Auch fünf Jahre nach dem umstrittenen Polizei-Einsatz ist das Verfahren noch nicht abgeschlossen. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Das Gericht wird sein Urteil im Prozess um die massive Polizeigewalt am Schwarzen Donnerstag in einer Woche verkünden. Es zeichnet sich ein Sieg der klagenden Opfer über das Land Baden-Württemberg ab.

Stuttgart - Im Verfahren um die Rechtmäßigkeit massiver Polizeigewalt gegen Stuttgart-21-Gegner im Herbst 2010 zeichnet sich ein Sieg der klagenden Opfer über das Land Baden-Württemberg ab. Die Polizei sei damals im Schlossgarten mit Wasserwerfern, Schlagstöcken und Pfefferspray gegen eine Versammlung vorgegangen, die vom Grundgesetz ganz besonders geschützt sei, stellte der Vorsitzende Richter Walter Nagel am Mittwoch fest. Das Bundesverfassungsgericht habe bewusst sehr hohe Anforderungen an polizeiliches Vorgehen gegen solche Versammlungen gestellt.

Wenn es sich bei der Menschenansammlung und der Demonstration gegen Baumrodungen auf dem Baufeld für den geplanten Tiefbahnhof am 30. September 2010 im rechtlichen Sinne um eine Versammlung gehandelt hat, erklärte Nagel weiter. Und das sei „aller Voraussicht nach“ so. Dann seien die damals von der Polizei ausgesprochenen Platzverweise nicht möglich - sprich: nicht rechtens - gewesen. Seine Entscheidung will das Gericht am 18. November (10.00 Uhr) verkünden.

„Man soll nicht mit Kanonen auf Spatzen schießen“

Das streng geschützte Versammlungsrecht würde das Polizeigesetz quasi ausstechen. Den Menschen sei es damals nicht nur darum gegangen, die Baumfällungen mit Blockaden zu verhindern, sagte Richter Nagel. Sie habe vielmehr der Protest gegen das gesamte Projekt Stuttgart 21 in den Park getrieben. Die Bäume hätten eine hohe Symbolkraft gehabt. Das alles spreche ebenfalls für eine Versammlung.

Damit zeichnet sich ab, dass der Polizeieinsatz vom Gericht nächste Woche für rechtswidrig erklärt wird. Richter Nagel ließ auch keinen Zweifel daran, dass er den Einsatz von Wasserwerfern und Reizgas damals für unverhältnismäßig hält. Der alte Spruch „Man soll nicht mit Kanonen auf Spatzen schießen“ passe da offenbar ganz gut, sagte Nagel. Nicht mal die Dienstvorschrift der Polizei zum Einsatz der Wasserwerfer rechtfertige die harten Wasserstöße gegen die Demonstranten.

Klären, ob es eine Versammlung war

Sieben Opfer von damals hatten das Land Baden-Württemberg verklagt. Bis heute vermisse man dort „ein Wort der Einsicht“, wie Opfer Edmund Haferbeck am Mittwoch betonte. Auf der Gegenseite hieße es, das Innenministerium wolle eine Entscheidung des Gerichts, um zu klären, ob die Demonstranten damals im Park Grenzen überschritten haben. Das Gericht müsse zweifelsfrei klären, ob es eine Versammlung war. Wird der Polizeieinsatz für rechtswidrig erklärt, dürften bei einigen Opfern die Chancen auf Schadenersatz und Schmerzensgeld steigen. Darüber hätte dann aber das Landgericht zu entscheiden.

Tausende Demonstranten stemmten sich damals gegen Baumrodungen. Als die Räumung misslang, ordnete der damalige Polizeichef Siegfried Stumpf den sogenannten unmittelbaren Zwang an, womit der Einsatz von Pfefferspray, Wasserwerfern und Schlagstöcken freigegeben war. Beim Polizeieinsatz wurden weit mehr als 100 Menschen verletzt. Unter den Klägern am Verwaltungsgericht ist der heute nahezu erblindete Dietrich Wagner, der durch heftige Druckstöße aus einem Wasserwerfer gegen seinen Kopf aus den Augen blutete. Die Ereignisse gingen als „Schwarzer Donnerstag“ in die Landesgeschichte ein.

Das Verfahren am Verwaltungsgericht gilt als letztes Gefecht in der Aufarbeitung des dramatischen Einsatzes. Seit dem „Schwarzen Donnerstag“ gab es mehrere Strafbefehle gegen Polizisten in zwei eingesetzten Wasserwerfern. Auch der damalige Polizeichef und Einsatzleiter Siegfried Stumpf akzeptierte einen Strafbefehl wegen fahrlässiger Körperverletzung. Ein Untersuchungsausschuss des Landtags bemüht sich zudem noch um die politische Aufarbeitung.