Wohngebäude und Gefängnis trennen oft nur wenige Meter. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Das Justizministerium plant, das geschichtsträchtige Hochhaus der Justizvollzugsanstalt (JVA) Stammheim weiterzubetreiben. Damit würde am Nordrand Stuttgarts das mit Abstand größte Gefängnis des Landes entstehen. Doch die Sorgen halten sich in Grenzen.

Stuttgart - Ein Leben Aug’ in Aug’ mit dem vielleicht bekanntesten Gefängnis Deutschlands: Die Wohnblöcke an der Pflugfelder Straße in Stammheim stehen zum Teil nur wenige Meter vom Außenzaun der JVA entfernt. Im weiten Umkreis hört man Rufe und Lärm aus dem Hof herüber, den noch eine hohe Mauer von der Nachbarschaft trennt. 746 Gefangene leben derzeit hinter den Sicherungen, 234 mehr als eigentlich in den Zellen Platz haben. Das berühmte Hochhaus, in dem in den 70er Jahren führende Terroristen der Rote Armee Fraktion (RAF) einsaßen und sich dort auch das Leben nahmen, überragt die Umgebung weit und ist von allen Seiten sichtbar.

Das wird wohl auch so bleiben. Die Gefängnisse im Land sind völlig überfüllt. Deshalb plant das Justizministerium, das Hochhaus doch nicht am Jahresende, wenn fünf neue Hafthäuser auf dem Gelände fertig werden, zu schließen. Eigentlich war der Abriss des Gebäudes vorgesehen, um Platz zu schaffen für ein Gefängnis-Krankenhaus, das die Rolle der heutigen Einrichtung auf dem nahe gelegenen Hohenasperg übernehmen könnte. Wird das Hochhaus weiterhin genutzt, verfügt die JVA künftig nicht wie bisher vorgesehen über 772, sondern über 1185 Haftplätze. Sie wäre damit das mit Abstand größte Gefängnis in ganz Baden-Württemberg.

Einige Meter neben den Zäunen und Mauern stößt das nicht gerade auf Begeisterung. „Das brauchen wir eigentlich nicht. Dann wird der Krach wohl noch größer“, sagt eine ältere Dame. Allerdings störe der sie selbst nicht besonders: „Ich wohne weit genug weg. Insofern kann es mir egal sein, was dort drüben passiert“, ergänzt sie und schaut hinüber zum Hochhaus. „Direkt daneben wohnen wollte ich aber nicht.“

Vor allem Lärm und Verkehr sind ein Thema

„Den Krach und Leute, die kommen, um von außen hineinzurufen, kennen wir seit Jahren“, erzählt ein junger Mann, der von seinem Balkon aus einen Blick direkt aufs Gefängnis hat. Die Sicherheitskräfte versuchten, das zu unterbinden. Noch mehr Insassen bedeuten auch für ihn schlicht mehr Krach. „Sorgen um meine Sicherheit mache ich mir deswegen aber nicht. Wir haben uns hier an die JVA gewöhnt“, sagt er.

Bezirksvorsteherin Susanne Korge zeigt sich wenig überrascht über die neuen Pläne des Justizministeriums. „Offiziell hat mit mir zwar noch niemand gesprochen, aber natürlich hat man sich angesichts der Überbelegung im ganzen Land schon Gedanken gemacht. Irgendwo müssen die ganzen Gefangenen ja hin“, sagt sie. Man wünsche sich diese Entwicklung nicht, aber „man wird damit umgehen können“. Ihrer Einschätzung nach haben die meisten Stammheimer bisher gar nicht bemerkt, wie überfüllt die JVA ist: „Sicherheitsbedenken gibt es da kaum. Und was sich innerhalb der Mauern abspielt, betrifft uns nicht.“

Baustellen seit über zehn Jahren

Allerdings schon, was davor passiert. Und da befürchtet die Bezirksvorsteherin mit mehr Gefangenen und mehr Mitarbeitern auch mehr Verkehr. „Der hat hier allgemein ohnehin zugenommen“, sagt sie. Dafür bringe das Gefängnis auch Arbeitsplätze. Und eine gute Nachricht gibt es zudem: Der Ärger, den die mittlerweile seit über einem Jahrzehnt andauernden Baustellen auf dem Gelände zum Teil wegen Lärmbelästigungen durch Handwerker verursacht haben, ist weit gehend verraucht. „Das hat sich beruhigt“, so Korge – und fügt mit Blick auf das Hochhaus an: „Das Gebäude steht ja sowieso schon. Und außerdem wird uns ohnehin niemand fragen.“

Das könnte im Übrigen auch der Stadtverwaltung so gehen. „Zumindest ordnungsrechtlich haben wir nichts mit den Planungen zu tun“, sagt ein Rathaussprecher. Ob die Landeshauptstadt in baurechtlicher Sicht wird mitsprechen können, ist noch offen. Will das Land also sein Großgefängnis, wird es wohl auch kommen. Zumindest große Aufregung dürfte das in weiten Teilen Stammheims dann nicht auslösen. Man geht eben gelassen mit dem prominenten Nachbarn um.