Im Boot kommt man ganz nah ran: Der Rheinfall ist eine touristische Attraktion ersten Ranges, besonders während der Schneeschmelze Foto: dpa

Der Ausstieg aus der Kernenergie lässt die Eidgenossen nach Alternativen suchen. Dabei gerät vor allem der Hochrhein bei Schaffhausen ins Blickfeld der Energieunternehmen.

Schaffhausen - Donnernd stürzt sich die Flut über die Felsen: Der Rheinfall bei Schaffhausen ist mit seinen 23 Meter Höhe eines der großen europäischen Naturwunder. Nein, er ist viel mehr: ein Teil der Schweizer Identität, ein eidgenössisches Symbol wie das Matterhorn oder Toblerone.

Ausgerechnet dieses Nationalheiligtum wollen die Rheinkraftwerke Neuhausen AG nun antasten, um im eigenen Land die Energiewende zu beschleunigen. Wer Atomkraftwerke abschalte, müsse eben andere Quellen nutzen, räsonierte dieser Tage Verwaltungsratschef Martin Steiger im Schweizer Fernsehen und schlug vor, die Kaskaden besser zu nutzen.

Schon seit über hundert Jahren betreibt das Unternehmen dort ein kleines Wasserkraftwerk. Die Touristen – über eine Million lassen sich jährlich die Gischt ins Gesicht wehen – bekommen davon allerdings nichts mit. Denn für die knapp fünf Megawatt installierter Leistung wird nur relativ wenig Wasser benötigt: rund 25 Kubikmeter in der Sekunde. Über die Felsen donnern aber zehn- bis 30-mal so viel. Oder noch mehr.

Der Rheinfall sei unverhandelbar, sagen Naturschützer

Doch nun denkt die Rheinkraftwerke AG an einen Neubau. Und der würde dem Fluss 20 Prozent seiner Wassermenge entziehen. Für diese Menge hat jedenfalls die Eidgenössische Natur- und Heimatschutzkommission bereits grünes Licht gegeben. Damit das Publikum das nicht bemerkt, könnte man die Turbinen ja vor allem nachts laufen lassen, schlug Steiger vor. So ließen sich Fremdenverkehr und Stromgewinnung elegant vereinbaren.

Naturschützer und Touristiker in der Schweiz schäumen. Der Rheinfall sei unverhandelbar, er dürfe auf keinen Fall der Gier nach mehr Strom zum Opfer fallen, wettert etwa Stefan Kunz vom Umweltverband aqua viva. „Er ist gleichsam ein Gesamtkunstwerk der Natur, von dem man auch nachts oder bei Schlechtwetter nicht einzelne Gliedmaßen amputieren kann, um sie dann tagsüber, wenn die Touristen da sind, flugs wieder anzunähen.“

Auch die deutschen Naturschützer laufen bereits Sturm: „Wir sehen das sehr kritisch, weil der Rheinfall ein Naturdenkmal ist“, sagt Uli Faigle vom BUND Hochrhein.

Das Energieunternehmen rudert angesichts dieses Protests aber keineswegs zurück. Man sei sich der touristischen und ökologischen Bedeutung des Rheinfalls sehr wohl bewusst und respektiere dies auch „vollumfänglich“, reagierte die Firma auf Medienmeldungen.

In der Stadt Schaffhausen könnten die Keller volllaufen

Dennoch seien angesichts des Ausstiegsbeschlusses – spätestens 2034 soll der letzte Kernreaktor vom Netz gehen – neue Ideen für die Wasserkraftnutzung notwendig. Und zwar auch dann, wenn die Sonne als Energielieferant ausfällt, etwa in der Nacht. Im Übrigen stünden die Überlegungen ganz am Anfang. Es seien „Ideensammlungen“, deren Auswirkungen heute noch niemand beurteilen könne.

Das allerdings ist stark untertrieben. Denn auf politischer Ebene haben die Ausbaupläne bereits ein beachtliches Stadium erreicht. Schon Mitte Februar legte die Schaffhausener Kantonsregierung dem dortigen Parlament den Antrag vor, das Wasserwirtschaftsgesetz so zu verändern, dass an Rhein und Wutach mehr Energie gewonnen werden kann. Insgesamt neun konkrete Maßnahmen schlägt die Regierung dafür vor – die Rheinfallnutzung ist nur eine davon.

So steht etwa auch die Leistungssteigerung beim bestehenden Rheinkraftwerk Schaffhausen, wenige Flusskilometer oberhalb des Rheinfalls, zur Debatte, indem man den Rhein dort um 40 Zentimeter höher aufstaut. Ein Gutachten lotet dazu bereits die Details aus. „Grundsätzlich technisch machbar“, heißt es darin. Allerdings gebe es ökologische, juristische und administrative Probleme – bis dahin, dass in der Stadt Schaffhausen die Keller volllaufen könnten.

Trotzdem kommt die Schaffhausener Regierung zum Schluss, lieber den Rhein und die Wutach als Energielieferanten zu nutzen als mehrere kleinere Flüsse. „Mit den in der Wasserkraftnutzungsstrategie erwähnten Maßnahmen könnte ein zusätzliches Potenzial von rund 67 Gigawattstunden pro Jahr realisiert werden. Dies entspricht immerhin 12,5 Prozent des Stromverbrauchs des Kantons Schaffhausen“, heißt es in dem Antrag vom Februar an das Parlament. Am 6. Mai wollen die Abgeordneten darüber beraten.

Die deutsche Seite müssten die Eidgenossen bei dem Rheinfallprojekt nicht um Erlaubnis fragen. Die wäre nämlich nicht betroffen, würde man das Wasser oberhalb der Kaskade entnehmen und bald danach wieder einleiten. Anders sieht es mit dem Stauprojekt aus. Im Stuttgarter Umweltministerium heißt es, dadurch würden teilweise auch deutsche Rheinstrecken eingestaut, deshalb sei auch eine geänderte wasserrechtliche Bewilligung durch Baden-Württemberg nötig. Ein Antrag sei allerdings noch nicht gestellt, es handle sich bisher nur um Vorüberlegungen.