Das Haus B10, wie es fünf Jahre in der Weißenhofsiedlung stand Foto: Zooey Braun

Mit einem neuartigen Wohnhaus heizte der Ingenieur Werner Sobek die Debatte um zeitgemäßes Bauen an. Jetzt ist es umgezogen. Die Stadt Stuttgart hätte es gern hier behalten. Aber nicht um jeden Preis.

Stuttgart - Es wurde als Vorbote einer neuen Bauweise in Zeichen von Ökologie und Nachhaltigkeit gefeiert – jetzt ist es still und leise aus Stuttgart verschwunden. Die Rede ist vom Versuchswohnhaus B10, das von seinem Schöpfer Werner Sobek so genannt worden ist, weil es auf dem Brachgelände Bruckmannweg 10 in der weltberühmten Weißenhofsiedlung aufgebaut wurde.

Das Versuchshaus sollte nachweisen, dass es mit moderner Technik zweimal so viel Energie erzeugen kann wie die Bewohner zusammen mit zwei Elektrofahrzeugen verbrauchen. Es sollte also eine Art von Kleinkraftwerk sein, das in seiner Umgebung zum Teil auch noch Altgebäude mitversorgen kann, die nicht so einfach auf nachhaltig und umweltfreundlich zu trimmen sind – in dem Fall ein vom Architekten Le Corbusier entworfenes Gebäude, das längst Kulturdenkmal ist. Das Modellhaus, das in den Medien auch schon mal das „erste recycelbare Aktivhaus der Welt“ genannt wurde, ist in Modulbauweise gefertigt. Es ist leicht auf- und abzubauen und zu versetzen und hat rund 82 Quadratmeter beheizte Wohnfläche. Künftig wären aber auch größere Hausformen machbar, hat Sobek vor Jahren schon erläutert.

Eine Fertighausfirma übernimmt das Gebäude

Im August hat ein Kran das Haus B10 auf einen Tieflader gesetzt, der es zum neuen Standort in Hohenstein auf der Schwäbischen Alb brachte, teilte das Kommunikationsbüro Bering Kopal jetzt im Auftrag von Sobek mit. Das ging – wie im Jahr 2014 bereits der Aufbau – relativ unkompliziert, weil B10 ein kompaktes Flachgebäude aus Holzständern und Leichtbeton sowie einem Metallrahmen ist, um den herum eine dämmende und schützende Außenhaut gespannt ist. Auf ausdrückliche Bitte der Stadt Stuttgart sei B10 sogar rund drei Jahre länger am Bruckmannweg gestanden als eigentlich geplant gewesen war, heißt es in einer Pressemitteilung, die im Auftrag des Büros Sobek am Montag herausgegeben wurde und den Abbau nachträglich vermeldete.

Eine zeitlang war auch im Gespräch, ob das Gebäude in Stuttgart bleiben könnte. Die Stadt war interessiert. Aus baurechtlichen Gründen war eine längere Standzeit am Bruckmannweg, das war immer klar, nicht möglich. Ein Ersatzstandort im Uni-Bereich in Vaihingen schien gefunden, doch letztlich habe sich die Sache aus preislichen Gründen zerschlagen, heißt es in kommunalpolitischen Kreisen. Im Rathaus sei man von den Folgekosten, die so nicht vereinbart waren, überrascht worden. Frank Heinlein aus dem Büro Sobek bringt es auf Anfrage auf den Nenner, die Stadt habe sich auch nicht im Stande gesehen, die Verlagerungs- und Wiederaufbaukosten zu tragen. Dass B10 dann gerade nach Hohenstein umzog, kam nicht von ungefähr: Dort hat die Firma Schwörer-Haus ihren Sitz, die das Gebäude B10 unentgeltlich gebaut hatte und es im Gegenzug für die Umzugskosten übernahm. „Wir hätten das Haus auch gern weiter in Stuttgart gesehen“, sagt Heinlein. Immerhin werde es nun erhalten und die dauerhafte Zerlegung und das Recycling seien vermieden.

Manche Stadträte hatten die Nützlichkeit bezweifelt

Der Architekt und Ingenieur Sobek wollte mit dem Pilotprojekt einen „grundlegend anderen Ansatz“ vorführen als jenen, alte und neue Gebäude in dickes Styropor zu verpacken, das später Sondermüll wird, und alte Gebäude mühsam auf nachhaltig zu trimmen. Er setzt auf nachwachsende und wiederverwertbare Materialien und neuartige Technik, wie intelligent gesteuerte Fotovoltaik-Kollektoren und einen Eistank im Garten, der als Pufferspeicher für Strom fungierte. Wenn Neubauten künftig wie B10 funktionieren würden, könnten sie die Altbauten mit Ökostrom mitversorgen, lautet Sobeks Ansatz. So wären diese Bauten ein Baustein für die Energiewende in den Städten.

Manche Stadträte beklagten allerdings eine Art von Denkfehler, als sie vor fünfeinhalb Jahren über den von Sobek präsentierten Plan diskutierten: Es ist ein Konzept für Neubauten, aber in Stuttgart gibt es wenig Platz für Neubauten. Doch viele Altbauten müssen dringend saniert werden, um den Ausstoß des Treibhausgases Kohlendioxid drastisch zu verringern. Auch außerhalb des Rathauses regte sich vereinzelt Kritik.

Künftig dient es wohl als Empfangsgebäude

Die Bilanz des Pilotprojekts, das vor allem in Fachmedien viel Aufmerksamkeit erregt hat, wird in der Pressemitteilung nicht erläutert. Auch nicht die Auswertung des energetischen Erfolgs, die das von Sobek geleitete Institut für Leichtbau, Entwerfen und Konstruieren der Universität Stuttgart übernommen hatte. Und unerwähnt blieb auch, wie die Rechnung beim Finanziellen aufging. Vom Aufbau bis zum Projektende waren im Jahr 2014 Gesamtkosten von 2,1 Millionen Euro veranschlagt. 1,77 Millionen Euro sollten mit Bundesmitteln für Projekte der Elektromobilität finanziert werden. Die Stadt stellte befristet gratis das Grundstück zur Verfügung.

Die Zukunft von B10 scheint inzwischen klar zu sein: Die Firma Schwörer setze das Gebäude wahrscheinlich als Empfangsgebäude ein, erklärte das Kommunikationsbüro Bering Kopal auf Anfrage.