Eine Gruppe einer Beweissicherungs Foto: imago images/Lichtgut/Max Kovalenko via www.imago-images.de

Die Nachwuchsorganisation von Bündnis 90/Die Grünen will weniger bewaffnete Polizisten auf der Straße und sie durch Sanitäter und Sozialarbeiterinnen ersetzen. Die Landesregierung Baden-Württembergs distanziert sich von dem Papier.

Stuttgart - Die Landesregierung hat sich von Plänen der Parteijugend von Bündnis 90/Die Grünen distanziert, in denen diese eine teilweise Entwaffnung der Polizei fordert. Demnach sollen weniger Polizistinnen und Polizisten auf der Straße sein. Und von denen, die übrig bleiben, werde nicht mehr „jede Polizeistreife standardmäßig mit Schusswaffen ausgerüstet sein“, heißt es in dem Positionspapier „Polizei neu aufstellen“, dass die Vertreter der grünen Jugendorganisation geschrieben hat. Grün-Schwarz teilte jetzt dem Parlament nach einer Anfrage der FDP mit, „die Positionen des veröffentlichen Papiers nicht zu teilen“.

Nach Ansicht der Grünen Jugend wird die Polizei zu Aufgaben gerufen, denen „speziell geschulte Berufsgruppen besser und effektiver nachkommen könnten“. Zudem habe der Umgang mit Opfern häuslicher Gewalt, mit Fußballfans oder Obdachlosen, Geflüchteten und Suchtkranken oft wenig mit rechtsstaatlichen Idealen gemein. Deshalb sei eine grundlegende Ausrichtung der Arbeit von Polizisten notwendig. Dazu gehörten auch auf den Einsatz von Polizeihunden und -pferden bei Demonstrationen abzusehen und das Vermummungsverbot für Demonstranten abzuschaffen. In spezialisierten Polizeiverbänden wie Spezialeinsatzkommandos (SEK), Beweissicherungs- und Festnahmeeinheiten (BFE) oder dem bayrischen Pendant Unterstützungskommando (USK) offenbarten sich „gefährliche Tendenzen oft in besonderem Maße und führen zusammen mit einem übersteigerten Korpsgeist zu einem Weltbild von ‚wir gegen den Rest der Welt‘, der mit rechtsstaatlichen Prinzipien nicht zu vereinen ist“.

Tausende Fälle brutaler Polizeigewalt?

Es gebe „jährlich Tausende Fälle von brutaler Polizeigewalt, für die sich niemand verantworten muss“. Deshalb will die Jugendorganisation von Bündnis 90/Die Grünen weniger Polizei. Mehr zivile Kräfte wie Sanitäter, Streetworker und psychologische Krisenhilfe sollen statt der Polizei „potenziell bedrohliche Situationen konfliktarm lösen“. Alleine in den vergangenen Wochen „wurden mehrmals Menschen in psychischen Ausnahmesituationen von der Polizei erschossen“, behauptet der Grünen-Nachwuchs.

Insgesamt wurden bislang in diesem Jahr in Deutschland fünf Menschen von der Polizei erschossen. In drei Fällen griffen Bewaffnete mit Messern und/oder Pistolen Familienangehörige, Passanten oder Polizisten an. In einem Fall behauptete ein Geflüchteter, er habe eine Bombe im Rucksack, lief damit auf einen Polizisten zu und drohte, sich in die Luft zu sprengen. Im fünften Fall griff ein psychisch auffälliger Mann in Bremen einen Polizisten mit einem Messer an, nachdem dieser zuvor vergebens versucht hatte, den Mann nach dem Einsatz von Pfefferspray zu entwaffnen.

Weiter fordern die Grünen-Jugendpolitiker bundesweit ein Antidiskriminierungsgesetz, wie es im Sommer für das Bundesland Berlin verabschiedet wurde. Wer in der Hauptstadt von öffentlicher Seite diskriminiert wird – vom Behördengang über Ausweis- und Fahrscheinkontrollen bis zum Umgang mit der Polizei – kann dagegen klagen. Ein Verstoß gegen das Gesetz muss vor Gericht aus Sicht des Betroffenen „überwiegend wahrscheinlich“ glaubhaft gemacht werden.

Kritik von der FDP im Landtag

Innenminister Thomas Strobl (CDU) macht für die Landesregierung in einer Antwort auf die parlamentarische Anfrage der FDP deutlich , dass die ein solches Gesetz in seiner Signalwirkung „kritisch sieht“: auch vor dem Hintergrund der zunehmender Gewalt gegen Polizisten, „die den Staat und die Bürgerinnen und Bürger schützen“. Polizeiliche Maßnahmen orientierten sich in Baden-Württemberg „an den Grundsätzen der Rechtsstaatlichkeit“. Das Handeln von Polizeibeamten „unterliegt der gerichtlichen Kontrolle“, so Strobl.

FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke sagte mit Blick auf die Landesregierung: „In Polizeikreisen registriert man die mangelnde Rückendeckung durch die grünen Kabinettsmitglieder aber ganz genau.“ Im Papier der Jugendorganisation wimmele es an Unterstellungen und Unwahrheiten.

Die Liberalen im Landtag hätten sich auch deshalb ein deutlicheres Bekenntnis der Landesregierung zur Polizei gewünscht. Dass die Grüne Jugend der Polizei „pauschal rassistische und rechtsstaatswidrige Tendenzen unterstellt, schürt Aggressionen gegen Polizeibeamte und gefährdet diese.“ Deshalb sei das Positionspapier ein Schlag ins Gesicht jedes Polizisten, sagt FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke.

Grüner Politiker setzte den Begriff „Stammbaumrecherche“ in die Welt

Den Grünen insgesamt wirft die FDP vor, strukturell mit Unterstellungen und Unwahrheiten gegen die Sicherheitsbehörden Stimmung zu machen: „Erinnert sei nur an einen grünen Gemeinderat in Stuttgart, der bewusst wahrheitswidrig verbreitete, dass die Polizei ‚Stammbaumforschung‘ betreibe, um sich dann genau darüber aufzuregen“, sagt Rülke.

Die Landesregierung macht in der Antwort deutlich, dass sie die Positionen der Grünen Jugend nicht teilt: „Grundlage des Regierungshandelns ist in erster Linie der zwischen den Regierungsparteien geschlossene Koalitionsvertrag. Dieser legt die Rahmenbedingungen fest. In diesem finden sich die Positionen des Papiers nicht.“ Die Nachwuchspolitiker sehen indessen in dem „einen ersten Schritt“ auf dem langen Weg zu einer befreiten Gesellschaft, die Gewalt und Repression als Mittel der gesellschaftlichen Problemlösung Stück für Stück überwinde.