Anette F. im Freiburger Landesarbeitsgericht Foto: dpa/Philipp von Ditfurth

Eine Polizeiärztin ruft zum „Widerstand“ gegen „Zwangsimpfung“ auf und setzt das Infektionsschutzgesetz mit dem Ermächtigungsgesetz gleich. Das Land kündigt ihr. Zu Recht? Darüber hat nun das Landesarbeitsgericht entschieden.

Freiburg - Wer das vom Deutschen Bundestag beschlossene Infektionsschutzgesetz mit dem sogenannten Ermächtigungsgesetz vom 24. März 1933 auf eine Stufe stellt, kann nicht Ärztin im Dienst der baden-württembergischen Polizei bleiben. Dies hat nach dem Arbeitsgericht nun auch das Landesarbeitsgericht in Freiburg bestätigt. Eine Lahrer Ärztin hatte diese Gleichung in einer Zeitungsanzeige am 17. November 2020 in einem Ortenauer Gratisblatt aufgestellt und zum „Widerstand“ gegen „Zwangsimpfung“, „Wegnehmen der Kinder“ und „Gefängnis“ aufgerufen. Tags darauf stand die Änderung des Infektionsschutzgesetzes mit der Feststellung einer Pandemie von nationaler Bedeutung im Bundestag zur Abstimmung.

Anette F., die seit November 2019 für die Lahrer Polizeischule Bewerberinnen und Bewerber auf ihre gesundheitliche Eignung untersuchte, wurde im Februar 2021 fristgerecht gekündigt, mit der Begründung, gegen eine „gesteigerte politische Treuepflicht“ für Angehörige des öffentlichen Dienstes verstoßen zu haben. Sie habe die demokratischen Staatsorgane mit dem Begriff „Ermächtigungsgesetz“ verächtlich gemacht.

Zweite Niederlage für Polizeiärztin

Den Widerspruch gegen die Kündigung wies das Arbeitsgericht Freiburg, Kammer Offenburg, zurück, auch die Verhandlung am Mittwoch vor dem Landesarbeitsgericht in Freiburg endete mit einer Niederlage für die Medizinerin, die seit Beginn der Pandemie nach eigenen Angaben 84 Protestversammlungen in Lahr initiiert und geleitet hat. Auf den meist mäßig besuchten Kundgebungen leugneten Anette F. und andere Redner die Pandemie zum Teil oder gänzlich und stellten Maßnahmen dagegen als unwirksam oder lachhaft dar. Im Gerichtssaal in Freiburg bestritt F., dass sie die Pandemie leugne. „Das ist eine Krankheit“, erklärte sie, „aber dagegen wird mit nicht medizinischen Maßnahmen angegangen.“

Doch auf Medizinisches oder auf die Frage, ob künstliche Beatmungen bei Coronafällen schädlich seien, ließ sich das Arbeitsgericht nicht ein. „Die Wortwahl ist entscheidend. Es gibt niemanden, der Abitur hat und nicht weiß, was das Ermächtigungsgesetz war“, stellte die Vorsitzende Richterin Birgit Zimmermann klar. F. sagte, sie habe „doch nicht über das Dritte Reich sprechen wollen, sondern über heute“, und solche „Schlagwörter“ seien eben nötig, „damit es die Leute auch lesen“.

Ärztin stellte auch falsche Gesundheitsatteste aus

Für ihren Arbeitgeber, das Präsidium Technik, Logistik, Service der Polizei des Landes Baden-Württemberg, wurde die Halbtagskraft aber nicht nur wegen dieser Anzeige zur Belastung. Es habe, so erklärten die Anwälte des Landes, auch zunehmend Unbehagen bei der Polizei gegeben, je mehr die Polizeiärztin in der Öffentlichkeit stand.

Nachdem bekannt geworden war, dass die Staatsanwaltschaft Offenburg wegen der Ausstellung falscher Gesundheitszeugnisse ermittelte, schickte das Land der fristgerechten Kündigung im August 2021 eine fristlose hinterher. Im darauffolgenden Prozess sah es das Landgericht Lahr als erwiesen an, dass die nebenbei als Osteopathin und Heilpraktikerin tätige Polizeiärztin in mindestens sieben Fällen Atteste zur Befreiung der Maskenpflicht ausgestellt hatte, ohne dass ein medizinischer Grund vorlag oder eine Untersuchung stattgefunden hatte.

Das Urteil zu den Attesten ist noch nicht rechtskräftig, die Ärztin hat Berufung eingelegt. Der Rechtsweg vor dem Arbeitsgericht hingegen ist erschöpft, eine Revision vor dem Bundesarbeitsgericht wurde nicht zugelassen.

Vergleich mit Beginn der Nazidiktatur

Ermächtigungsgesetz
Mit dem Ermächtigungsgesetz vom 24. März 1933 (Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich) ging die gesetzgebende Gewalt de facto vollständig an Adolf Hitler. Es war die Grundlage zur Aufhebung der Gewaltenteilung und ermöglichte alle darauf folgenden Maßnahmen zur Festigung der nationalsozialistischen Diktatur.

Druck bei Abstimmung
Vor der Abstimmung im Reichstag waren viele Oppositionelle – vor allem Kommunisten – ausgesperrt, auf bürgerliche Parteien wie das katholische Zentrum wurde massiver Druck ausgeübt. Die SPD stimmte als einzige Partei dagegen. Auch zuvor schon beschlossene Ermächtigungsgesetze der Weimarer Republik hatten den Weg in den autoritären Staat geebnet.