Heier (links) und Heinrich haben sich – und allen Ravern – viel zu sagen. Foto: Bernklau

Zwei Solitude-Studentinnen lesen einen Poetry Rave im Wilhelmspalais.

S-Mitte - Sie kommen vom Schloss Solitude herunter. Da sind sie Stipendiaten der Akademie. Aber eigentlich gehören die beiden Schriftstellerinnen hier hin: in die Clubs, da hin, wo die Szene brummt und wummert, der Beat schlägt und das Herz, ins grellbunte Licht und die langen Nächte. Am Freitagabend lasen die Berliner Rave-Literatinnen Susanne Heinrich und Anne-Kathrin Heier bei Poetry & Party von der Bühnenbrücke herunter eine gemeinsam geschriebene Erzählung aus dem zuckenden Herzen der hellwachen Rave-Nacht. Ein atemlos spannender, rauschhafter Text von schockierender Intensität.

Draußen auf der königlichen Terrasse des Wilhelmspalais riefen die weißen Hasen von Follow the White Rabbit in ihren Kostümen die Leute von den Stufen und aus den Liegestühlen hinauf und hinein, halfen manchmal mit Seifenblasenattacken und Glitter ein wenig nach. Klaus Sebastian Klose vom ebenfalls Berliner Label SugarCandyMountain ließ schon mal den akustischen Background warmlaufen, die Offbeats und Onbeats, mit denen er dann den Sprachstrom dieses Poetry Performance Rave unterlegte. Drunten an der Treppe zur Brücke, auf der etwas kleinen Leinwand, sah man unablässig Raver tanzen, allein, zu zweit, als Endlos-Video. Kurze Begrüßung, dann hinein in den Stream of Consciousness.

Eine sprach, die andere notierte, protokollierte, schrieb mit und dann andersherum, erzählt Susanne Heinrich später über die Entstehung des Stücks. Dann zusammen gefeilt, geändert, ergänzt bis zu den letzten Stunden vor der Performance. Kennengelernt haben sie sich auf der Akademie, wo sie seit Mai für ein halbes Jahr leben, arbeiten, sich austauschen. Anne-Kathrin Heiler stammt aus dem westfälischen Werne, hat in Hildesheim Kulturwissenschaft, Politik, Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus studiert und arbeitet als Lektorin und Schriftstellerin in Berlin. Dorthin kam, nach dem Literaturstudium in Leipzig, auch Susanne Heinrich. Sie hat inzwischen vier Prosabände veröffentlicht, Romane und Erzählungen, und singt in der Band Watch me Fall. Beide hatten sich gleich etwas zu sagen auf Schloss Solitude.

„Alle, die in der Techno-Szene unterwegs sind, haben einen Sprung“

„Gibt es in deinem Leben keinen einzigen Abgrund?“, heißt es im Text, der aus beider Blickwinkel „in dieser ersten Nacht im Golden Gate“ einen Stuttgarter Rave beschreibt in einem endlos rhythmisierten Strom von Gesprächen, Erzählungen, Gedanken und Selbstbefragungen, manchmal in verdoppeltem Sound. „Alle, die in der Techno-Szene unterwegs sind, haben einen Sprung“, sagt da wer. Jägermeister, Wodka und anderer wahllos hineingeschütteter Alkohol wirkt nicht mehr wirklich. Drogen aller Art verscheuchen jede Müdigkeit, eine Line Amphetamin von dem Stipendiaten-Ausweis und immer wieder der Rausch der peitschenden Beats, die Ekstase: „Wer schläft, liebt nicht.“ Sich vergessen? Ganz zu sich kommen im Rave? Geliebt wird auch, zwischendurch, wahllos. Storno, der Mann der Nacht bestimmt, „was wir nehmen, ob wir schlafen, oder noch mal miteinander schlafen“.

In den WGs „gibt es effektiven Sex“, aber die Techno-Tänzer „tanzen einfach weiter, eine einzige große Gemeinde, ein einziger zuckender Körper“. Der macht dann auch mal nicht mehr mit. Gegen die Austrocknung, gegen den Kollaps helfen Ayran vom Türken und die Fantasien von einem finalen Banküberfall. „Meine ausgestreckten Finger kratzen schon an der Ewigkeit.“ Aber weiter. Auch wenn „wir manchmal eine Pause brauchen von den Worten“. Es ist der ganz große „Weltplattenspieler“ zu dem alle in den Rausch tanzen. Das ist großartig dicht, „gnadenlos ehrlich“, wie der Raver rechts meint, und direkt aus dem ins Irrwitzige beschleunigten Leben der Szene gegriffen – in einer harten, drastischen und gleichzeitig schönen, klingenden, tanzenden und zuweilen zuckenden Sprache geschrieben und vorgetragen. Johlen, Klatschen und Pfeifen begleiten die Beiden die Treppe hinunter.

Datapanic bietet dann ein Elektroswing-Set, mit jenen „Bässen, die einem die Kniekehle streicheln“. Die Künstler Beyond und Juliah malen dazu unter der Brücke Plexi Paintings, im Rhythmus, zum Zuschauen. Die sollen dann irgendwann zu Gunsten der Kulturmacher White Rabbits verlost werden, zwei Euro das Los. Aber die Party hat erst angefangen. Fabian Hug und E-Punk vs. David Demian legen auf. Die Nacht wird noch lang im Wilhelmspalais.