Auch das Fahrzeugdiagnosesystem „Xentry Diagnosis“ von Mercedes-Benz wurde gefälscht – links das Original, rechts das dreiste Plagiat. Foto: Aktion Plagiarius e. V.

Der deutschen Wirtschaft entsteht jährlich ein zweistelliger Milliardenschaden durch Produktpiraterie. Der Schmähpreis Plagiarius prangert die dreistesten Fälschungen an. Welche Rolle Influencer spielen, und wer die Opfer sind.

Ideenklau ist kein Kavaliersdelikt. Egal ob Kosmetika, Spielzeug, Kleidung, Uhren, Maschinenteile oder Diagnosegeräte für die Fahrzeugwartung – es gibt kaum Produkte, die nicht gefälscht werden.

Der internationale Handel mit Fälschungen floriert und hat auch durch die Pandemie neuen Schub erhalten. Allein in der EU wurden nach neuesten Zahlen – sie beziehen sich aufs Jahr 2021 – etwa 86 Millionen gefälschte Waren beschlagnahmt. Nach Angaben des Amts der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) und der Europäischen Kommission ist das ein Anstieg um fast 31 Prozent gegenüber dem Jahr zuvor und nur die „Spitze des Eisbergs“.

Junge EU-Bürger kaufen mehr gefälschte Produkte

In der EU hat jeder dritte Jugendliche zwischen 15 und 24 Jahren schon vorsätzlich Fälschungen gekauft, so das „Jugendbarometer 2022 zum geistigen Eigentum“. Das entspricht laut EUIPO mehr als einer Verdoppelung in den letzten drei Jahren. Besonders gefragt waren gefälschte Kleidung, Schuhe, Accessoires sowie Elektronik. Als „besorgniserregend“ bezeichnet das Amt die deutlich gestiegene soziale Akzeptanz von Fälschungen sowie eine Gleichgültigkeit gegenüber der Problematik. Dem Amt zufolge haben Influencer demnach einen Einfluss auf das Kaufverhalten – die Rede von sogenannten „Dupe Influencern“, wobei mit Dupe Produktplagiate gemeint sind (dupe bedeutet so viel wie betrügen).

Dupe Influencer zeigten in Videos auf Youtube, Instagram oder etwa Tiktok gefälschte Design- und Luxusprodukte und würden diese ihren jungen, leicht beeinflussbaren Followern (Nutzern) empfehlen. Als vermeintliche „Vorbilder“ veränderten sie so deren Wahrnehmung von Fälschungen, legitimierten selbstherrlich den Verkauf rechtsverletzender Artikel und verharmlosten den Kauf als cool und akzeptabel.

Skrupelloses Handeln aus Profitgier

Laut Europol (Europäische Polizeibehörde) werden gefälschte Produkte zunehmend über Online-Plattformen, soziale Medien und Kurznachrichtendienste beworben und vertrieben. Die Markenverletzungen würden immer vielfältiger – das reicht von klassischen Plagiaten über Domainklau bis zu Fake-Shops.

„Mit viel krimineller Energie werden der Ruf und das Know-how renommierter Hersteller ausgenutzt und deren Marken und Glaubwürdigkeit geschwächt. Die Nachahmer handeln skrupellos und aus Profitgier“, sagt Christine Lacroix von der Aktion Plagiarius. Der Verein vergibt jedes Jahr – 2023 zum 47. Mal – einen Schmähpreis für Produktfälschungen, um auf die kriminellen und unfairen Praktiken der dreisten Nachahmer aufmerksam zu machen.

Der Negativpreis ist ein schwarzer Gartenzwerg mit goldener Nase – die symbolisiert die immensen Profite, die ideenlose Nachahmer auf Kosten von Kreativen und innovativen Unternehmen erwirtschaften. Traditionell wird er auf der Frankfurter Frühjahrsmesse vergeben.

Mercedes geht gegen Fälscher vor

Negativpreise gab es in diesem Jahr unter anderem wegen des Plagiieren eines Wandregal-Systems, von Gläsern und eines Fahrzeugdiagnosesystems, das der Reparatur und Wartung dient. Das Original stammt vom Stuttgarter Autobauer Mercedes-Benz und heißt „Xentry Diagnosis“ (für OBD, also On-Board-Diagnose). Das gefälschte Fahrzeugdiagnosesystem wird von OBD Diagnostic Tools in Fellbach vertrieben. Mercedes ging gegen die Fälschung vor. Wegen Verletzung der Marken „Mercedes-Benz“, des „Mercedes-Sterns“ und der für Diagnosesoftware geschützten Marke „Xentry“ gab es eine zivilrechtliche Verurteilung durchs Landgericht Stuttgart, zusätzlich wurde ein Strafverfahren eröffnet.

Solche gefälschten Systeme könnten nicht nur missbraucht werden, um etwa Gurtwarner oder die Höchstgeschwindigkeitsbegrenzung zu deaktivieren, meist sei die Software veraltet. Reparaturen und Wartungen erfolgten dann nicht auf dem aktuellen Stand der Technik, heißt es, so dass Sicherheitsprobleme möglich seien und Fehler eventuell nicht erkannt würden.

Der Schutz des geistigen Eigentums und die Bekämpfung von Produkt- und Markenpiraterie müsse noch engagierter betrieben und auf die neuen Geschäftsmodelle des Ideenklaus angepasst werden, sagte Uwe Becker, der Hessische Staatssekretär für Europaangelegenheiten, bei der Vergabe der Schmähpreise.

Mehr als 54 Milliarden Euro Schaden für deutsche Unternehmen

Der Schaden für die deutsche Volkswirtschaft geht in die Milliarden. Laut einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) betrug der Schaden durch Produktpiraterie für deutsche Unternehmen im Jahr 2020 mehr als 54 Milliarden Euro. Eine neuere Erhebung gibt es nicht. IW-Experte Oliver Koppel vermutet, dass die Zahl weiter gestiegen ist. „Die Unternehmen spiegeln uns zurück, dass das Problem eher gewachsen ist“, sagte er unserer Zeitung. Oft säßen die Fälscher im Inland – auch wenn der Großteil der Plagiate – vor allem Technik – aus China und der Türkei – vor allem Textilien – stammten.