Entsetzen an der Gedenkstätte vor dem Polizeihauptquartier in Dallas Foto: EPA

Polizeichef David Brown versucht seit Jahren, die Rassenkonflikte zu entschärfen, konnte die Eskalation der Gewalt aber nicht verhindern

Dallas - Er wusste offenbar genau, was er tat. Der Todesschütze von Dallas, der in der Nacht zu Freitag fünf Polizisten getötet und neun Menschen verletzt hat, bereitete sich akribisch auf seine Tat vor. Das zumindest glauben die Ermittler aus Texas aus einem Tagebuch des Täters und Angaben von Nachbarn herauslesen zu können. Demnach ging Micah Xavier Johnson wie ein Soldat vor, der er einmal war – und verwirrte damit zunächst die Polizei in der texanischen Großstadt, die lange Zeit glaubte, sie werde von mehreren Schützen angegriffen.

Der 25 Jahre alte Afroamerikaner handelte nach dem Grundsatz „Shoot and Move“. So nennen Militärs in den USA die Taktik eines Schützen, seine Waffe abzufeuern und dann schnell den Standort zu wechseln. Ein Beamter, der für innere Sicherheit im Raum Dallas zuständig ist, sagte US-Zeitungen, dieses Vorgehen habe Johnson in einem Tagebuch beschrieben, das in seinem Haus gefunden worden sei. Während des Angriffs auf die Polizisten in Dallas, die eine friedliche Demonstration gegen Polizeigewalt absichern wollten, ging der Täter nach diesem Muster vor. Er verschanzte sich in einem Parkhaus und feuerte von oben auf die Beamten in den Straßen, wechselte seinen Standort und schoss wieder. Erst nach einem langen Feuergefecht wurde Johnson getötet. Die Polizei setzte dazu einen Roboter ein, an dem ein Sprengsatz angebracht war, der in der Nähe des Schützen explodierte.

Nachbarn von Johnsons sagten den Ermittlern, sie hätten beobachtet, wie Johnson im Garten seines Hauses die Taktik „Shoot and Move“ trainiert habe. In seiner Wohnung fand die Polizei zudem ein umfangreiches Arsenal an Waffen, Munition und Material zum Bau von Bomben.

Der Todesschütze hatte Polizistenmorde angekündigt

Johnson diente von 2009 an mehrere Jahre als Soldat in der Reservetruppe der US-Armee. Von Herbst 2013 bis Sommer 2014 war er im Einsatz in Afghanistan. An Kampfeinsätzen nahm der Mann nicht teil. Wie aus Militärunterlagen hervorgeht, beschuldigte damals eine Soldatin den Texaner, sie sexuell belästigt zu haben.

Nach seiner Rückkehr aus dem Kriegsgebiet habe sich Johnson nicht auffällig verhalten, sagten Schulfreunde. Er habe Scherze gemacht wie immer. „Er war ein guter Kerl“, sagte Jake Hunt, der mit Johnson zu Schule ging: „Ich kann mir überhaupt nicht erklären, wie er das machen konnte.“

Nach Angaben der Polizei hat Johnson kurz vor seinem Tod gesagt, er wollte Weiße, vor allem weiße Polizisten töten, um Vergeltung zu üben. In der vergangenen Woche hatten weiße Polizisten zwei Afro-Amerikaner in Louisiana und in Minnesota erschossen. Klare Beweise, dass sich Johnson radikalen afro-amerikanischen Gruppen angeschlossen hatte, gibt es zwar nicht. Doch auf seiner inzwischen nicht mehr zugänglichen Facebook-Seite waren Hinweise zu sehen, dass er mit diesen Organisationen zumindest sympathisierte.

Ein Mitglied der „People’s New Black Panther Party“ aus Dallas sagte der Zeitung “Washington Post”, er habe Johnson in der Vergangenheit auf mehreren Treffen der Gruppe gesehen, die von Bürgerrechtlern als radikal angesehen wird. Treffen des bewaffneten Arms der Organisation habe Johnson allerdings nicht besucht. Mitglieder der New Black Panther haben bereits mehrere Male in Dallas gegen die Unterdrückung von Afro-Amerikanern in den USA demonstriert und dabei – wie es in Texas erlaubt ist – Gewehre getragen.

Der Gründer einer anderen radikalen Gruppe rief in einem sozialen Netzwerk dazu auf, weiße Polizisten zu töten. „Greift alle an, die blaue Uniformen tragen“, schrieb nach Medienberichten Mauricelm-Lei Millere, der vor einigen Jahren die African American Defense League ins Leben gerufen hat. Milleres Organisation ist zwar winzig, Aufrufe dieser Art könnten aber die angespannte Lage in den USA weiter anheizen.

Ausgerechnet in Dallas setzte die Polizei auf Verständigung

Dass ausgerechnet die Polizei in Dallas von den Anschlägen betroffen ist, lässt sich aus dem Auftreten der Beamten nicht unbedingt erklären. David Brown, Polizeichef von Dallas, ist mehr. Nach den tödlichen Schüssen auf fünf seiner Beamten, ist er eine tragische Figur in einem Land, in dem auch mehr als 50 Jahre nach dem offiziellen Ende der Rassentrennung das Zusammenleben von Afro-Amerikanern und Weißen immer wieder von Gewaltausbrüchen begleitet ist.

Dabei hat der 55 Jahre alte Brown vieles richtig und nur wenig falsch gemacht, seit er vor sechs Jahren die Leitung der Polizei in der texanischen Großstadt übernahm. Als in Städten wie Ferguson noch die Politik der harten Hand in den Polizeitruppen und martialisches Auftreten im Stil des Militärs das Maß aller Dinge waren, hielt Brown seine etwa 4000 Polizisten bereits an, sich im Zweifel zurückzuhalten. Er befahl ihnen, sich bürgernah zu geben, zu Fuß auf Streife zu gehen und die Dienstwaffe im Holster stecken zu lassen, wann immer es gehe. Das brachte dem bulligen Mann, der eine auffällig große Hornbrille trägt, viel Ärger im eigenen Laden ein, aber auch viel Lob.

Dallas sei ein Vorbild für andere Städte in den USA, sagt Chuck Wexler, der ein Polizei-Forschungsinstitut in Washington leitet. Zumindest war die Stadt das bis zum vergangenen Freitag: „Es ist ironisch, dass dieser Verrückte sich Dallas ausgesucht hat, eine der Städte, die führend ist bei der Reduzierung von Polizeigewalt.“

Der Sohn des Polizeichefs hat selbst einen Polizisten auf dem Gewissen

Es hat einen sehr persönlichen Grund, dass der Polizeichef von Dallas zu den Reformern der Polizeiarbeit in den USA gehört. Denn im Jahr 2010 erschoss Browns Sohn einen Polizisten und einen Zivilisten, bevor er selbst von einem Beamten erschossen wurde. Vater Brown war geschockt und sagte: „Das tut so weh, dass ich die Trauer, die ich meinem Herzen trage, nicht annähernd mit Worten beschreiben kann.“ Ähnlich ließ sich der Polizeichef auch am Freitag vernehmen, als er kurz nach dem Feuergefecht der Polizei mit Micah Xavier Johnson sagte, seine Beamten hätten unter Einsatz ihres Lebens für die Sicherheit von Zivilisten gesorgt, ohne sich vor den Schüssen schützen zu können. „Diese Entzweiung zwischen Polizisten und Bürgern – sie muss aufhören.“ Brown klang gefasst, aber der Schock war ihm wieder anzusehen.

Es lässt sich noch nicht sagen, ob der Appell Browns Wirkung zeigt. Die Demonstrationen, die am Wochenende in vielen Städten der USA stattfanden, deuten eher darauf hin, dass es noch lange dauern wird, bis der Horror überwunden ist. Ein Republikaner twitterte sogar: „Das ist jetzt Krieg. Pass auf, Obama. Passt auf, ihr Armleuchter von Black Lives Matter. Das wahre Amerika ist euch auf den Fersen.“ Auf der anderen Seite protestierten wieder Tausende von Afro-Amerikanern gegen Polizeigewalt, und im Bundesstaat Georgia schoss ein junger Mann auf einen Polizisten. Präsident Barack Obama wird am Dienstag in der Stadt erwartet. Er klang fast verzweifelt, als er jetzt sagte: „Ich glaube fest daran, dass Amerika nicht so gespalten ist, wie es manche darstellen.“ Die Morde von Dallas haben eine klaffende Wunde gerissen.

Dabei schien der Heilungsprozess zumindest in der texanischen Stadt erfreulich zu verlaufen. Die Zahl der Fälle, in denen die Polizei Waffengewalt anwendete, sank seit dem Amtsantritt von David Brown von Jahr zu Jahr. Zwar erschossen Polizisten in Dallas vor zwei Jahren einen geistig verwirrten Mann, der nur einen Schraubenzieher in der Hand hielt. Doch viele Beobachter glaubten, dass sich zwischen Polizei und vor allem afro-amerikanischer Bürgerschaft so etwas wie ein Vertrauensverhältnis bildete. Das ist für US-Verhältnisse, wo die Feindschaft zum Teil Jahrzehnte währt. ein Wert an sich.