Flugreisen sind wegen der Umweltbelastung zunehmend umstritten. Foto: dpa//J. Stratenschulte

Wenn städtische Delegationen abheben, wird dafür künftig ein Ausgleich erfolgen. Bürger können sich ebenfalls beteiligen. In Ludwigsburg wird das Thema auch diskutiert.

Vielleicht war die Zeit noch nicht reif, als die Marbacher Grünen schon vor 15 Jahren forderten, dass Flugreisen städtischer Delegationen kompensiert werden sollten: per Zahlung an die Agentur Atmosfair, über die klimafreundliche Projekte angeschoben werden. Nun war es aber so weit: Die Gruppe Puls hat einen neuerlichen Vorstoß in diese Richtung unternommen – und rannte damit im Grundsatz bei der Rathausspitze und den Fraktionen offene Türen ein. Der Verwaltungsausschuss beschloss einhellig, dass für Flüge fortan ein Umweltausgleich geleistet werden muss.

Allerdings schlägt die Stadt einen Sonderweg ein, wird die Zahlungen also nicht an Atmosfair leisten. Die Verwaltung hatte stattdessen vorgeschlagen, das Geld lieber vor Ort in Vorhaben zu investieren, die der Umwelt zugutekommen. Eine Idee, die die Räte goutierten. „Das ist ein Signal, dass wir etwas tun wollen für Nachhaltigkeit und den Klimaschutz“, fasste Bürgermeister Jan Trost zusammen. Die Aktion kann, muss aber nicht auf Kompensationszahlungen der Kommune beschränkt bleiben. Es soll nämlich ein Fonds eingerichtet werden, in den auch Bürger Geld einzahlen können.

Streuobstwiese oder ein Partnerschaftswäldchen?

Einig war sich die Runde, dass von den Euros, die in dem Topf landen, zusätzliche Umweltprojekte angepackt werden, also nicht etwa eine energetische Sanierung bezuschusst wird, die ohnehin auf der Agenda stand. Und im besten Fall, sagte Heike Breitenbücher von der CDU, „ist das auch ein Projekt, dass man wachsen sieht. Wenn dann vielleicht noch Spenden dazukommen, könnte es am Ende ein Gemeinschaftsprojekt der Marbacher werden“, erklärte sie. Im Gespräch sind derzeit, eine Streuobstwiese, ein Partnerschaftswäldchen oder einen Kinder-Klima-Erkundungspfad anzulegen.

Die Frage wird freilich sein, aus welchem finanziellen Fundus die Kommune dabei schöpfen kann. In den Flieger setzen sich Delegationen aus Marbach lediglich, um die weit entfernten offiziellen Partnerstädte Washington in Missouri, Tongling in China sowie das befreunde Tirebolu in der Türkei anzusteuern. Und das auch noch in einer recht niedrigen Frequenz, ungefähr alle fünf Jahre, wie der Bürgermeister hervorhob. Für einen Flug von Stuttgart in die amerikanische Partnerstadt würden dann pro Person aber immerhin 83 Euro als Ausgleich fällig, bei einem Tross von 30 abgabepflichtigen Teilnehmern wie zuletzt 2017 flössen somit fast 2500 Euro in den neuen Klimatopf der Kommune.

Coronabedingt herrscht eingeschränkter Reisebetrieb

Vielleicht macht das Marbacher Beispiel auch in Ludwigsburg Schule. In der Barockstadt wird das Thema CO2-Kompensationen von Flugreisen zurzeit nämlich „verwaltungsintern im Rahmen des Projekts klimaneutrale Verwaltung diskutiert“, berichtet Pressesprecherin Susanne Jenne. Mit dem Flugzeug gehe es für Gesandtschaften aus Ludwigsburg in die Partnerstädte St. Charles (USA), Caerphilly (GB) und in Ausnahmefällen auch nach Novi Jicin in Tschechien. „Allerdings“, betont Susanne Jenne „fanden in den vergangenen Jahren coronabedingt sehr wenige Reisen statt“. Nach St. Charles seien beispielsweise lediglich Oberbürgermeister Matthias Knecht, zwei weitere Vertreter der Rathausmannschaft sowie Mitglieder des Partnerschaftsvereins aufgebrochen.

Pauschaler Betrag geht an Hilfsorganisationen

Für die Kollegen in Bietigheim-Bissingen sind Bus und Bahn dann keine echte Alternative zum Flugzeug, wenn man nach Tupungato in Argentinien, Overland Park in den Vereinigten Staaten oder das japanische Kusatsu reist. Doch dann wird im Gegenzug, wie jetzt in Marbach geplant, ein Ausgleich geleistet. Und zwar schon seit 2019, als ein entsprechender Antrag der Grünen von den politischen Gremien abgesegnet wurde, wie Pressesprecherin Anette Hochmuth mitteilt. „Seither wird ein pauschaler Betrag als Kompensation aufgebracht, abhängig vom Umfang der Flüge“, erklärt sie. Das Geld werde ebenso keinen externen Hilfsorganisationen überwiesen, sondern fließe an Entwicklungshilfeprojekte, die die Stadt schon seit Jahren unterstütze.

Dabei handele es sich um Vorhaben, die von den Kirchengemeinden und privaten Vereinen wie der Initiativgruppe Hilfe für die Dritte Welt, Pro Waisenhäuser in Myanmar und Kusaidia Afrika getragen würden. „Solche Projekte erhalten jährlich 10 000 bis 15 000 Euro von der Stadt, 2019 wurde der Betrag um 5000 Euro aufgestockt“, berichtet Hochmuth.

Das war allerdings auch das letzte Jahr, in dem die Sonderzahlung geleistet wurde. Das hat freilich einen simplen Grund: wegen der Pandemie habe es schlicht keine Flüge von städtischen Delegationen mehr gegeben, teilt die Pressesprecherin mit.

Ausgleich über Atmosfair

Umweltfreundlich
Egal ob Städte oder Privatpersonen: Wen das schlechte Gewissen bei einer Flugreise plagt, kann dafür bei der Agentur Atmosfair eine Ausgleichszahlung leisten. Das Geld wird nach Angaben der gemeinnützigen Klimaschutzorganisation unter anderem dafür verwendet, umweltfreundliche Wasserkraftwerke zu bauen und Photovoltaikanlagen in ärmeren Ländern zu installieren.

Kompensationsrechner
Bei einem Internetrechner von Atmosfair kann man seine Flugstrecke eingeben und erhält dann die Information, welcher finanzielle Ausgleich dafür zu leisten wäre. Fliegt man beispielsweise mit drei Personen von Stuttgart nach New York würden 257 Euro fällig. Pro Person würde man bei dieser Reise einen CO2-Ausstoß von 3761 Kilogramm verursachen. Das klimaverträgliche Jahresbudget eines Menschen beträgt lediglich 1500 Kilogramm CO2.