Aufgeputzt und zurechtgemacht für den großen Tag. Foto: Gesa Becher

Für seine Altstadt ist Krakau berühmt, liebenswert macht die Stadt aber ein Dackelaufmarsch.

Krakau ist berühmt für seine prächtige Altstadt, seine Kaffeehäuser und Literaten-Kneipen. Doch ihre liebenswerteste Attraktion zeigt die Stadt mit der Schwäche für Spleens im Spätsommer: Ein Aufmarsch von Vierbeinern, dieses Mal am 5. September. Der Sonntag, der Chicas großer Tag werden soll, beginnt mit Stress. Für einen Spaziergang ist die junge Dackeldame jederzeit zu haben – aber bitte nicht in diesem Engelskostüm, dass Frauchen Ania für sie geschneidert hat! Alle vier Beine müssen in dieses weiße, windelartige Rüschen-Höschen, auf den Rücken bekommt Chica ein paar bauschige Flügel geschnallt, und auf dem Kopf trägt sie einen Heiligenschein aus Goldfolie. Chica zappelt und windet sich, aber da muss sie durch. Schließlich ist heute „Marsz Jamníkow“, der Tag der Dackelparade, an dem kein Besitzer seinen Hund ohne Putz in die Altstadt lässt.

Oh Krakau, du Stadt der Dichter und Dackel! Seitdem in den 1970er Jahren der ebenso berühmte wie dackelvernarrte Dramatiker Slawomir Mrozek den ersten Marsch inszenierte, um damit die kommunistischen Aufmärsche ad absurdum zu führen, hat sich die einstmals spontane Kunstaktion zu einem Volksfest gemausert. Auch an diesem Spätsommersonntag ist der Platz vor dem Barbakan, der mittelalterlichen Bastion vor der Altstadt, prall gefüllt mit Zwei- und Vierbeinern.

Chica ist mit ihrer „Familie“ dabei, die wie der Urheber des Events literarisch tätig ist: Frauchen Ania Kaszuba-Debska (32) ist Kinderbuchautorin und Trickfilmregisseurin, Herrchen Lukasz (32) Schriftsteller. Nebenbei betreiben sie, wie es sich für echte Krakauer gehört, ein Künstlercafé. Und haben zwei Kinder: Kalina (11) und Kasper (7), die sehr gespannt sind, wie sich ihre Engels-Chica im Vergleich mit ihren Konkurrenten ausnehmen wird. Denn der Dackelmarsch ist auch ein Schönheitswettbewerb – für das flotteste Kostüm, das tiefsinnigste Dackelgedicht, das anmutigste Porträt winken Pokale, Urkunden und die ganz große Dackelehre.

Chica hat vor lauter interessanten Dackelkollegen ihr Outfit längst vergessen. Wenn da bloß die Zuschauer nicht wären! Chicas Engelsdress erregt Aufsehen. Schnell ist sie umringt von Passanten mit Fotoapparaten, sogar ein Fernsehteam begibt sich auf Augenhöhe; der Kameramann rutscht gar auf Knien vor ihr herum. Dabei würde sie doch viel lieber mit dem netten Drachen-Dackel anbändeln, der grüne Stacheln auf dem Rücken trägt. Oder dem Hotdog, dessen schmaler Leib zwischen zwei Brötchenhälften aus Schaumstoff eingeklemmt ist und der stoisch einen Stoff-Ketchupstreifen zur Schau trägt.

Doch dafür ist keine Zeit. Ein Tusch, und der Spielmannszug an der Spitze der Parade setzt sich in Bewegung, dahinter eine Reihe von „Demonstranten“. Sie tragen Transparente mit Aufschriften wie „Krakau – Dackelhauptstadt der Welt“ und „Dackel for President!“. Stolz schreiten sie durch den Backsteinbogen des Florianstors und marschieren hinab zu Krakaus Prachtplatz, dem Großen Markt. Mit Pauken und Trompeten halten die aufgeregt bellenden Vierbeiner und ihre stolzen Herrchen und Frauchen Einzug auf dem mittelalterlichen Platz mit seinen ehrwürdigen Tuchhallen und Kirchtürmen. Vorbei an fachsimpelnden Zuschauern und entzückt kreischenden Kindern bahnen sie sich ihren Weg zur Showbühne.

Dort begutachtet eine Jury einzelne Dackel, die von Scouts während der Parade gesichtet wurden. Auch Chica findet sich auf der Bühne wieder. Die Konkurrenz ist groß: Da ist die ältere Dame aus Wroclaw im Karo-Kostüm und Hut samt identisch gekleidetem Hund. Der Trachten-Dackel aus der Provinz, dessen Herrchen einen eindrucksvollen Lech-Walesa-Schnauzer zum Karohemd trägt. Schnauzbart und Dackel, diese zwei Symbole polnischer Bodenständigkeit gehören eigentlich zusammen. Es gewinnt schließlich ein Schornsteinfegerglücksdackel, cool und elegant in Schwarz gewandet, inklusive Zylinder. Der zweite Platz aber geht an – Chica! Kalina und Kasper springen um sie herum, präsentieren sie den jubelnden Zuschauern. Chica interessiert das nicht sonderlich. In der Mittagshitze hatte sie die Bühne mit hängender Zunge erreicht und scheint froh, dass sie nun Wasser bekommt und nicht mehr laufen muss. Stattdessen wird sie getragen – ein von Arm zu Arm schwebender Engel auf vier Pfoten.

Dackelhauptstadt Krakau

Anreise
Von Stuttgart aus fliegen Czech Airlines täglich und Air Berlin täglich außer samstags nach Krakau. Unterkunft Das beste (aber auch teuerste) Hotel der Stadt ist das altehrwürdige Copernicus in der Ulica Kanonicza, die von der Altstadt zum Wawel führt, dem legendären Berg, auf dessen Schloss jahrhundertelang Polens Könige residierten und in dessen Kathedrale Johannes Paul II. predigte, als er noch Bischof von Krakau war. www.copernicus.hotel.com.pl

Preiswerter, oft origineller und gemütlicher als Hotels sind die zahlreichen „Bed & Breakfast“-Zimmer, die es auch mitten in der Altstadt zu mieten gibt. Zum Beispiel im Tango House, das in einem geschichtsträchtigen Kaufmannshaus aus dem 14.Jahrhundert untergebracht ist. www.tangohouse.pl

Was Sie tun und lassen sollten
Auf jeden Fall shoppen und ausgehen in Kazimierz! Im ehemaligen jüdischen Viertel finden Sie die ausgefallensten Boutiquen, die schrägsten Bars, die gemütlichsten Restaurants. Bester Anlaufpunkt ist das Alchemia am Plac Nowy – die Bar mit der riesigen Bahnhofsuhr im Innern veranstaltet ihr eigenes Jazzfestival, auf der Bühne im Keller gibt es Konzerte und Theateraufführungen. www.alchemia.com.pl Eine der originellsten Krakauer Galerien ist die benachbarte Galerie d’Art Naif des Sammlers Leszek Macak in der Ulica Józefa, die ausschließlich Werke von Laien ausstellt.

Und ein Erlebnis ist das Abendessen im benachbarten Klezmer Hois. In Wohnzimmeratmosphäre werden dort jeden Abend zu jüdischer Live-Musik die leckersten Spezialitäten der galizischen Küche serviert. www.klezmer.pl Auf keinen Fall vordrängeln in der Dackelparade. Sich einfach in die erste Zuschauerreihe zu stellen, kommt gar nicht gut an.