag eine besondere Rolle spielten. „Man entwickelt mit der Zeit ein inneres Raster, wo sich ein Zugriff eher lohnt“, erzählt ein Beamter. „Erfahrungswerte und Intuition“, sagt ein anderer. „Die Kollegen arbeiten eben ziel- und erfolgsorientiert“, sagt ein dritter Beamte. Wo Erfahrung in Vorurteile umschlägt, müsse die Polizeiführung „den Daumen draufhalten“.
Fakten sprechen für verstärkte Kontrollen
Aber es gibt auch harte Fakten, die für gezielte Kontrollen sprechen könnten: Nach einer internen Analyse der Stuttgarter Polizei waren im Vorjahr 9079 nichtdeutsche Tatverdächtige an Straftaten beteiligt; das ist ein Anteil an allen Straftaten von 36 Prozent. Verstöße gegen das Ausländer- oder Asylrecht sind dabei bereits herausgerechnet. Bei der Gewaltkriminalität – worunter Mord, Totschlag, schwerer Raub, Erpressung oder Vergewaltigung fallen – waren es 1083 nichtdeutsche Tatverdächtige, was einem Anteil von fast 44 Prozent entspricht. Brisant werden diese Zahlen – die seit zehn Jahren erfasst, aber nie veröffentlicht wurden – durch den Vergleich mit der Stuttgarter Gesamtbevölkerung: Dort beträgt der Anteil nichtdeutscher Mitbürger nur 22,5 Prozent.
„Wir wissen, dass es viele externe Faktoren gibt, die mit Kriminalität nichts zu tun haben, die Analyse aber trotzdem indirekt mit beeinflussen“, sagt Norbert Walz vorsichtig. Der Leitende Kriminaldirektor und stellvertretende Polizeipräsident wehrt sich gegen die oberflächige Betrachtung der internen Statistik. „In den letzten zehn Jahren ist der Anteil nichtdeutscher Tatverdächtiger um ein bis zwei Prozentpunkte zurückgegangen. Dennoch behalten wir die Zahlen als Teil des polizeilichen Lagebilds natürlich aufmerksam im Auge“, versichert Walz.
„Schwarze Haut trifft es unverhältnismäßig oft“
Die Spitze der Stuttgarter Polizei sei für das Thema Umgang mit ausländischen Mitbürgern „sehr sensibilisiert“, sagt Asylpfarrer Werner Baumgarten. An der Basis, im Streifendienst, sei das offenbar nicht immer so. „Wenn ein Mensch bloß etwas anders aussieht, wird er schon kontrolliert“, gibt Baumgarten die Erfahrungen vieler Asylbewerber wieder. „Schwarze Haut trifft es unverhältnismäßig oft“, sagt der Pfarrer. Auch der Rechtsanwalt Roland Kugler, der häufig Mandanten in ausländerrechtlichen Fragen betreut, kann solche Erfahrungswerte bestätigen. Je besser Migranten integriert sind, umso mehr erlebten sie die Polizeikontrollen als Schikane, sagen Baumgarten und Kugler übereinstimmend.
In der Ausbildung der Polizei in Baden-Württemberg ist der Umgang mit Ausländern und Asylbewerbern ein 60-stündiges Pflichtmodul. „Unsere Beamten sollen die besondere Situation dieser Menschen verstehen“, sagt Günter Loos, Pressesprecher im Stuttgarter Innenministerium.
Auch für den Pianisten Mammadov macht der Ton die Musik. „Wenn die Beamten bei ihren Kontrollen nur etwas freundlicher wären, könnte das die angespannte Situation oft schon entkrampfen“, vermutet er.