Richard Pitterle (Linke), Jasmina Hostert (SPD), Markus Frohnmaier (AfD), Marc Biadacz (CDU), Florian Toncar (FDP) und Tobias Bacherle (Grüne, von links) versuchten, sich während der Diskussion zu profilieren und sich abzugrenzen – das gelang nicht immer. Foto: factum/Granville

Sechs Bundestagskandidaten des Kreises zeigen bei der Frage über die Wahl von Kommunalparlamenten klare Kante. Ansonsten gibt es vor allem bei den Vertretern der bürgerlichen Parteien ziemlich viele Übereinstimmungen.

Herrenberg - Stefan Artmann von der Landeszentrale für politische Bildung wollte sich als Moderator einer Podiumsdiskussion bewusst von dem TV-Duell der Spitzenkandidaten Angela Merkel und Martin Schulz deutlich absetzen. Deshalb ließ er die Themen Flüchtlingspolitik, das Verhältnis zur Türkei, die innere Sicherheit und die Steuerpolitik außen vor – und wurde von einigen im Publikum der mit rund 300 Zuhörern voll besetzten Alten Turnhalle in Herrenberg heftig kritisiert.

Kostenlose Kitas?

Dafür gab er den sechs von der Volkshochschule eingeladenen Bundestagskandidaten, die für den Kreis antreten, die Gelegenheit, die jüngst im Fernsehen verpasste Frage nach der sozialen Gerechtigkeit zu erörtern. Der CDU-Bundestagskandidat Marc Biadacz wiederholte mindestens zweimal, dass er soziale Gerechtigkeit daran festmache, ob jemand einen unbefristeten und ordentlich bezahlten Arbeitsplatz habe oder nicht. Die SPD-Kontrahentin Jasmina Hostert dagegen möchte die Kitagebühren abschaffen und Alleinerziehende besser unterstützen.

Als ob er die von seiner Partei gewünschten Regierungswechsel durch eine Rot-Rot-Grüne Koalition eindrücklich untermauern wollte, sprang ihr der Linke Richard Pitterle zur Seite. Die Kita-Gebühren müssten allen Eltern erlassen werden. In Heilbronn sei dies schon umgesetzt worden. Damit würden mehr junge Familien in die Stadt gelockt. Auf diese Weise würde mehr Einkommenssteuer in die kommunale Kasse fließen, sagte Pitterle. Biadacz konterte jedoch: „Kostenfreie Kitas entlasten die Gutverdienenden.“ Eltern mit weniger im Geldbeutel könnten etwa in Böblingen einen Sozialpass beantragen, womit ihnen die Kita-Gebühren erlassen würden.

Rente darf nicht weiter sinken

Einig dagegen waren sich die Kandidaten weitgehend darüber, dass das Rentenniveau von derzeit 48 Prozent nicht weiter sinken dürfe. Diese Zahl bezeichnet das Verhältnis zwischen einer Standardrente und dem Durchschnittseinkommen aller Erwerbstätigen im selben Jahr. „Wenn es weiter geht, landen wir bei 42 Prozent“, warnte Pitterle. Florian Toncar (FDP) und Biadacz waren einer Meinung: Natürlich müsse alles getan werden, damit dies nicht soweit komm. Jedoch müsse das Geld für die Rentenkasse erst erwirtschaftet werden.

Jasmina Hostert wiederum wies darauf hin, dass besonders Frauen von niedrigen Renten und Altersarmut betroffen seien: „Das liegt daran, dass sie in Deutschland immer noch um einiges weniger verdienen als Männer“, sagte die alleinerziehende Mutter. Dagegen wolle ihre Partei etwas tun, meinte sei, ohne aber konkret zu werden. Tobias Bacherle (Grüne) ging noch einen Schritt weiter und zitierte sein Parteiprogramm: „Wir wollen dafür sorgen, dass die Menschen im Alter ein anständiges Leben führen können.“ Dazu nannte er das Stichwort „Garantierente“ – ohne ebenfalls Näheres zu erläutern. Dabei hätte der Moderator während der mehr als zweieinhalbstündigen Veranstaltung gehabt, Zeit genug gehabt, noch einmal nachzufragen.

Für umweltfreundliches Fahren

Einen breiten Raum gab er dagegen den Themen Dieselskandal, Klimaschutz und Digitalisierung zu Beginn der Diskussion. Bis auf Markus Frohnmaier von der AfD waren sich die anderen Kandidaten bei der Manipulierung der Abgaswerte einig: Derlei Vergehen müssten bestraft werden. Frohnmaier dagegen vertrat die Auffassung, dass „darum ein Bohei gemacht wird“. Jeder Staubsauger und jede Duftkerze habe höhere Emissionen als die Autos. Diese Diskussion schwäche die deutsche Automobilindustrie. Seine Partei habe mehr Rückendeckung von Seiten der Politiker erwartet.

Biadacz, Toncar und Bacherle treibt aber noch eine ganz andere Sorge um: Dass die Automobilbranche bei der Entwicklung umweltfreundlicher Antriebssysteme völlig ins Hintertreffen gerät. Der grüne Kandidat sprach sich noch weitergehend für einen „Mobilitätsmix“ aus, der angestrebt werden müsse. Dabei gehe nicht nur um Elektroautos, sondern auch um eine Verlagerung des Verkehrs von der Straße auf die Schiene, um eine Aufrüstung der Schiffsflotten bis hin zur Förderung von Radwegen, Pedelcs und des Carsharing. Biadacz allerdings wandte ein, dass der Individualverkehr gerade im Kreis Böblingen Priorität haben müsse. Und was das von den Grünen propagierte Verbot von Verbrennungsmotoren vom Jahr 2030 an betreffe, sagte der CDU-Mann: „Das ist ein schwerer Fehler. Wir müssen erst einmal sehen, wie weit wir bis dahin mit unseren alternativen Möglichkeiten sind.“

Digitalisierung soll voran kommen

Toncar pflichtete Biadacz darin bei, ebenso bei der Forderung des CDU-Kandidaten, die Digitalisierung mitsamt der Breitbandverkabelung voranzutreiben. Auch Frohnmaier stimmte zu. Zum Schluss wurden die Kandidaten von der grünen Herrenberger Stadträtin Maya Wulz aus dem Publikum noch gefragt, ob sie für eine Frauenquote bei der Besetzung kommunaler Parlamente seien. Diese wird von einer parteiübergreifenden Initiative im Kreis Böblingen angestrebt. Die Politiker durften nur mit Ja oder Nein antworten und mussten klare Kante zeigen. Pitterle, Hostert und Bacherle stimmten zu, Frohnmaier, Biadacz und Toncar lehnten das Unterfangen hingegen ab.