Führungsfiguren: Glenn Beck - Babyspeck, lebendige Augen, kurze graue Augen: Das Besondere an dem konservativen Radio- und Fernsehmoderator Glenn Beck ist, dass er nichts Besonderes sein will. Sein Markenzeichen: Immer wieder kämpft er in seinen Sendungen beim rechten Sender Fox News mit dem Schluchzen. Der 46-Jährige war nicht immer ein Konservativer. Aus ärmlichen katholischen Verhältnissen verfällt er früh dem Alkohol. Nach Entzug und zweiter Ehe schließt er sich den Mormonen an. Mit seinen Verschwörungstheorien vom nahen Ende Amerikas zieht der Held der Tea-Party-Bewegung in seinen Sendungen ein Millionen-Publikum in seinen Bann. Foto: dpa

Der neue deutsche Protest hier und die Tea-Party-Bewegung in den USA - eine Betrachtung.

Stuttgart - Der neue deutsche Protest hier und die Tea-Party-Bewegung in den USA - Ursachen und Motive der beiden politischen Phänomene mögen verschieden sein. Doch der Vergleich zeigt, dass in beiden Fällen die Reformfähigkeit der Demokratie auf dem Spiel steht.

"Es ist ein wenig, wie wenn ein blinder Mann versucht, einen Elefanten zu beschreiben", meint der amerikanische Historiker Alan Brinkley über die neuen bunt zusammengewürfelten Protestler der Tea-Party-Bewegung in den USA. Die Bewegung existiere genau wie der Elefant. Aber niemand, nicht einmal die Tee-Parteiler selbst, könnte das Ganze so richtig umfassen. Ähnliches ließe sich auch über die neuen deutsche Bürgerproteste sagen. Und doch zählen beide Phänomene zweifellos zu den markantesten politischen Trends des vergangenen Jahres. Ob Tea-Party-Bewegung und der neue deutsche Bürgerprotest auf Dauer angelegt sind, wird nur die Zukunft zeigen. Bisher zeigen beide kaum Ermüdungserscheinungen.

Tiefe Vertrauenskrise bei den Bürgern

Bei aller Unterschiedlichkeit zwischen den Protestbewegungen auf beiden Seiten des Atlantik gibt es Gemeinsamkeiten: zum Beispiel die tiefe Vertrauenskrise der Bürger, die den Protest gegenüber der etablierten Politik, "gegen die da oben" antreibt. So herrscht unter den US-Bürgern ein enormes Misstrauen in die Fähigkeiten des Staates, die Dinge richtig anzupacken. Diese Skepsis umfasst staatliche Konjunkturprogramme ebenso wie den Katastropheneinsatz gegen die Ölpest im Golf von Mexiko oder die neue Krankenversicherung. Sie zieht längst nicht nur konservative US-Bürger in ihren Bann, sondern auch eine große Zahl von parteipolitisch nicht gebundenen Wechselwählern. Die historisch bedingte Staatsferne der Amerikaner hat mit dem Regierungsantritt von Barack Obama neue Nahrung erhalten. Die politischen Gegner erkennen in seiner Regierungsphilosophie die Rückkehr von "big government", eines starken Staates, dessen Ära doch dereinst von Obamas demokratischem Amtsvorgänger Bill Clinton für beendet erklärt worden war.

Bezeichnenderweise erklären selbst in einer von linksliberalen Demokraten in Auftrag gegebenen Umfrage 76 Prozent der befragten US-Wähler, es sollte die absolute Priorität in Washington sein, "die Größe der Regierung und des Staatsdefizits zu reduzieren". Eine bemerkenswerte Parallele zum Bürgerprotest in Deutschland immerhin: In beiden Ländern kann selbst die erfolgreiche Bewältigung der Finanzkrise vom Herbst 2008 das Ansehen des Staates unter den Bürgern nicht dauerhaft stärken. Im Gegenteil. Die Einschätzung des deutschen Umweltministers Norbert Röttgen kann für beide Protestbewegungen gelten: Er sieht die "delegitimierende Wirkung" der Finanzkrise "für das gesamte System". Das bis auf die Gründungsgeschichte der USA zurückgehende Misstrauen der Amerikaner gegenüber der etablierten Politik fällt sehr viel stärker als das in Deutschland der Fall ist. Und auch in puncto Staatsferne unterscheidet sich der deutsche vom US-Protest: Man muss nur einmal die Hartz-IV-Proteste in Deutschland, die den Rückzug des Staates als Ausweis sozialer Kälte anprangerten, mit dem Widerstand der Tea Party gegen Obamas Gesundheitsreform vergleichen. 

Die Köpfe hinter den Protestbewegungen

Doch wer steht eigentlich hinter den Protestbewegungen in Deutschland und den USA? Wer sich gegen Stuttgart 21 einsetzt, wer sich in der Integrationsdebatte auf die Seite des früheren Bundesbankvorstands Thilo Sarrazin stellt oder in Hamburg eine schwarz-grüne Schulreform kippt, gehört meist zum gebildeten Bürgertum der Republik. Obgleich das linksalternative Milieu, zum Beispiel bei den Anti-Atomkraftprotesten, weiter vertreten ist. In Deutschland protestiert die bürgerliche Mitte gegen die etablierte Politik. Die Anhänger der Tea Party sind dagegen stramme Konservative. Es sind in ihrer Mehrheit ältere weiße Männer, die zwar nur selten rassistisches Denken zu erkennen geben, aber Einwanderung strikt ablehnen und die sich vor dem künftigen Amerika fürchten, in dem die Weißen eine Minderheit sein werden. Sie sehen sich als Patrioten, die sich um den Schlachtruf "Lasst uns unser Land zurückerobern", scharen. Dabei ist offenkundig, von wem sie das Land zurückhaben wollen.

Teile der Tea-Party-Bewegung besitzen enge Verbindungen zu den Republikanern. Starke Unterstützung erhält sie außerdem vom rechten Privatsender Fox News. Doch in Interviews äußern sich die Tee-Parteiler immer wieder auch empört über Demokraten und Republikaner. Ihr Hauptanliegen, ist es, die Staatsausgaben zu kürzen - ohne die Steuern zu erhöhen -, um das erschreckende Staatsdefizit der USA abzubauen.

Der neue deutsche Protest ist anders

Sie sind davon überzeugt, dass fast jeder Politiker von der Macht korumpiert wird und die Verbindung zur Öffentlichkeit verloren hat. Außerdem beklagen sie, dass liberale Richter und die politische Welt ganz allgemein die US-Verfassung auf den Kopf gestellt haben und weit über das hinausgegangen sind, was die Gründervater im Kern beabsichtigten: eine stark eingehegte Regierung, die Freiheit des Einzelnen und ein freies Unternehmertum.

Der neue deutsche Protest setzt sich dagegen nicht nur in seiner politischen Ausrichtung, sondern auch in seinen Themen deutlich von den US-Konservativen ab: Egal, ob gegen einen neuen Bahnhof in Stuttgart, gegen Atomkraft, die Schulreform in Hamburg oder für ein Nichtrauchergesetz in Bayern auf die Barrikaden gegangenwird.

Es geht im weitesten Sinne um eine postmaterialistische Wertorientierung, um die Umwelt- oder Gesundheitsfragen. Einen Zusammenhang zwischen der Neigung zum Protest und der Ablehnung von Veränderungen sieht etwa der Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble als Erklärung für die Welle der Empörung im deutschen Bürgertum: "Mit wachsendem Wohlstand muss eine Gesellschaft auch zu Rande kommen. Die Menschen sagen dann, weil sie es für selbstverständlich halten: Jetzt haben wir andere Sorgen", sagte der Minister der "Zeit". Diese Einschätzung teilt auch der Stuttgarter Politikwissenschaftler Oscar Gabriel: "Wohlstand und soziale Sicherheit sind seit dem Fall des Kommunismus zur Selbstverständlichkeit geworden."

In den USA dagegen machen viele Beobachter noch immer eine entschieden materialistische Wertorienterung als Grund dafür aus, weshalb so viele in Aufruhr sind. Dort gibt es allerdings auch keinen so ausgeformten Wohlfahrtsstaat wie in Deutschland. Die meisten US-Bürger, die jetzt gegen Haushaltsdefizite und Steuern wetterten und vermeintliche Verstöße gegen die Verfassung beklagten, wären noch vor wenigen Jahren über diese Fragen bei weitem nicht so sehr in Rage geraten, betont der US-Historiker Alan Brinkley: "Ohne die Wirtschaftskrise würde man sich nicht mit denselben Themen auseinandersetzen." 

Empörungswellen folgen Krisen

So seien ähnliche Empörungswellen mit den meisten größeren wirtschaftlichen Krisen in den vergangenen hundert Jahren einhergegangen. Überhaupt beruft sich die patriotische Tea Party, wie der Name schon sagt, auf die Gründungsgeschichte der USA: 1773 protestierten die Amerikaner gegen die Steuerpolitik der britischen Kolonialherren und kippten Tee in den Hafen von Boston. Diese rechtspopulistische Bewegung hat mit der linken amerikanischen Bürgerrechtsbewegung in den 60er Jahren freilich nicht viel gemein.

Beim deutschen Protest reichen die historischen Vorbilder bis zur 68er Zeit zurück, als die Studenten für eine Demokratisierung des Staates auf die Straße gingen. Zwar hatte es schon in den 50er Jahren die erste Protestwelle gegen Atomkraft und Wiederbewaffnung gegeben. Dem deutschen Bürgerprotest heute fehlen jedoch die übergeordneten Ziele wie Frieden oder Freiheit. Der heutige Protest ist lokal begrenzt, es geht um einen kleinen Ausschnitt, den es zu bewahren gilt.

Er operiert weitgehend außerhalb der Parteien, die allerdings versuchen, sie für ihre politischen Ziele einzusetzen. Insofern sitzen die Grünen hierzulande mit den Republikanern in den USA in einem Boot. Anders als in den USA besitzt der deutsche Protest kein eindeutiges Führungspersonal. Sarah Palin, John McCains ehemalige Vizepräsidentschaftskandidatin von 2008, zählt zu den einflussreichsten Stimmen der Republikaner. Geschickt nährt die Schutzheilige der Tea Party Spekulationen, sie könnte 2012 auch als Präsidentschaftskandidatin antreten. Ebenfalls wichtig für den Aufstand gegen Obama ist der konservative Fernsehmoderator Glenn Beck, der mit seinen Verschwörungstheorien von den Feinden Amerikas im Innern bis zu 30 Millionen Zuschauer in seinen Bann zieht.

Die verunsicherte Mittelschicht

Die Tea-Party-Bewegung hat bei den Wahlen im vergangenen November ihre Muskeln spielen lassen: Zwei abgewählte Senatoren und und eine größere Zahl von Kandidaten des Establishments, die bei den Vorwahlen durchfielen, können ein Lied davon singen. Freilich kann der Wind auch wieder drehen. So war es ebenfalls der Frust der Wechselwähler, der bei den Wahlen 2006 und 2008 die Republikaner abgestraft und die Demokraten um Obama beflügelt hat. Auch die Grünen in Deutschland, die einen Aufschwung erleben, müssen damit rechnen, dass viele Bürger vor allem aus Unzufriedenheit mit den etablierten Parteien in ihr Lager gewechselt sind. Der Wind könnte wieder drehen. Die direkte Demokratie nach Schweizer Modell taugt in Deutschland mit seinen anderen politischen Traditionen kaum als Allheilmittel, um die entfremdeten Bürger wieder mit der Politik zu versöhnen. Ein abschreckendes Beispiel dafür, wie das Überstülpen direktdemokratischer Elemente zur Blockade eines repräsentativen Systems führen kann, liefert Kalifornien. Mehr direkte Demokratie, merkt auch der Politikwissenschaftler Gabriel kritisch an, führt "nicht automatisch zu einer fortschrittlichen Politik, nicht zu mehr Teilhabe der politikfernen Gruppen, und macht das System nicht notwendigerweise offener und effizienter".

Deutschland ist seit Wiedervereinigung und Globalisierung eine sozial wie kulturell heterogenere Gesellschaft. Das verunsichert zumal die Mittelschicht. Die sehnt sich lieber in die geordneteren Verhältnisse von vor 1989 zurück, als - aufbauend auf dem wirtschaftlichem Erfolg des Modells Deutschland - an den nötigen Sozialreformen oder an einer klugen Einwanderungs- und Bildungspolitik zu arbeiten. Daher rührt auch, sagt der Schweizer Deutschland-Kenner Eric Gujer, der langfristige Vertrauensschwund gegenüber den etablierten Parteien, denen es unter diesen Vorzeichen schwer falle, überzeugende Antworten auf die Fragen der Zeit zu geben.

Für die USA gilt, dass die Bürger empört sind über die Polarisierung und Selbstblockade der etablierten Politik - und das in wirtschaftlich harten Zeiten. Ob sich das politische System reformieren lässt und die Zukunftsprobleme des Landes, vor allem das überbordende Staatsdefizit oder die Sozialreformen angepackt werden, bleibt abzuwarten. "Aber es ist nicht zerbrochen, wie von Kritikern behauptet wird, die Vergleiche zum inneren Verfall Roms oder anderer Imperien ziehen ", widerspricht der US-Politikwissenschaftler Joseph S. Nye Amerikas Untergangspropheten.