Die Köpfe des Projekts (von link): Dennis Schmidt, Susanne Digel, Oliver Hautmann Foto: factum/Granville

Ehrenamtliche sollen schaffen, wofür Ärzten und Pflegern die Zeit fehlt: Angehörige in der Notaufnahme beruhigen. Das Klinikum Ludwigsburg sucht für sein Pilotprojekt Männer und Frauen, die sich das zutrauen.

Ludwigsburg - Schreiende Patienten, Pfleger, die hektisch Krankenbetten durch die Flure fahren und Ärzte, die auf dem Gang Menschen wiederbeleben – so dramatisch kennt man Notaufnahmen aus Hollywood-Filmen und Serien. Die Realität sieht zwar nicht so extrem aus. Dennoch ist der Besuch einer Notaufnahme immer ein Extrem-Ereignis – nicht nur für die Patienten selbst, sondern oft auch für die Angehörigen. Sie wissen nicht, wie es dem Menschen geht, der möglicherweise gerade im Schockraum nebenan behandelt wird. Sie glauben, dass eine lange Wartezeit ein schlechtes Zeichen ist. Und überhaupt gibt es selten jemanden, der sie beruhigt und über die Lage aufklärt.

Das Klinikum Ludwigsburg möchte das nun mit einem Pilotprojekt ändern. Gesucht werden ehrenamtliche Helfer für die Zentrale Notaufnahme, die sich explizit um das Wohl der dort wartenden Angehörigen kümmern. „Wir wollen unsere Antennen in den Wartebereich schieben“, sagt Oliver Hautmann, der Ärztliche Direktor des Zentrums für interdisziplinäre Notfallmedizin. So heißt die Notaufnahme seit sie umgebaut und im Dezember 2016 neu eröffnet worden ist. Insgesamt ist man im Klinikum mit dem Umbau zufrieden. Die Notaufnahme ist räumlich so gegliedert, dass man die Hektik und den Stress, den lebensrettende Maßnahmen auslösen, als Angehöriger nicht mitbekommt – es geht also eben nicht zu wie bei „Emergency Room“ oder „Grey’s Anatomy“.

„Blinder Fleck“ bei der Umstrukturierung

Dennoch habe man bei der Umstrukturierung einen „blinden Fleck entdeckt“, wie Hautmann sagt. Die Versorgung der Patienten sei auch zu den Spitzenzeiten in der Notaufnahme – zwischen neun und 13 Uhr sowie zwischen 17 und 20 Uhr – kein Problem. „Was die Infrastruktur angeht, sind wir in der Lage, 100 000 Patienten im Jahr zu versorgen“, sagt Hautmann. Aber: „Diese Patienten haben auch Angehörige.“ Und für diese gebe es im deutschen Gesundheitssystem keine Strukturen, wie man mit deren Wartezeiten und möglicherweise Ausnahmezuständen umzugehen habe. „In allen Notaufnahmen heißt es: ‚So, setzen Sie sich mal da hin.’“ Und das war’s dann.

Die Idee für die so genannten Notaufnahmebegleiter kam aus der Klinikseelsorge. Es gehe dabei darum, Transparenz für die Wartenden zu schaffen, sagt die Klinikseelsorgerin Susanne Digel. Es müssten Abläufe und Zuständigkeiten erklärt werden. „Die Leute müssen erfahren, dass es nicht unbedingt etwas Schlimmes bedeutet, wenn sie drei Stunden warten müssen.“ In anderen Situationen sei es gut, den Druck rauszunehmen. Schulen schickten heute gerne Schüler mit auch leichten Verletzungen gleich in die Notaufnahme, um auf Nummer sicher zu gehen.

Gestiegene Anspruchshaltung in der Notaufnahme

Um die Helfer adäquat vorzubereiten, bietet das Klinikum den Ehrenamtlichen eine Ausbildung an. Dort lernen sie beispielsweise wie man ein Gespräch gut führt und mit Krisen umgeht, sie lernen die Abläufe in der Notaufnahme kennen und was Krankheit und Tod in verschiedenen Kulturen bedeuten.

Dennis Schmidt, der Pflegeleiter in der Notaufnahme, erklärt, warum gerade letzteres wichtig ist: „In anderen Kulturkreisen sind Trauer und Tod etwas, das jeder mitbekommen darf.“ In Deutschland trauere man dagegen eher im Stillen. Auf diese Unterschiede gelte es einzugehen, denn: „Wir werden immer bunter. Das ist etwas, mit dem wir uns auseinandersetzen müssen.“

Die Ehrenamtlichen sollen auch helfen, auf eine weitere Entwicklung besser reagieren zu können: Immer wieder klagen Krankenhäuser darüber, dass Menschen in die Notaufnahme kommen, weil sie keinen Arzttermin bekommen. „Die Anspruchshaltung und der Servicegedanke sind heute ganz anders. Dem müssen wir uns stellen“, sagt Schmidt diplomatisch.

Sind die Begleiter dem Ausnahmezustand gewachsen?

Einen ersten Testlauf für die Notaufnahme-Begleiter gab es bereit mit Hospitanten der Notfallseelsorge. Noch ist nicht klar, wie die Begleiter zu erkennen sein sollen. Weiß oder blau gekleidet werden sie jedenfalls nicht sein. „Sie dürfen nicht mit dem medizinischen Personal verwechselt werden“, sagt Hautmann. Zu Beginn sollen es zehn Begleiter sein, aber es sei vorstellbar, das Programm später auszubauen.

Wichtig bei der Auswahl ist Hautmann die Fähigkeit zur Empathie. Ob die Begleiter auf Dauer auch den psychischen Ausnahmezuständen in der Notaufnahme gewachsen sein werden, könne laut Hautmann nur die Zeit zeigen. „Dieses Risiko kann niemand vorab einschätzen.“

Die Vorbereitung dauert elf Monate

Gesucht
Für einen ersten Vorbereitungskurs sucht das Klinikum zehn Personen. Sie werden in einem elfmonatigen Kurs auf ihre Aufgabe vorbereitet. Die Kosten dafür werden vom Klinikum übernommen, Teilnehmer zahlen eine Eigenbeteiligung von 80 Euro.

Gefordert
Wer teilnehmen möchte, sollte psychisch belastbar sein. Zudem verpflichtet man sich, an den Schulungen teilzunehmen. Das sind vier Wochenendkurse à sieben Stunden sowie 16 Abendkurse dienstags und freitags von 17.30 Uhr bis 21 Uhr. Hinzu kommen monatlich fünf Stunden Praxiserfahrung in der Notaufnahme. Nach der Ausbildung verpflichtet sich jeder Teilnehmer zu einer Mitarbeit von mindestens zwei Jahren und zur regelmäßigen Teilnahme an Fortbildungen. Das Klinikum betont, dass der Kurs offen ist für Teilnehmer aller Konfessionen sowie Konfessionsloser.

Gemeldet
Interessenten können sich bis zum 15. März bei Susanne Digel von der Klinikseelsorge melden. Telefon: 0 71 41/9 99 71 33, Mail: Susanne.Digel@kliniken-lb.de. Ein Vorgespräch für potenzielle Kandidaten findet am 19. März von 17.30 Uhr bis 21 Uhr statt