Über die Form der Bürgerbeteiligung in den Sitzungen der Bezirksbeiräte gehen die Meinungen auseinander. Gezielte Einladungen sind erfolgreich.
Bad Cannstatt - Bürgerbeteiligung ist angesagt, spätestens die Stuttgart 21-Schlichtung hat es möglich gemacht. Auch in Bad Cannstatt und den Neckarvororten gibt es kaum noch ein größeres Projekt, bei dem interessierte Bürger nicht mitsprechen können. Die Meinung von Anwohnern und Geschäftsleuten ist gefragt, wenn es um die Frage eines autofreien Marktplatzes in Bad Cannstatt geht, in Wangen hat es zur Vorbereitung auf die Bürgerversammlung im vergangenen Jahr ein Bürgerforum gegeben.
Das Konzept der Sozialen Stadt, die aktuell im Hallschlag und in Neugereut läuft, sieht die Beteiligung von Bürgern per definitionem vor. Beim Mineralbad Berg in Stuttgart-Ost haben die Stammgäste und der Verein Berger Bürger solch einen Beteiligungsprozess hartnäckig angeregt.
„Fünf Minuten sind ein Witz“
Im Vergleich zu solchen dynamischen Prozessen kommt ein anderes, älteres Mittel der Bürgerbeteiligung vergleichsweise behäbig daher: der erste Tagesordnungspunkt „5 Minuten für Bürgerinnen und Bürger“ in den Sitzungen der Bezirksbeiräte. Über dessen Sinn gehen die Meinungen auseinander.
Der für die Stadtbezirke zuständige Verwaltungsbürgermeister Werner Wölfle hält wenig bis nichts von der „Fünf-Minuten-Terrine“, wie der Punkt in manchen Verwaltungskreisen abfällig bezeichnet wird. Das wirke so, als ob man die Bürger danach nicht mehr brauche, sagt Wölfle. Deswegen unterstützt er andere Beteiligungsformen, wie das gezielte Einladen von Bürgern zu bestimmten Tagesordnungspunkten per Postkarte wie es Martin Körner im Stuttgarter Osten praktiziert.
Auch in Wangen setzt die Bezirksvorsteherin auf diese Form der Bürgerbeteiligung – wenn auch nicht einzeln und per Postkarte: „Arbeitskreise oder Einrichtungen weise ich auf für sie relevante Themen hin“, sagt Beate Dietrich. Interessierte Bürger kämen in Wangen aber auch von selbst auf sie und die Mitglieder des Bezirksbeirats zu – und hätten dann auch das Wort: „Wer mit einem Anliegen in die Sitzung kommt, darf auch sprechen.“
„Bei 6300 Einwohnern kennt jeder jeden“
Und nicht nur das: „Diskutieren wir etwa über ein geschichtliches Thema und sehen unseren Ortshistoriker Martin Dolde unter den Zuhörern, fragen wir ihn schon mal spontan nach seiner Einschätzung.“ Grundsätzlich gebe es deshalb im Stadtbezirk keine Notwendigkeit, das Instrument „Fünf Minuten für Bürgerinnen und Bürger“ einzuführen. Wenn überhaupt, dann nur unter einem anderen Namen wie zum Beispiel Themen oder wünsche der Bürger, sagt Dietrich: „Fünf Minuten sind ein Witz.“
Auch in Münster setzt die Bezirksvorsteherin Renate Polinski auf persönlichen Kontakt: „Bei 6300 Einwohnern kennt jeder jeden. Da gibt es keine Hemmschwellen für die Bürger, mich oder die Bezirksbeiräte persönlich anzusprechen wenn sie Anregungen oder Probleme haben.“
„In kleinen Stadtbezirken wie Obertürkheim ist die mündliche Absprache manchmal einfacher und schneller“, sagt auch der Rathauschef Peter Beier. Nichtsdestotrotz war Obertürkheim einer der ersten Stadtbezirke, in denen das Instrument eingeführt wurde: „Der Vorschlag kam aus dem Gremium und wurde einstimmig angenommen.“
Es tauge nicht als Mittel der politischen Grundsatzdiskussion, sei aber ein sinnvolles Mittel, um zu erfahren, wo die Menschen der Schuh drücke. Im Großen und Ganzen werde es gut angenommen, auch wenn es zwischendurch Phasen gebe, in denen sich niemand aus den Zuschauerreihen zu Wort melde.
Die Kinderbetreuung, wilder Müll oder Verkehrsprobleme sind es, die die Cannstatter zu den Sitzungen des Bezirksbeirats treiben: „Die ,fünf Minuten’ werden wahrgenommen“, sagt der Bezirksvorsteher Thomas Jakob, der diesen Punkt der Tagesordnung nicht mehr missen will: „Uns gefallen das Instrument und sein Titel.“
Gezielte Einladungen seien zusätzlich wichtig, in jüngster Zeit wurden die Anwohner unter anderem zum Thema Sperrung des Zuckerlewegs und zur Erörterung der Verlängerung der Stadtbahnlinie U 12 gezielt eingeladen. „Das ist ein hervorragendes Instrument, um die Betroffenen zu Wort kommen zu lassen, wenn sie das möchten.“ Gezielte Einladungen und die „Fünf Minuten“ ergänzten sich optimal, findet Jakob: „Es ist wichtig, viele Möglichkeiten der Kontaktaufnahme anzubieten, damit jeder einen Weg zu uns findet.“ Den Bürgern vor Ort Gehör zu schenken sei Aufgabe und Legitimation der Bezirksbeiräte als demokratische Basisgremien.