Plaketten wurden ohne ordentliche Prüfung erteilt Foto: dpa-Zentralbild

Einem Prüfingenieur aus dem Raum Reutlingen wird vorgeworfen, über Jahre hinweg mindestens 8500 Fahrzeugen ohne Prüfung die Plaketten für die Haupt- und Abgasuntersuchung verliehen zu haben. Von Donnerstag an muss sich der Mann vor dem Stuttgarter Landgericht verantworten.

Stuttgart - Der Fall hat im ganzen Land hohe Wellen geschlagen und verspricht auch vor Gericht zum Mammutprozess zu werden: Einem Prüfingenieur aus dem Raum Reutlingen wird vorgeworfen, über Jahre hinweg mindestens 8500 Fahrzeugen ohne Prüfung die Plaketten für die Haupt- und Abgasuntersuchung verliehen zu haben. Auf diese Weise sind zahlreiche Autos in sechs verschiedenen Landkreisen mit schweren Mängeln im Verkehr geblieben. Von Donnerstag an muss sich der Mann vor dem Stuttgarter Landgericht verantworten.

Angeklagt sind dort 477 Fälle aus dem Zeitraum Mai 2011 bis März 2012. Der Vorwurf lautet Bestechlichkeit in besonders schwerem Fall. Laut Staatsanwaltschaft ist der heute 60-Jährige weitgehend geständig. Bei seinen Vernehmungen hat er angegeben, er habe vor allem den Autofahrern helfen wollen. Die Ankläger gehen dagegen davon aus, dass er sich in erster Linie bereichern wollte. Dafür spricht auch das Bargeld in sechsstelliger Höhe, das bei seiner Festnahme in seinem Auto gefunden worden ist. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass das Geld aus den illegalen Geschäften stammt.

Der Mann wird aber nicht allein vor Gericht stehen. Mitangeklagt sind sieben weitere Männer, die mit dem Prüfer zusammengearbeitet haben sollen. Sie müssen sich wegen Bestechung in besonders schwerem Fall verantworten. Bei ihnen handelt es sich um die Betreiber von Autowerkstätten und Gebrauchtwagenhändler unter anderem aus Filderstadt, Leinfelden-Echterdingen und Waldenbuch. Dort soll der 60-Jährige den betroffenen Fahrzeugen die Plaketten verliehen haben, ohne sie vorher ordnungsgemäß zu prüfen. Das soll „allen Angeklagten einen besonders hohen Umsatz versprochen und ihnen eine fortlaufende Einnahmequelle von einigem Umfang und Gewicht verschafft haben“, sagt ein Gerichtssprecher.

Wie viele der betroffenen Autofahrer eingeweiht gewesen sind, ist noch offen. Bisher gehen die Ermittlungsbehörden davon aus, dass die meisten von ihnen nichts von den Machenschaften wussten. Der Prüfingenieur und seine Komplizen sollen ihre Mehreinnahmen vor allem dadurch erzielt haben, dass sie durch die unterlassene Prüfung sehr viel mehr Fahrzeuge durchschleusen konnten als normalerweise. Es steht aber auch im Raum, dass einzelne Autofahrer gezielt mehr bezahlt haben, um doch noch eine Plakette für ihr eigentlich schrottreifes Fahrzeug zu bekommen.

Bis es zu einem Urteil kommt, können Monate vergehen. Bisher sind für den Prozess bis Ende Februar insgesamt zwölf Verhandlungstage angesetzt. Dabei wird es möglicherweise auch um die Frage gehen, warum der Hauptangeklagte überhaupt so lange mit der Masche erfolgreich sein konnte. Er hat für die Karlsruher Gesellschaft für technische Sicherheitsprüfungen (GTS) gearbeitet – obwohl er laut Staatsanwaltschaft bereits schon zuvor mehrmals aufgefallen und sogar zu einem Aufsichtsgespräch ins Verkehrsministerium einbestellt worden war. Die GTS hat bisher stets betont, der Prüfer sei im Rahmen des Möglichen ausreichend überwacht worden. Sie hat den Mann nach dessen Festnahme suspendiert.

Der Fall des angeklagten 60-Jährigen ist nicht der einzige, in dem Prüfingenieure der GTS derzeit im Blickpunkt stehen. Die Staatsanwaltschaft Tübingen ermittelt seit einigen Monaten gegen zwei weitere Gutachter. Auch sie sollen im Auftrag der GTS unterwegs gewesen sein, um Plaketten der Hauptuntersuchung zu vergeben, aber keine ordentliche Begutachtung der Fahrzeuge geleistet haben.

Die Dimension dieser Fälle könnte gar noch größere Ausmaße annehmen als der Fall des 60-Jährigen. Nach Informationen unserer Zeitung soll einer der beiden Männer seit 2009 um die 10 000 Fahrzeuge pro Jahr geprüft haben. Experten gehen davon aus, dass bei korrekter Arbeit etwa 3500 realistisch sind. Es könnte sich also um mehrere Zehntausend fingierte Prüfungen handeln – weit über den Kreis Tübingen hinaus. Ob und wann gegen die beiden Prüfer Anklage erhoben wird, steht laut einem Sprecher der Tübinger Staatsanwaltschaft noch nicht fest. Die Ermittlungen seien umfangreich und zeitaufwendig.