Wurde das Wildschwein in Sachsenheim durch eine Jagd in den Ort getrieben? Foto: dpa

Das Wildschwein, das am Samstag zwei Menschen in Sachsenheim verletzt hat, ist möglicherweise durch eine Drückjagd in den Ort getrieben worden. Die Polizei ermittelt, doch niemand will schuld sein.

Sachsenheim - Am Sachsenheimer Bahnhof passiert selten etwas Weltbewegendes. Im Jahr 1893 entgleiste ein Zug des Orientexpresses, heutzutage hält täglich eine Regionalbahn. Doch jetzt, am vergangenen Samstag, geschah um 10.30 Uhr hier etwas Ungewöhnliches: Ein aggressives Wildschwein tobte über das Gelände. Es richtete eine Spur der Verwüstung an und verletzte zwei Menschen. Die Polizei ermittelt, ob eine Drückjagd in den Wäldern das Tier in den Ort getrieben hat.

Klar ist, dass das Wildschwein ungewöhnlich aggressiv auftrat. „Offenbar war es in Panik“, sagt der Polizeisprecher Peter Widenhorn. So friedlich das Borstenvieh auch aussieht, Wildschweine können sehr gefährlich werden. Das erkannte eine Passantin, die geistesgegenwärtig die Polizei rief und sich gerade noch in einen Bus retten konnte. Ein 74-jähriger hatte weniger Glück: Das Wildschwein griff ihn an, der ältere Mann wurde schwer verletzt und musste mit einem Rettungswagen ins nächste Krankenhaus gebracht werden.

Wildschweine sind gefährlich, wenn sie in Panik geraten

„In solchen Situationen sind die Tiere kopflos“, sagt Klaus Lachenmaier, Referent für Wildtiere beim Landesjagdverband, „sie schnappen mit ihren Eckzähnen. Dadurch können tiefe Wunden entstehen.“ Ein Bahnhof mit durchfahrenden Zügen und vielen Menschen sei für die Tiere eine Umgebung, die ihnen Angst mache. „Eigentlich sind Wildschweine nicht aggressiv und weichen Menschen aus“, sagt Lachenmaier. Wenn sie sich in die Enge getrieben fühlen, keilen sie aus und fliehen.

Mit der Attacke auf den 74-Jährigen war der Irrlauf des Tieres noch lange nicht beendet. In der Bahnunterführung sah ein Kind sich plötzlich dem Schwarzkittel gegenüber. Zum Glück war inzwischen auch die Polizei da. „Die Beamten schalteten das Martinshorn ein“, berichtet Polizeisprecher Widenhorn. Daraufhin gab die wildgewordene Wutz Fersengeld.

Das Tier galoppiert durch die Stadt

Wie von Sinnen galoppierte sie durch den Ort, im Osten Großsachsenheims bog das Tier in die Burkauer Straße ein und rannte auf ein Wohnhaus zu. Dort versuchte es, gegen 10.50 Uhr eine Terrassentür einzudrücken. Auch das überrascht den Tierexperten vom Landesjagdverband nicht: „Sie suchen Schutz, hinter Ecken oder Büschen oder in offenen oder verglasten Türen“, sagt Klaus Lachenmaier.

Zwar durchbrach das Wildschwein die Tür nicht, doch ein Kind in dem Zimmer dahinter wurde durch Glassplitter verletzt. Inzwischen war die Polizei mit sieben Streifenwagen und einem Hubschrauber im Einsatz. Mit dem Helikopter verfolgten sie den weiteren Weg des Tieres, das in den Wald in Richtung des Stadtteils Horrheim lief. Dort traf es auf eine Rotte von Artgenossen. „Hier beruhigte sich das Tier“, sagt die Polizei. Gut zwei Stunden dauerte der Einsatz, zwei Verletzte, so die Bilanz.

Die Polizei ermittelt gegen die Jäger

Bleibt die Frage, wie das panische Tier mitten in den Ort kam. Die Polizei vermutet einen Zusammenhang mit einer Drückjagd, die in den Wäldern rund um Sachsenheim am Samstag stattfand. „Wir ermitteln in diese Richtung“, sagt Widenhorn. Beantragt hat ein privater Jäger die Drückjagd beim Landratsamt – der Mann stammt allerdings nicht aus dem Kreis der offiziellen Sachsenheimer Jagdpächter.

Beim Landratsamt erklärt ein Sprecher, man sei nur für die Straßensperrung zuständig: „Für den Ablauf der Jagd trägt der Veranstalter die Verantwortung.“ Auch bei der Stadt Sachsenheim heißt es: Nicht unsere Baustelle. Bei der Kreisjägervereinigung verweist man auf die Vorschriften für Drückjagden, die derzeit überall im Land stattfinden. „Die Sicherheit hat immer Priorität“, sagt Matthias Grünewald, der Vize-Kreisjägermeister. Er kann sich für den Vorfall in Sachsenheim mehrere Ursachen vorstellen: „Das Tier muss nicht unbedingt durch die Drückjagd aufgeschreckt worden sein, häufig werden sie von Spaziergängern gestört.“

Für Drückjagden gelten strenge Vorschriften

Welche Regeln gelten für solche Drückjagden? „Die Wälder müssen mit Schildern abgesperrt sein, um Spaziergänger oder Radfahrer zu schützen“, erklärt Verena Menauer, die Sprecherin des Landesjagdverbandes. Es gebe ein umfangreiches Regelwerk. Dennoch – die Tiere sollten bei Jagden nicht in Wohngebiete getrieben werden. „Wenn das passiert, ist etwas schiefgelaufen“, sagt der Referent Klaus Lachenmaier. Vorfälle mit Wildschweinen nehmen jedenfalls zu. Das hat man auch beim Polizeipräsidium Ludwigsburg beobachtet, wie Peter Widenhorn bestätigt: „Es gibt immer mehr Einsätze, weil es immer mehr Wildschweine gibt.“

Auch der Landesjagdverband bestätigt dies. Das Problem ist aus Sicht der Jäger nicht, dass die Lebensräume der Borstentiere immer kleiner werden – sondern dass die Populationen stark zunähmen. „Dann gibt es Exkursionen in Vorgärten“, sagt Klaus Lachenmaier, „nur bekommen wir von 99 Prozent der Ausflüge nichts mit.“