Nach dem Abitur mal was ganz anderes machen: Die Plochingerin Miriam Schmidgall sticht mit 30 Gleichaltrigen in See. Ziele sind die Karibik, Marokko, Kuba und die Azoren.
„Wirst du nicht seekrank?“ Diese Frage hat Miriam Schmidgall in letzter Zeit häufig gehört, und demnächst wird sie sie auch beantworten können: Die 19-Jährige aus Plochingen sticht dieser Tage in See. Wie viele andere geht sie nach dem Abitur auf Reisen. Sie hat sich allerdings für eine ungewöhnliche Variante entschieden.
Sechs Monate lang will Miriam mit der Roald Amundsen, einem der Schulschiffe der Organisation Ocean College, um den Atlantik segeln. Auf dem Schiff sind neben der Crew rund 30 Teenager aus verschiedenen Ländern, die von Lehrern unterrichtet werden. Die Reise kostet viel Geld, auch für Miriam, die als sogenannte „Watch Leaderin“ eine Art Bindeglied zwischen der Crew und den Schülern bildet. Aber das ist ein lösbares Problem für ein Projekt, von dem sie seit drei Jahren träumt.
Damals sah die Plochingerin einen kurzen Bericht über das Schiff im Fernsehen und „fand das voll spannend“, wie sie sagt. Sie bewarb sich, landete auf einer Warteliste und bekam nun, nach drei Jahren, das Angebot, als Watch Leaderin dabei zu sein. Gezögert hat sie nicht. Der Plan B – ein Au-pair-Aufenthalt – war damit erledigt.
Sie wird dabei nicht nur vieles von der Welt sehen, sondern auch Navigieren oder Segel setzen lernen. Die nautische Ausbildung gehört zum Programm. Vorkenntnisse brauche man keine, sagt Miriam.
Sechs Monate dicht an dicht mit unbekannten Menschen
Gekocht wird auf dem Schiff in Teams, was eine Menge an Vorplanung erfordert, vor allem bei den Atlantiküberquerungen. Aber es sind gerade die Herausforderungen, die die Plochingerin besonders ansprechen. Wind und Wetter auf hoher See, sechs Monate dicht an dicht mit bislang unbekannten Menschen, mit mehreren zusammen in einer Kajüte leben, Wäsche waschen nur bei Hafenaufenthalten und so weiter.
Auf dem Schiff sei man „eigentlich nie allein“, sagt Miriam. Aber dafür ohne Smartphone: Der Verzicht darauf ist für die Schülerinnen und Schüler Pflicht. Miriam will sich dem freiwillig weitgehend anschließen. „Ich werde meine Zeit auch sehr gut anders verbringen können.“ Die 19-Jährige ist „zum Glück kein schüchterner Mensch“, wie sie selbst sagt. Sie knüpfe gern Kontakte und gehe auf andere zu. Sie hat Erfahrung als langjährige Jungscharleiterin und ist in Vereinen aufgewachsen: Der Posaunenchor ist wie eine Familie für sie, was sich auch in der Unterstützung für ihr Abenteuer widerspiegelt. Außerdem schwimmt sie seit mehr als zehn Jahren bei der DLR. In der Karibik ins Wasser zu springen, dürfte einer der Höhepunkte der Reise für Miriam werden. „Da freu ich mich extrem drauf“, sagt sie. Es wird ungefähr an Weihnachten so weit sein. Das Schiff steuert auch Marokko, Kuba und die Azoren an. Und auf dem Programm stehen neben der Mitarbeit bei der Kaffee-Ernte in Costa Rica auch Strandputzeten, ein Abstecher nach Kuba und ein Surfkurs.
Wie viel Zahnpasta verbraucht man in sechs Monaten?
„Ich kann mir noch gar nicht vorstellen, wie es ablaufen wird“, sagt Miriam. „Aber ich freu mich so sehr drauf, das rauszufinden.“ In den vergangenen Wochen ist die Aufregung stetig gestiegen, schon allein die Packliste führte vor Augen, dass ein ganz anderes Leben bevorsteht. „Gummistiefel hatte ich gar keine mehr“, sagt Miriam, die zuletzt zum Geburtstag vor allem Reisebedarf geschenkt bekam. Und wie viel Zahnpasta verbraucht man in sechs Monaten? Die Frage kann spontan vermutlich kaum jemand beantworten.
Miriam hat bei Ferienjobs Geld gespart, um sich ihren Traum zu verwirklichen. Sie hat eine Crowdfunding-Aktion gestartet und wird von ihren Eltern unterstützt, will aber deren Zuschüsse später zurückzahlen. Sie wisse, dass es ein Privileg sei, so eine Reise machen zu können. Aber sie ist hungrig auf Erlebnisse und hat nach Corona wie alle in ihrem Alter auch einiges nachzuholen.
Die 19-Jährige freut sich natürlich über weitere Unterstützer: Wenn man auf der Website „Whydonate“ die Kategorie Reisen aufruft, findet man Miriam und ihr Projekt.
Unterricht auf dem Schiff
Schule auf See
Ocean College verspricht „praxisnahen Unterricht im Kontext des aktuellen Aufenthaltsortes“. Das beinhaltet die nautische Ausbildung einschließlich Sicherheitsrunden und kleineren Wartungs- und Kontrollarbeiten. Aber es geht entsprechend dem Reiseprogramm auch um andere Sprachen und Kulturen, um Umweltthemen und Flora und Fauna im Regenwald, um Arbeitsbedingungen im globalen Süden oder um politische Systeme. Auf den Schulschiffen werden auch Stipendien vergeben, für die man sich auf oceancollege.eu bewerben kann.
Ocean College
Johan Kegler ist Gründer und Geschäftsführer von Ocean College. Der Lehrer ist davon überzeugt, „dass Lernen vor allem praktisch passieren muss“, und dass es immer mit der Persönlichkeitsentwicklung der Jugendlichen verknüpft sein muss. Er denkt, dass unser klassisches System nicht ausreichend auf die Anforderungen der heutigen Lebens- und Berufswelt vorbereitet.