Reichsbürger erscheinen durch ihr skurriles Weltbild zunächst als Kuriosität. Ihre häufig rechtsextremistische Gesinnung und Staatsfeindlichkeit macht sie jedoch zum Beobachtungsfall des Verfassungsschutzes. Foto: imago images//Rolf Zöllner

Im Zuge der Coronapandemie ist unter den Gegnern der Regierungspolitik eine Gruppe ins Licht der Öffentlichkeit geraten, die „Reichsbürger“ genannt werden. Um was für Menschen handelt es sich?

Viele Jahre wurde dieses Verhalten belächelt. Menschen setzen Grenzsteine um ihr Haus und erklären es zu einem autonomen Staat. Der Hausherr erklärt sich zum Staatsoberhaupt, erfindet sich einen Titel und gestaltet seine eigenen Urkunden. Der eine Reihenhausstaat erkennt feierlich den Einfamilienhausstaat aus dem Nachbardorf an. Ein Stammtischfreund wird Untertan und bekommt einen fantasievoll gestalteten Personalausweis. Skurrile Geschichten für Unterhaltungsfernsehen oder Smalltalk.

Was ist typisch für das Verhalten von Reichsbürgern?

Sehr langsam kam die Erkenntnis, dass diese Entwicklung keineswegs Spaßcharakter hat. Unter den selbst gemachten Urkunden waren plötzlich Führerscheine, die selbstbewusste Autofahrer nutzten, die ihren echten Führerschein verloren hatten. Nicht versicherte Autos mit selbstgemalten Nummernschildern tauchten auf den Straßen auf.

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Vermeintliche Bürger von Fantasiestaaten weigerten sich Steuern zu zahlen, sie seien keine Bürger der Bundesrepublik mehr und erkennen damit auch die Finanzämter nicht mehr an. Bis hin zu der Auffassung, dass die Gründung der Bundesrepublik rechtlich ungültig sei und statt ihrer das Deutsche Reich fortbestehe. So hat sich die Bezeichnung „Reichsbürger“ schon in den 80er Jahren etabliert.

Was macht die Reichsbürger zu einem Problem für den Staat?

Ein ernsthaftes Problem wurden die Reichsbürger für Verwaltungen, die mit dieser Verweigerungshaltung umgehen mussten. Die Szene hat massiv bürokratische Prozesse missbraucht, um Verwaltungen zu überlasten und sich so gegen Steuern und Bußgelder zu wehren. Einzelne Gerichte müssen mehrere hundert Reichbürgerprozesse pro Jahr bearbeiten.

Darunter sind Teils simple Bußgeldverfahren, teils leiten die Reichsbürger selbst abstruse Verfahren ein. Diese Prozesse werden ungemein kompliziert, da zur Identifikation Fantasieausweise mitgebracht werden, die Legitimität der Richter angezweifelt oder die Prozesse mit einer hohen Zahl Beiwohnender gestört werden.

In den meisten Verwaltungen der Republik ist bekannt, wie lähmend eine Flut von Einwendungen, Beschwerden oder Anträgen einer Reichbürgergruppe sein kann. Ein Antrag hat keine zwei Absätze, sondern gerne mal 20 Seiten. Auch wenn die Sinnlosigkeit des Vorgangs schnell absehbar ist, muss jedes Anliegen ernsthaft geprüft und bearbeitet werden. „Papierterror“ nennen die Leidtragenden das, in Baden-Württemberg hat der Verfassungsschutz ein Handbuch für die Mitarbeiter des Landes herausgegeben, das Empfehlungen zum Umgang mit Reichsbürgern gibt.

Sind Reichsbürger für die Bürger eine Gefahr?

Bedrohlicher noch als solche Sabotageaktionen sind für die Mitarbeiter der Verwaltungen Drohungen im Privaten. Die Szene hat Mechanismen entwickelt, um Menschen zu verunsichern und einzuschüchtern. Dazu gehören pseudojuristische Schreiben mit verklausulierten, aber für die Betroffenen deswegen nicht weniger belastenden Drohungen, teils offene Drohbriefe und vor allem eine ganz spezielle Masche: Mahnbescheide über hohe Summen. Ein erfundenes Mahnverfahren wird in Malta eingereicht und in einem EU-Verfahren als echter Schuldtitel nach Deutschland zurückgestellt. Diese Angriffe können an sich leicht abgewehrt werden, verunsichern die Menschen jedoch stark und verursachen Arbeit.

Dass eine Gruppe offen Rechtssystem und Staatsorgane ablehnen sollte ernste Konsequenzen haben, dennoch schreibt die Bundesregierung noch im Juni 2016: „Die Reichsbürgerszene ist zersplittert und vielschichtig. Es agieren vielfach Einzelpersonen oder Kleingruppen, denen eine bundesweite Relevanz fehlt. Bei Aktivitäten der Reichsbürger stellt sich zudem immer wieder die Frage der Ernsthaftigkeit der politischen Bestrebung.“

Das Bundesamt für Verfassungsschutz, damals noch unter Präsidentschaft von Hans-Georg Maaßen, geht im Kern von nicht miteinander vernetzten Einzelfällen aus, eine Erhebung der Anzahl der Reichsbürger oder systematische Erfassung der Aktivitäten gibt es nicht.

Wie rechtsextrem und gewaltbereit ist die Reichsbürgerszene?

Im Oktober 2016 ändert sich die öffentliche Wahrnehmung der Szene bundesweit schlagartig. Während des Versuchs der bayrischen Polizei, die Schusswaffen eines rechtsextremen Reichsbürgers in Georgensmünd zu beschlagnahmen, eröffnet dieser das Feuer. Ein Polizist verliert sein Leben, drei weitere werden verletzt.

Beunruhigend ist die weiterhin hohe Zahl von Schusswaffen im Besitz von Reichsbürgern. Nach heutigem Stand besitzen bundesweit noch 550 als Reichsbürger eingeordnete Menschen die Erlaubnis, Waffen zu besitzen. Seit 2016 wurden 880 Szeneangehörigen diese Erlaubnis zum Erwerb von Schusswaffen entzogen.

Was viele Jahre belächelt wurde ist nun festes Arbeitsfeld beim Verfassungsschutz: „Reichsbürger und Selbstverwalter“. Heute sind dem Verfassungsschutz bundesweit 20.000 Reichsbürger bekannt, davon gelten 1000 als rechtsextrem. In Baden-Württemberg agieren verschiedene Reichbürgergruppen, dazu gehören der „Freie Volksstaat Württemberg“, die „Republik Baden“ und das „Indigene Volk der Germaniten“. Im Ländle werden 3300 Reichsbürger angenommen.