Blick in die Wache des Reviers Gutenbergstraße bei der Eröffnung 2012. Foto: Petsch

Einfach mal so eine Anzeige am Tresen bearbeiten? In Stuttgarter Polizeirevieren kann das schon mal vorkommen. Für Datenschützer ist das aber ein klarer Verstoß gegen gesetzliche Regelungen.

Stuttgart - Der Autobesitzer ist zutiefst verärgert. Tiefer noch als der kräftige Kratzer, den ein Unbekannter mit großer Kraft in den Lack seines Wagens gezogen hat. 1500 Euro Schaden dürfte bei der Tat an einem Nachmittag in einer Tiefgarage an der Sulzerrainstraße in Bad Cannstatt entstanden sein. Seit Jahresbeginn häufen sich die Fälle, in der Region liegt der Schaden seit Jahresbeginn bei einer halben Million Euro. Der Geschädigte fährt am frühen Abend zum Polizeirevier, das seiner Wohnadresse im Stuttgarter Westen am nächsten liegt. Dort, im Revier Gutenbergstraße, steigert sich sein Ärger noch.

Im größten Polizeirevier Stuttgarts herrscht an diesem Tag, einem Dienstag gegen 18 Uhr, Hochbetrieb. Alle haben zu tun, der Vorraum ist mit mehreren Besuchern gefüllt, und der geschädigte Autobesitzer wird am Tresen von einem Polizeibeamten abgefertigt. So empfindet er es zumindest. Dabei gehe es weniger darum, dass der junge Beamte sich grußlos und mit einer gewissen Gleichgültigkeit seines Falles annimmt. „Aber dass er vor dem ganzen Publikum meine Personalien, Name, Adresse, Telefonnummer, Familienstand, Autokennzeichen abfragt, das hat doch mit Datenschutz nichts mehr zu tun“, sagt der Betroffene.

Und was ist in einem Revier die Regel?

Der Protest des Anzeigeerstatters hilft wenig. Der Polizist will auch nicht in einen Nebenraum ausweichen: „Er sagte, es gäbe keine andere Möglichkeit“, sagt der Betroffene. Er solle es doch auf einen Zettel schreiben, soll einer der Besucher geraten haben, die alles interessiert mitverfolgten. Ist der Mann etwa überempfindlich? Ist sein Empfinden für Datenschutz übertrieben? Ist es denn nicht wichtiger, die Strafanzeige wegen Sachbeschädigung über die Bühne zu bekommen?

Polizeisprecher Stefan Keilbach betont, „dass dieser Ablauf in einem Revier nicht die Regel ist“. Datenschutz sei ein hohes Gut, und in der Regel suchten die Beamten mit dem Anzeigeerstatter einen Schreibraum oder ein Vernehmungszimmer auf. Tagsüber versuche man sogar, den mit den jeweiligen Fällen spezialisierten Sachbearbeiter einzuschalten. Die für die Reviere zuständige Direktion beim Stuttgarter Polizeipräsidium habe festgestellt, dass es wegen mangelnder Diskretion in den letzten Jahren keine Beschwerde gegeben habe.

Plötzlich ist die Hölle los

Allerdings sei es durchaus vorstellbar, dass bei einer Vielzahl von Außeneinsätzen eine Dienststelle nur knapp besetzt sei. Wie etwa an jenem Abend: Das größte Revier hatte vier Streifenbesatzungen im Dauereinsatz – Unfall, Schwarzfahrer, Meldung über einen Verdächtigen, ein Zivilrechtsstreit, ein Betrunkener. Zwei Beamte des Bezirksdienstes seien im Büro mit dem Fall einer häuslichen Gewalt beschäftigt gewesen. Den Publikumsverkehr hätten ein Dienstgruppenleiter, ein Wachhabender und zwei Beamte einer Streife, die extra zurückbeordert worden sei, abgewickelt.

„Da ist dann plötzlich mal die Hölle los“, sagt Polizeisprecher Keilbach, „und dann muss man schauen, wie man die Dinge situationsangepasst regeln kann.“ Da müsse man vorsortieren, was besonders dringlich ist. Natürlich könne man Betroffene auch bitten, zu einem anderen, ruhigeren Termin wiederzukommen.

Was der oberste Datenschützer feststellt

Doch beim Datenschutz ist nicht nur die Sensibilität der Bürger gestiegen – sondern auch die gesetzlichen Anforderung. Und die ist eindeutig: „Die Datenschutzgrundverordnung gilt seit Mai 2018“, sagt der Landesbeauftragte für Datenschutz, Stefan Brink, „und demnach ist die Polizei bei der Datenerhebung verpflichtet, dass keine Dritten Informationen aus Gesprächen am Schalter mitbekommen.“ Die Behörde müsse hierfür technische, bauliche und organisatorische Maßnahmen treffen. „Das Mindeste“, so Brink, „ist es, in einen separaten Raum zu gehen, um wenigstens private Zuhörer rauszuhalten.“

Dies gelte für die Polizei wie für Geschäftsräume von Krankenversicherungen oder Banken. Würde die strengste Stufe der Datenschutzgrundverordnung beachtet, dürften nicht einmal andere Polizeibeamten bei der Anzeige zuhören. „Ein Polizist, der nicht mit dem Fall befasst ist, muss auch keine Daten mitbekommen“, so Brink.

Sollte die Polizei in ihren Dienststellen öfters „situationsangepasst“ gehandelt haben, wird sie hier wohl umdenken müssen. Denn auch die Datenschützer können sich eine Art Polizeimütze aufsetzen: „Wenn es Beschwerden gibt“, sagt Stefan Brink, „können wir als Aufsichtsbehörde Vorgaben machen und verbindlichen Anordnungen treffen.“