Berühmter Giftpilz: Der Fliegenpilz. Foto: Simon Granville

Wenn es feucht genug ist, sprießen im Wald viele bunte Hütchen aus dem Boden. Aber einige Speisepilze haben gefährliche Doppelgänger – wer sammelt, muss einige Pilzmerkmale richtig erkennen.

Ist das hier ein Parasol? Mit geschultem Auge betrachtet Yvonne Fleder den Pilz, mit langen Stiel und weitem, schuppigen Hut, ganz genau. Mit den Fingern verschiebt sie den Ring am Stiel des Pilzes ohne große Mühe – ein gutes Zeichen, ebenso wie die Natterung, eine unregelmäßige Färbung, die durch das Aufreißen der äußeren, dunkleren Schichten des Pilzes entsteht. Dann noch ein letzter Test: Mit einem Messer schneidet Yvonne Fleder in den Stiel des Pilzes, wartet einige Sekunden. Würde sich das Fleisch jetzt rot färben, könnte es sich hier um einen giftigen Verwandten aus der Gattung der Riesenschirmlinge handeln. Aber dann gibt es Entwarnung: Der Stiel bleibt weiß, es ist ein Parasol.

 

Gewachsen ist das Exemplar des beliebten Speisepilzes in einem Waldstück bei Gebersheim. Hier ist Yvonne Fleder, die seit fünf Jahren von der Deutschen Gesellschaft für Mykologie zertifizierte Pilzsachverständige ist, diesen Herbst gleich zweimal unterwegs, um für den BUND Leonberg zukünftigen Hobby-Pilzsammlern einen Einblick in die Welt der Pilze zu geben. Für eine Kinderführung hatte der BUND die Sachverständige einst ausgemacht, inzwischen gibt es die Führung für alle Interessierten, egal welchen Alters, schon das vierte Jahr. „Das ist seitdem immer total erfolgreich“, berichtet Eleonore Schick vom Leonberger Ortsverein des Naturschutzbundes.

Keine Pauschalregeln für die Pilzerkennung

Wer den Ausführungen und Erklärungen von Yvonne Fleder lauscht, dem wird schnell klar: Über Nacht wird kein Pilz-Experte geboren. Denn Merkmale, anhand derer man die Pilze bestimmen kann, sind vielfältig und komplex. „Es gibt wenige Regeln, um pauschal zu bestimmen, ob ein Pilz giftig oder essbar ist“, sagt die Expertin. Auf das Gefühl oder das allgemeine Aussehen der Pilze kann man sich zumindest nicht verlassen. Milchlinge, die orangene Flüssigkeit produzieren, sind beispielsweise ebenso essbar wie die pechschwarze Totentrompete oder der türkisfarbene Grünspanträuschling mit seiner schleimigen Hutoberfläche. Giftig können unterdes auch die unscheinbaresten Pilze sein. Einsteigern empfiehlt Fleder deshalb, mit den sogenannten Röhrlingen anzufangen, die wegen ihrer Röhrenstruktur, die an der Hutunterseite wie Schwämme erscheinen, so genannt werden – und unter denen zumindest keine tödlich giftigen Pilze lauern.

Mit Plastikstrohhalmen erklärt Yvonne Fleder die Röhrenstruktur eines Steinpilzes. Foto: Simon Granville

Dass es bei den Röhrlingen keine schwerwiegende Verwechslungsgefahr gibt, macht die Suche für Pilz-Neulinge leichter. Denn bei der Bestimmung braucht es ein gutes Auge – und Übung. Pfifferlinge treffsicher zu bestimmen etwa, das sei schwer, so Fleder. „Ich habe schon Leute getroffen, die das zehn mal geübt haben und die Pilze trotzdem nicht richtig identifiziert konnten“, sagt die Expertin. Während der falsche Pfifferling Lamellen an der Hutunterseite hat, sind es beim echten Pfifferling feste, dicke Leisten an der Hutunterseite. „Wie bei einem Menschen, wenn er die Muskeln anspannt und die Adern rausstehen.“

Wenn es feucht und warm ist, sprießen die Pilze

14 500 Pilzarten gibt es laut WWF in Deutschland, weit mehr als Pflanzenarten. Unterteilen kann man diese Pilze etwa nach der Form der Ernährung: Saprophyten zersetzen altes, organisches Material, etwa Holz, und sind deshalb häufig auf alten Baumstämmen zu finden. Manche Pilze leben in Symbiose mit den Wurzelsystemen von Pflanzen, andere wiederum sind Parasiten, Hallimasche zum Beispiel.

Wann die Pilze im Wald jedes Jahr anfangen zu sprießen, ist laut Yvonne Fleder vor allem vom Wetter abhängig. Die Hauptsaison beginnt also dann, wenn es feuchtwarm ist. „Ob das nun Mitte August schon so ist – oder erst im Oktober“, sagt Fleder. Im vergangenen Jahr etwa gab es aufgrund anhaltender Trockenheit kaum welche zu finden, damals hatte der BUND Leonberg auch eine Pilzführung absagen müssen.

Wer Steinpilze sucht, sollte eher in Nadel- und Fichtenwälder gehen, Laubwälder wiederum sind laut Fleder besonders im Sommer und Spätsommer interessant für Pilzfans. Die Pilze, die man dann zwischen Blättern, Büschen und Bäumen Pilze entdeckt, könne man ganz ohne Scheu bei einer Pilzberatungsstelle prüfen lassen, bevor sie in die Pfanne wandern. Bei der Beratung können Pilzsachverständige einen Blick in den Korb werfen und eventuelle giftige Doppelgänger ebenso wie schimmlige, verdorbene oder schlicht zu alte Exemplare wieder aussortieren.

Die freudige Erwartung auf die Pilzsaison gehört dazu

In den Wald gehen, ohne Ausschau nach Pilzen zu halten, das kann Yvonne Fleder inzwischen nicht mehr. „Es ist wie eine Sucht“, sagt sie über ihr Hobby. „Wenn man einmal anfängt, ist es schwer, wieder aufzuhören.“ Besonders die wahnsinnige Vielfalt, alleine unter den in Deutschland vorkommenden Pilzen, reizt die Sachverständige. Und die Erwartung: „Jedes Jahr wartet man darauf, dass wieder etwas wächst“, sagt sie. Ist es einmal soweit, ist sie fast jeden Tag im Wald. Touren führt sie jeden Herbst drei- oder viermal – eine davon eben oft gemeinsam mit dem BUND in Leonberg.

Die jährliche Pilzführung gehört für den Leonberger Ableger des Bundes für Umwelt und Naturschutz inzwischen fest zum Jahresprogramm. Mit Angeboten wie diesen wollen die Aktiven auch auf ihre wichtige Arbeit aufmerksam machen. „Wir wollen als BUND die Stimme für die Natur sein, weil die Natur sich nicht zu Wort melden kann“, erklärt Eleonore Schick.

Und es geht auch ein wenig darum, die Menschen zu motivieren, mit offeneren Augen durch die Städte und Wälder zu gehen. Seit vergangenem Jahr organisiert der BUND deshalb etwa eine Ritzenflorawanderung, die auf kleine Pflänzchen im städtischen Raum aufmerksam machen soll, die sonst gerne übersehen werden – dabei aber viel zur Abkühlung der Städte beitragen. Die Pilzführung derweil schult das Auge fürs Detail und die Wertschätzung für den Wald: „Denn die Wälder, so wie wir sie kennen, gibt es in 50 Jahren nicht mehr.“

Das unterirdische Leben der Pilze

Mycel
Was im allgemeinen Sprachgebrauch als „Pilz“ bezeichnet wird, ist eigentlich nur ein Fruchtkörper – fast überwiegend besteht der Pilz aber aus Mycel, feinen Fäden, die sich in Holz oder Erde graben. Das Mycel kann eine über einen Quadratkilometer große Fläche bilden.

Sammeln
Gesammelt werden dürfen in öffentlichen Wäldern außerhalb von Naturschutzgebieten ein bis zwei Kilogramm Pilze pro Person und Tag – allerdings nur für den Eigenbedarf und in haushaltsüblichen Mengen.