Nur nicht provozieren lassen von dem merkwürdigen Gebaren mancher Sportsfreunde. Foto: dpa-Zentralbild

Philipp Winkler pumpt den Sound und Schmutz der Hooligan-Szene in seinen ersten Roman und landet damit auf Anhieb auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis.

Stuttgart - Ein Buch wie ein Faustschlag. Und gleich auf der Auswahlliste für den besten Roman des Jahres gelandet. Etwas benommen nimmt man den Erfolg von Philipp Winklers Fußballschläger-Debüt „Hool“ zur Kenntnis. Zur Zeit ist der Berliner Aufbau Verlag wohl die erste Adresse für junge wilde Talente, wie man im Jargon jener Sportart sagen könnte, dessen irrwitzige Parallelwelt der Absolvent der Hildesheimer Schreibschule ausleuchtet. Wie im Fußball üblich geht es auch hier um Spiele, allerdings solche, die am Rand des Feldes stattfinden.

Winkler wagt sich in die Gefahrenzone, die Fanprojekte und Sozialarbeiter vergeblich zu befrieden suchen, deren Gewaltexzesse man normalerweise aus sicherer Distanz kopfschüttelnd und angewidert zur Kenntnis nimmt, und der man sich wenn überhaupt aus der Perspektive kritischer Reportagen nähert – nicht in trauter Kumpanei mit einem der Akteure. Genau das aber ist hier der Fall. Noch bevor man weiß, was eigentlich gespielt wird, hat der Ich-Erzähler Heiko Kolbe den Leser in den Klammergriff genommen und in eine Fachsimpelei über den einzig wahren Zahnschutz verstrickt. Und schon hagelt es die ersten Hiebe.

Ein echter Fan legt Wert auf Tradition

Gewissermaßen aus der Ego-Shooter-Perspektive wird man wehrlos in die obskuren Gefühle verstrickt, die hier im Spiel sind: „als ob der Magen mit Helium gefüllt wäre und von unten gegen die Lungenflügel drückt“, wenn die Wut in die Fäuste schießt, bis der schwere, süßliche Geruch von austretendem Blut in der Luft liegt. Es ist eine reine Männerwelt, die der Roman entfaltet, eine Welt, in der Frauen nur als passive Heroinnymphen oder bürgerliche Spaßbremsen vorkommen, deren Part sich darauf beschränkt, wegen der ewigen Schlägereien „Mecker“ zu machen.

Bis auf den Erzähler, dem der Kampf zum alleinigen Lebensinhalt geworden ist, sind das „Jungs“ mit Berufen oder gar einem erfolgversprechenden Studium, die die Liebe zu ihrem Leib-und-Magen-Club Hannover 96 bewegt, rivalisierenden Anhängern in Leib und Magen zu treten. Ihre Exzesse folgen nicht immer streng beachteten Regeln, etwa der aufzuhören, wenn ein Gegner mit halbierter Lippe auf dem Boden liegt. Die Ehre geht ihnen über alles. „Ein echter Fußballfan legt Wert auf Traditionen, auf das Althergebrachte.“ Keiner soll mehr von Stuttgart, Frankfurt, Dresden, Magdeburg reden, ohne auch Hannover nennen zu müssen.

Selbst das Wetter haut es um

Der lokalpatriotischen Mission zum Trotz werden hier freilich nebenbei sämtliche Illusionen zerstört, bei Hannover könnte es sich um einen Hort der hochsprachlicher Reinheitskultur handeln: „Ich glaub, mir fliecht der Draht aus der Mütze“, „bölken“ sich die zärtlich „Fotzenköppe“ genannten „Spacken“ gegenseitig an, „er is‘ jetze Trainer bei’n Fußball hier“ – „wadde mal“, das soll Hochsprache sein?

Philipp Winkler pumpt den Sound und den Schmutz der Straße in seinen Text. Mucki-Buden, Spielotheken und abgeratzte Kneipen sind die bevorzugten Versammlungsorte, wo sich diese eigenartigen Sportsfreunde als Teil einer gemeinsamen Geschichte empfinden. Heikos Familie ist im Eimer, die Mutter geflohen, stattdessen sitzt eine Ersatzfrau aus Thailand dem Sohn auf der Pelle, der saufende Vater gibt Laute von sich, „als wäre sein Mund ein Arschloch“. Kein Wunder, dass Heiko Probleme hat, sich auszudrücken, dass er sich lieber mit den Fäusten artikuliert. Zwei Mal ist er durchs Abi gerasselt. Manchmal erschrickt er selbst, wie verschwindend kurz sein Geduldsfaden ist.

Bei einem Veranstalter illegaler Tierkämpfe ist er untergeschlüpft, unter Kampfhunden, dem verschissenen Geier Siegfried, später kommt noch ein räudiger Tiger dazu. Hier hetzt der wirkliche Bodensatz der Gesellschaft zum Vergnügen Braunbären und Pitbulls aufeinander. Selbst das atmosphärische Geschehen folgt der kämpferischen Bildwelt: „Die Hitze der Tage ist so schwer und drückend, dass sie nachts einfach zu Boden kracht und bis zum nächsten Morgen tot daliegt, nur um dann wieder so richtig loszulegen.“

Farbige Adjektive wie aus der Schreibschule

So weit, so wild. Aber man sollte sich von der martialischen Montur der Erzählung nicht einschüchtern lassen. Denn Philipp Winkler tut alles, um das entfesselte Geschehen wieder in geordnete identifikatorische Bahnen zu lenken. Unter der rauen Hülle seines Protagonisten schlägt ein zartes, verletztes Herz. Von „braunem Dünnschiss“ hält er sich fern, nähert sich „rechtem Gesocks“ höchstens im Nahkampf. Und so schlummert unter dem exotischen Dekor letztlich doch die schon vielfach erzählte coming of age Krise eines verhinderten Sohnes aus desolaten Verhältnissen, Mutter weg, Freundin stoned. Die einen verschlägt es aus Kummer wie bei Wolfgang Herrndorf in die Walachei, die anderen suchen Schutz unter dem Wimpel von Hannover 96.

Harte Schale, weicher Kern – als Sozialprognose mag das beruhigen, für die Literatur ist es eher eine Mogelpackung. Je aufdringlicher die Einfühlung das abstoßende Hooligan-Hobbie abfedert, desto mehr wirkt der fäkal-brutale Ausdrucksbombast Philipp Winklers wie die farbigen Adjektive aus der Schreibschule. Und wenn der Erzähler am Ende an der Seite eines befreiten Kampfhundes friedlich ins Offene braust, hat man das Gefühl, doch ein ziemlich gezähmtes Buch gelesen zu haben.