Landespolizeipräsidentin Stefanie Hinz und Inspekteur Andreas Renner bei den Dreharbeiten für Videos zur Kampagne „Nicht bei uns!“, in der auch Sexismus thematisiert wurde. Die Zeitung des Landeskriminalamtes berichtete mehrseitig darüber. Foto: privat/privat

Innenminister Thomas Strobl (CDU) muss den Skandal um den Inspekteur aufklären und die Polizeibasis mit ihrer obersten Führung versöhnen.

Stuttgart - Natürlich: Bis der Inspekteur der baden-württembergischen Polizei wegen sexueller Belästigung verurteilt ist, gilt die Vermutung, dass Andreas Renner unschuldig ist. Dies zu ermitteln, ist Aufgabe von Staatsanwälten und der Kriminalisten.

Sie dabei zu unterstützen, ist vorrangigste Ausgabe des im Innenministerium angesiedelten Landespolizeipräsidiums (LPP). Gerade deshalb wiegt es schwer, wenn der Eindruck entsteht, die Ermittlungsarbeiten würden verzögert und verdunkelt: Warum wurschtelten die Ministerialen tagelang vor sich hin, als ihn der Vorwurf bekannt wurde und zogen die Stuttgarter Staatsanwälte erst später hinzu? Warum wurden nicht sofort nach den Vorwürfen die dem Inspekteur zur Verfügung gestellten dienstlichen Endgeräte – Handy, Tablet, Laptop, PC – eingezogen und für die Ermittlungen sichergestellt? Warum hat das LPP keine unabhängige Stelle um Hilfe gebeten, an die sich mögliche weitere Opfer mit ihren Erlebnissen mit dem Inspekteur wenden können? Stattdessen müssen sie mit zwei Juristinnen in der Dienststelle vorliebnehmen, in der der Beschuldigte das Regiment führte.

Stattdessen hat das LPP am vergangenen Freitagmorgen zum Dienstbeginn vier Seiten voll mit 25 Formulierungen herausgegeben, mit deren Hilfe Polizeiführer Politikern, Landräten und Bürgermeistern die Affäre um die sexuelle Belästigung erklären sollen. Vor allem Kernbotschaft 6 sagt dabei alles über die Haltung und Werte des Präsidiums : „Dass der Vorwurf bekannt geworden ist, ist ein Beleg dafür, dass unsere Wertekampagne ‚Nicht bei uns!’ innerhalb der Polizei ihre Wirkung entfaltet.“

Tatsächlich? Landespolizeipräsidentin Stefanie Hinz berief ihren Vertrauten Andreas Renner zum Leiter jener Kommission, die den Prozess des Wertewandels in der baden-württembergischen Polizei vorantreiben soll. Zu der Zeit, als Renner eine Hauptkommissarin mit seinen Vorstellungen sexueller Praktiken belästigt haben soll – auch in einem Videotelefonat, das mitgeschnitten wurde. Die jetzt als Kernbotschaft 6 formulierte Formulierung muss in den Ohren dieser Frau und möglicher weiterer Opfer wie Hohn klingen. Ein Schlag ins Gesicht: Der mutmaßliche Täter habe quasi erst ermöglicht, dass sich ein von ihm belästigtes Opfer offenbart habe.

Umso dringlicher stellt sich auch vor diesem Hintergrund die Frage nach den Rahmenbedingungen, unter denen der Inspekteur der Polizei agierte. Nach seinem vom damaligen CDU-Abgeordneten und heutigen Justizstaatssekretär Siegfried Lorek geförderten Weg zum Vizepräsidenten des Landeskriminalamtes, den die FDP parlamentarisch mit einer kleinen Anfrage im September 2019 kritisierte. Seiner Berufung zum Inspekteur 13 Monate später, ohne dass andere Interessenten berücksichtigt wurden. Er war Wunschkandidat der Landespolizeipräsidentin Stefanie Hinz, ihr engster Vertrauter. Die Tuschelei des früheren Polizisten Lorek vor der Landtagswahl im März, die von ihm als Politiker geförderten Spitzenbeamten Hinz und Renner würden für ihn sorgen, würde er nicht gewählt.

Nicht aufgearbeitet sind Renners Rolle in anderen Skandalen der vergangenen Monate wie die Mauscheleien bei der Vergabe künftiger Dienstposten an Spitzenbeamte der Polizei. Oder des seit Jahren fehlenden Datenschutzkonzepts, mit dem eine Bespitzelung von Polizisten in den Schießkinos verhindert wird. Die Liste ließe sich fortsetzen: Baden-Württemberg hat Probleme an der Spitze seiner Polizei. Innenminister Thomas Strobl (CDU) ist jetzt besonders gefordert. Er kann, er muss zuvorderst den Missbrauchsskandal um den Inspekteur transparent für Polizistinnen, Polizisten und Öffentlichkeit aufklären. Jedem Anschein entgegentreten, es würde verzögert, verdunkelt, vertuscht. Dann sind die zahlreichen anderen Feuer auszutreten, die aktuell in der Polizei Baden-Württembergs brennen. Schließlich seine schwierigste Aufgabe: Er muss die Basis der Polizei wieder mit ihrer Führung versöhnen.