Die Vordenker der Metalltarifparteien präsentieren ihr Abkommen in der Stuttgarter Liederhalle (von links): IG-Metall-Chef Jörg Hofmann, Bezirksleiter Roman Zitzelsberger, Südwestmetall-Chef Stefan Wolf und Gesamtmetall-Präsident Rainer Dulger. Foto: dpa

Der Tarifabschluss von IG Metall und Südwestmetall soll die Arbeitswelt verändern. Tatsächlich handelt es sich um ein hochkomplexes Werk, in dem einfache Lösungen an Widerständen beider Seiten gescheitert sind, meint Matthias Schiermeyer.

Stuttgart - Es sollte revolutionären Charakter haben, was sich die IG Metall auf die Fahnen geschrieben hatte: eine Renaissance der Arbeitszeitverkürzung, mehr Selbstbestimmung für alle je nach Lebenslage, Flexibilität nicht mehr nur für den Arbeitgeber. Nach dem Stuttgarter Pilotabschluss übertreffen sich die Unterhändler mit Superlativen – als hätten sie die Welt der Arbeitszeit zum Teil neu erfunden. Bei Lichte betrachtet erfüllt das Abkommen von Montagnacht die hohen Maßstäbe nur zum Teil. Als Ganzes kann es kaum beispielgebend sein für andere Branchen. Denn in Wahrheit handelt es sich um ein hochkomplexes Werk, das selbst den Mitgliedern schwer zu vermitteln sein wird.

Der Politik bei der Teilzeit Beine gemacht

So gibt es nun den von der IG Metall geforderten individuellen Anspruch auf eine 28-Stunden-Woche. Tatsächlich eröffnet er den Beschäftigten neue Perspektiven, wenngleich in engen betrieblichen Grenzen. Damit machen die Metaller der Politik Beine, denn auch die große Koalition hat sich ein befristetes Teilzeitrecht vorgenommen. Einem Teil der Beschäftigten wollte die IG Metall die Verkürzung mit einem Entgeltzuschuss erleichtern. Mehr Geld für weniger Arbeit – dieser Systemwechsel war den Arbeitgebern nicht zu vermitteln. In der Folge erdachte die Gewerkschaft ein diffiziles System mit tariflichem Zusatzgeld und Freistellungstagen, um ihrer Klientel doch etwas Gutes zu tun. Aber weder Schichtarbeiter noch Beschäftigte mit kleinen Kindern oder pflegebedürftigen Angehörigen werden – abgesehen von der Option, freie Tage statt Geld zu nehmen – besonders bevorzugt. Der Tarifabschluss ist vor allem deswegen so vielschichtig geraten, weil einleuchtende Wege aufgrund der Ablehnung der Gegenseite nicht möglich waren.

Mehr Geld für weniger Arbeit nicht zu vermitteln

Dass die Arbeitszeitforderung teilweise ins Leere gelaufen ist, hängt auch mit ihrer möglichen Rechtswidrigkeit zusammen. Dass die Arbeitgeber ihre Klagen gegen die Streiks aufrechterhalten, um diese Frage zu klären, ist fraglich. Wer will schon nach einem Tarifabschluss neuen Unfrieden stiften? Doch auch ohne Gerichtsurteil wurde die IG Metall vom Argument, sie diskriminiere und benachteilige alle anderen Teilzeitbeschäftigten, sichtlich ausgebremst. Es hat bei ihr zu mehreren Kurswechseln geführt und die Kompromissbereitschaft erhöht. Haben die Tarifstrategen um ihren Vorsitzenden Jörg Hofmann auf Sand gebaut? Das wäre neu.

Ein weiteres Beispiel für die übertriebene Komplexität sind die neuen Möglichkeiten der Unternehmen, das Arbeitszeitvolumen auszuweiten. Auch hier gilt: einfache Lösungen waren aufgrund ideologischer Einwände tabu. Also ersann man Umwege wie die Aufweichung der Arbeitszeitquoten, die den Anteil der 40-Stunden-Verträge im Betrieb begrenzen. Trotz der Widerspruchsrechte der Betriebsräte haben die Betriebe nun deutlich mehr Luft, Beschäftigte länger arbeiten zu lassen. Nicht zuletzt wegen des wachsenden Fachkräftemangels sind sie auf zusätzliche Flexibilität angewiesen. Die IG Metall verschleiert diese Realität im Tarifabschluss. Es fällt ihr immer schwerer, die 35-Stunden-Woche wie eine Monstranz vor sich herzutragen.

Gehälter werden hochgetrieben

So wacklig sie bei der Arbeitszeit agiert hat, so konsequent treibt sie die Industriegehälter hoch. Neben der Lohnstufe von 4,3 Prozent schlägt ja noch das tarifliche Zusatzgeld dauerhaft zu Buche – ergibt unterm Stich einen Zuwachs von gut sieben Prozent über gut zwei Jahre. Mit durchschnittlich 64 000 Euro im Jahr verdient ein Metallfacharbeiter schon das Doppelte eines Krankenpflegers. Immer mehr entfernen sich die Metaller vom Einkommensniveau im Dienstleistungsbereich – der ja, was industrielle Dienstleistungen angeht, bis in die Produktion der Metallbetriebe hinein reicht. Die Spaltung des Arbeitnehmerlagers schreitet voran.

Wie stark die Gewrkschaft trotz allem noch ist, lässt sich an den 24-Stunden-Streiks ermessen. Im Rückblick betrachtet, zeigt sich: Die IG Metall wollte diese Machtdemonstration unbedingt. Damit sollte diejenige Klientel befriedigt werden, die in Warnstreiks nur noch eine erstarrte Routine sieht. Wegen des hohen Mobilisierungseffekts wird sie es in künftigen Tarifrunden unter Ganztagesstreiks nicht mehr machen. So erhält der gewerkschaftliche Verteilungskampf einen neuen Schub. Wenn die eingeschobene Eskalationsstufe die Gefahr eines Arbeitskampfes mindert, dann erfüllt das Instrument seinen Zweck – wenn sie das Risiko steigert, hätte die IG Metall versagt.