Wie geht es bei der CDU weiter? Die Kreisvorsitzenden aus Baden-Württemberg reden dabei mit. Drei von ihnen haben uns von ihren Vorstellungen über die Zukunft der Partei berichtet.
Stuttgart - In Biberach beim Landwirt und Bundestagsabgeordneten Josef Rief scheint die CDU-Welt noch in Ordnung zu sein. Dort hat die Partei bei der Bundestagswahl das beste Ergebnis in ganz Baden-Württemberg erzielt. Aber die Analyse stimmt nur auf den ersten Blick, Rief ist nicht zufrieden: 42,5 – 59,0 – 44,5 – 35,1 – diese Prozentwerte bei den Erststimmen markieren seine persönliche Achterbahnfahrt bei den vier Bundestagswahlen seit seinem Einzug ins Parlament 2009. „Wenn man viel Zustimmung hat, kann man viel verlieren“, sagt er lapidar.
Auch der Sieg von Biberach ist relativ
Rief ist einer von rund 40 CDU-Kreisvorsitzenden im Südwesten, die am 30. Oktober in Berlin mitberaten, wie es nach der Wahlniederlage und der Rückzugsankündigung von Armin Laschet weitergeht. Er ist auch beim Landesparteitag im November dabei, wenn die Südwest-CDU ihre Führungsspitze neu wählt. Erneuerung steht bei beiden Terminen auf der Tagesordnung. Neben der Bundestagswahl steckt der Südwest-CDU in den Knochen, dass sie bei der Landtagswahl im März ihr bis dahin schlechtestes Ergebnis noch einmal um drei Prozentpunkte unterschritt und bei 24,1 Prozent landete. Dass Landesparteichef Thomas Strobl bleibt, was er ist, ist deshalb kein Automatismus, ob er beim Parteitag Konkurrenz bekommt, eine heiß diskutierte Frage.
Manche CDU-Vertreter sind überzeugt, dass die Union sich nach dem Ende der Kanzlerschaft von Angela Merkel neu erfinden muss, weil Stammwähler allmählich zur aussterbenden Spezies werden und die CDU mit dem höchsten Wechselwählerpotenzial aller Parteien zu kämpfen hat.
Die Programmatik schärfen und Themen besser rüberbringen – das sollte bei der Neuaufstellung im Zentrum stehen, meint Josef Rief aus Biberach. Nachholbedarf sieht er in der Außen-, Verteidigungs- und Europapolitik. Klimaschutzkonzepte habe die Union, müsse sie aber besser verkaufen. „Die Leute wissen genau, dass im ländlichen Raum niemals alle zwanzig Minuten ein Rufbus vorbeikommt. Wir müssen deshalb dafür sorgen, dass das klimafreundliche Auto seinen Stellenwert als notwendiges Verkehrsmittel behält.“ Eine Mitgliederbefragung zur Kür des Parteichefs findet Rief nur sinnvoll, wenn es zwei bis drei gute Bewerber gibt. Einen Favoriten hat er noch nicht. Überhaupt scheint die Begeisterung für zuletzt gehypte Hoffnungsträger von Friedrich Merz über Markus Söder, Norbert Röttgen bis zu Jens Spahn während der vergangenen Monate in der Partei merklich abgekühlt.
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Thomas Strobl bescheinigt Rief, als Innenminister einen guten Job und als Parteichef keine Fehler gemacht zu haben. „Unsere Hauptaufgabe in Baden-Württemberg ist, ein verlässlicher Koalitionspartner zu sein“, betont er. „Deshalb müssen wir eine stabile Partei bleiben und uns fragen, wie Personalveränderungen an der Spitze sich darauf auswirken.“
Wie Josef Rief argumentieren viele CDU-Funktionäre aus dem Land. Gerade, weil die Union wohl aus dem Kanzleramt ausziehen müsse, würden CDU-Regierungsvertreter aus den Ländern wichtiger für die gesamte Partei. Rief hält deshalb nichts davon, dass Strobl sein Amt als Vize-Bundesvorsitzender abgibt. „Entscheidend ist doch ein kraftvoller Auftritt für Baden-Württemberg. Deshalb bin ich gegenüber Teilungsideen skeptisch.“
Doppelte Niederlage in Karlsruhe
Die Sache mit Strobl ordnet Ingo Wellenreuther, Noch-Bundestagsabgeordneter und Kreisvorsitzender in Karlsruhe (Stadt), ähnlich ein. Natürlich könne in der Demokratie jeder jederzeit kandidieren. „Zur Wahrheit gehört aber, dass wir 2011, 2016 und 2021 bei den Landtagswahlen Spitzenkandidaten hatten, die die Bevölkerung nicht gewollt hat – jedenfalls nicht in der Konkurrenz mit dem Charismatiker Winfried Kretschmann“, betont er. Dafür könne Strobl so wenig wie für die Flüchtlingskrise 2015 oder für den Atomunfall in Fukushima 2011. Erneuerungsbedarf sieht Wellenreuther anderswo: „Auch die Mitglieder müssen sich an die Zeit anpassen“, mahnt er.
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Zwischen den Wahlkreisen von Rief und Wellenreuter liegen Welten. Der Vorsitzende Richter aus dem Badischen vertritt die größte Problemzone der CDU: Sie stellt heute keinen einzigen Abgeordneten aus Stuttgart, Karlsruhe, Mannheim, Freiburg und Heidelberg mehr im Landtag oder im Bundestag. In Berlin räumt Wellenreuther gerade sein Büro, weil er sein Mandat verloren hat; mit 17,7 Prozent ist das CDU-Ergebnis in seinem Wahlkreis das schlechteste im ganzen Südwesten. „Wir müssen uns als moderne Partei neu erfinden und auf Augenhöhe kommen mit den Themen unserer Zeit, die auch von modernen, sympathischen und jüngeren Personen verkörpert werden“, lautet sein Fazit. Das klappe nur, wenn die CDU endlich lerne, in Städten und im ländlichen Raum mit unterschiedlichen Themen zu punkten. „Die Landes-CDU muss dafür sorgen, dass Vertreter der großen Städte wieder in die Parlamente kommen.“
Wellenreuther berichtet von breitem Unmut an der Basis über Fehler der Unionsführung im Bunde – angefangen von der Flüchtlingskrise 2015, über Groko-Kompromisse zulasten der Union, die ständig wechselnden Parteichefs seit 2018 und die Festlegung auf den falschen Kandidaten. „Deshalb waren die Reihen im Wahlkampf nicht geschlossen“, analysiert er. „Ich bin sehr dafür, die gesamte Partei besser in die Personal- und Richtungsentscheidung einzubinden“, fordert er. „Wir müssen aber die geeignete Form dafür finden“. Wichtig ist ihm, dass die Bundes-CDU schnell wieder sprechfähig wird.
Ludwigsburg im Landesdurchschnitt
Gerade das sieht Rainer Wieland, Vize-Fraktionschef im Europaparlament und Kreisvorsitzender in Ludwigsburg, anders. Dort hat die CDU 24,8 Prozent der Wähler überzeugt, genauso viele wie im Landesdurchschnitt. Aus seiner Sicht spricht viel dafür, dass die Union rasch einen Mechanismus zur Bestimmung des Kanzlerkandidaten festlegt –etwa einen Unionskonvent – und sich mit der Führungsfrage Zeit lässt. „Mein Eindruck ist, dass sich die Debatte versachlicht“, betont er. Deshalb fürchtet er auch nicht, mit einer späteren Entscheidung über die Parteispitze, die vier Landtagswahlen 2022 zu gefährden. „Die eigentliche Gretchenfrage ist, inwieweit es die Partei überhaupt noch schafft, sich hinter einer Person zu versammeln“, sagt Wieland. Seine Kritik zielt nicht auf den Kandidaten, die Gremien oder die Spitze der Partei, sondern ins Zentrum: „Sich loyal und geschlossen hinter den Kandidaten stellen, der auf dem Schild steht, auch wenn man ihn selbst nicht ausgesucht hat – da hat die CDU eines ihrer größten Defizite.“