Im Februar 2020 wechselte letztmals die Besetzung des Jugendrats. Foto: Lichtgut/Julia Schramm

Das Gremium zur politischen Beteiligung leidet an Mitgliederschwund. Zum einen, weil Schulabgänger andere Pläne verfolgen, zum anderen, weil Kandidaten schwer zu finden sind. Nun will die Stadt die Teilnahme attraktiver machen.

Stuttgart - Der amtierende Jugendrat muss diesmal die Bürde besonders lang tragen. Wegen der Coronapandemie hat der Gemeinderat die Wahlen, die normalerweise nach zwei Jahren und somit dieses Jahr anstehen, verschoben und die Amtszeit der Gewählten um ein Jahr verlängert. Die nächste Wahl soll im Januar 2023 stattfinden.

„Ich möchte den Jugendräten meinen Dank aussprechen, dass sie bereit sind, drei Jahre bei der Stange zu bleiben“, lobte SPD-Stadträtin Jasmin Meergans in der Sitzung des Jugendhilfeausschusses das Engagement der Jugendlichen. Die Verlängerung der Amtsperiode bietet allerdings auch eine Chance: Zeit, die Jugendbeteiligung neu auszurichten und damit größeres Interesse an politischer Beteiligung zu wecken. Die Verwaltung hat dazu Vorschläge erarbeitet und öffentlich vorgestellt.

Viele wollen nicht zwei Jahre gebunden sein

Anlass dafür gab die Zahl der Austritte aus dem Jugendrat nicht nur, aber vor allem seit Beginn der Sommerferien 2021. Viele Schülerinnen und Schüler hatten die Schule beendet und eine Ausbildung oder ein Studium aufgenommen. Nun wird sich dieser Vorgang in diesem Sommer wiederholen, weil die verbliebenen Mitglieder vornehmlich zu den heutigen Abschlussklassen gehören. Das zweite Problem haben die stadtweite Online-Jugendbefragung im Herbst 2020 und die digitale Jugendkonferenz im April 2021 offenbart: Jugendliche wollen zwar gehört und beteiligt werden, sie wollen sich jedoch nicht über zwei Jahre für ein Jugendratsamt verpflichten.

Die Verwaltung will diesen Jugendlichen zwar keine verkürzte Amtszeit vorschlagen, aber man prüfe, ob sich Interessierte in Aktionsgruppen zusammenschließen und dort mit den Jugendräten an Projekten mitwirken könnten. Stadträtin Iris Ripsam (CDU) gibt zu bedenken, „dass eine Verpflichtung für zwei Jahre zwar eine lange Zeit sein kann, aber eben die Möglichkeit bietet, dass man ein Projekt auch umsetzen kann“.

Jugendliche bei Projekten einbinden

Für Leonie Seyler vom Jugendrat Süd hingegen sind „Projektgruppen eine gute Idee“. Sie sei zuversichtlich, dass das Gremium zur nächsten Wahl viele motivieren könne. „Die Werbemaßnahmen auf den sozialen Medien sind gut angekommen, auf Instagram war das ein großes Thema.“ Die Grünen stehen ebenfalls hinter dem Vorschlag, und die Kinderbeauftragte Maria Haller-Kindler sieht die Chance, durch niedrigschwellige Beteiligungsangebote auch die Lücke zwischen Kinder- und Jugendbeteiligung bei den Zehn- bis 13-Jährigen zu schließen.

Ob man die Mindestmitgliederzahl bei der nächsten Wahl der 235 zu besetzenden Plätze senken kann, prüft die Verwaltung derzeit. Stadtrat Luigi Pantisano (Die Fraktion) schlägt vor, den Mitgliedermangel in einzelnen Bezirken mit Jugendhearings zu kompensieren. Die möglichen Maßnahmen sollen dem Gemeinderat vor der Sommerpause zur Abstimmung vorgelegt werden. Derweil sollen Verwaltung, Jugendrat, Stuggi.TV, Team Tomorrow und die Stuttgarter Jugendhausgesellschaft geeignete Werbemaßnahmen für Print und Digital entwickeln, die von Plakaten über Erklärvideos bis hin zu Werbeauftritten in Schulklassen reichen. Für diese Vorbereitung und für Jugendbeteiligung sind knapp 88 000 Euro im Doppelhaushalt der Stadt eingeplant.

Der Jugendrat

Die Wahl
Im Januar oder Februar 2023 werden zum 14. Mal Jugendräte in allen Stadtbezirken gewählt. In den Stadtbezirken, in denen aufgrund nicht ausreichender Kandidatenzahl keine Wahl durchgeführt werden kann, sollen Projektgruppen und gegebenenfalls weitere offene Beteiligungsformen angeboten werden. Der Gemeinderat hat am Donnerstag der Finanzierung der Vorbereitungen, der Durchführung von offenen Beteiligungsformen in allen Stadtbezirken und der geplanten Weiterentwicklung einmütig zugestimmt.

Die Abläufe
Der Jugendrat hat sich erstmals 1995 konstituiert. Wählen dürfen Stuttgarter Jugendliche im Alter zwischen 14 und 18 Jahren, und zwar in den Stadtbezirken ihre Kandidaten aus den Stadtbezirken. Seit der Wahl 2020 gibt es 15 Gremien in 19 Stadtbezirken. Insgesamt sind 197 Jugendliche gewählt worden, sie haben 127 Stellvertreterinnen und Stellvertreter. In Stuttgart-Mitte, Stammheim, Degerloch und Münster gab es zu wenig Kandidaten. Dort sind nun Projektgruppen aktiv, die von Mitarbeitern im Jugendhaus begleitet werden. Die Bezirksjugendräte entsenden je drei Delegierte in den gesamtstädtischen Jugendrat, die Projektgruppen je eine Vertreterin oder einen Vertreter.

Wofür das gut ist
Im Rahmen der Generaldebatte Klimaschutz des Gemeinderats hat Leo Staritzbichler, Sprecher des Jugendrats, erstmals Rederecht erhalten. Er hat ein „Recht auf eine lebenswerte Zukunft“ sowie Klimaneutralität in Stuttgart im Jahr 2035 eingefordert. Aus den zurückliegenden sechs Monaten sind außerdem Initiativen für Calisthenics-Anlagen erwähnenswert, der Einsatz für ein besseres Schulessen sowie der Vorschlag, das Kaufhaus-Parkhaus für Jugendliche und junge Erwachsene zu öffnen. Das würde, so das Gremium, die Situation am Kleinen Schlossplatz, Marienplatz und Feuersee entzerren. czi