StN-Autor Nikolai B. Forstbauer im „Über Kunst“-Dialog mit Philipp Demandt Foto: Steffen Schmid

Näher dran an herausragenden Persönlichkeiten der Kunstszene: Die „Stuttgarter Nachrichten“-Reihe „Über Kunst“ macht es möglich: Jetzt begeisterte Frankfurts Schirn- und Städel-Chef Philipp Demandt das Publkum.

Stuttgart - Job – das ist ein Wort, das Philipp Demandt oft gebraucht, wenn er von den drei großen Frankfurter Kunstinstitutionen spricht, die er seit Oktober 2016 leitet: Kunsthalle Schirn, Städel-Museum und Liebighaus Skulpturensammlung. Immer schließt er dabei auch seine Mitarbeiter ein, bedient sich des Plurals. Seine Arbeit begreift er als Aufgabe, der er sich klar und unaufdringlich annimmt.

Kontiunität als zentrale Mission am Anfang

„Ich habe“, sagt Demandt im „Über Kunst“-Gespräch mit Nikolai B. Forstbauer, Titelautor unserer Zeitung, in der Staatsgalerie Stuttgart, „in Frankfurt ein gut bestelltes Feld übernommen. Die zentrale Mission am Anfang war für mich Kontinuität“. Und: „Grundsätzlich tut man eigentlich gut daran, erst einmal hinzuschauen und hinzuhören.“

So bedacht Philipp Demandt sich seiner Arbeit als Leiter von drei deutschen Kunstinstitutionen mit internationaler Ausstrahlung annahm, tritt er auch an die Kunst selbst heran. Geboren 1971 in Konstanz, wächst er in Berlin auf, studiert dort auch, arbeitet zunächst für die Kulturstiftung der Länder und übernimmt 2012 die Leitung der Alten Nationalgalerie Berlin.

Breites historisches Interesse

Ein Thema begleitet Demandt bis heute: Leben und Wirken der Luise von Mecklenburg-Strelitz, Königin von Preußen. Ausstellungen entstanden, eine umfassende Biografie der jung verstorbenen Königin zudem. „Mich hat fasziniert“, sagt Demandt, „wie die Kunst es geschafft hat, diese Frau zur populärsten Nationalikone des 19. Jahrhunderts zu machen.“ Der Luisenkult? Er ist für Demandt Spiegel einer weit verzweigten Kulturgeschichte des 19. Jahrhunderts – mit Nachwirkungen bis heute.

Die Geschichten hinter den Bildern

„Unser Job“, sagt er nun, „besteht eigentlich darin, nicht nur Bilder zu zeigen, sondern Geschichten zu erzählen, auch die Geschichten hinter den Bildern. Es gibt einen riesigen Schatz solcher Geschichten, die nur darauf waren, erzählt zu werden.“ Ein Kunsthistoriker sollte für Philipp Demandt deshalb immer auch ein guter Autor sein - „Alle meine Kuratoren“, sagt er, „können gut schreiben.“ Die Geschichten, die sie erzählen, handeln von Bildinhalten, Künstlern, ihren Biografien, den Schicksalen der Bilder, ihrer Restaurierung, auch von schwierigen Themen, von Kolonialismus und von der Debatte um die Herkunft der Werke.

Wenn Schakale zum Sinnbild einer Ehe werden

Und in diesen Geschichten tritt sie denn auch hervor, die eigene Handschrift Philipp Demandts. Auf der „Über Kunst“-Bühne im Vortragssaal der Staatsgalerie kommt das „Über Kunst“-Gespräch auf die Eröffnungsausstellung Demandts 2012 in der Alten Nationalgalerie. Die Schau gilt dem Schaffen des Tierbildhauer Rembrandt Bugatti – ein Wagnis. Doch Demandt schafft neue Erfahrungsräume. Auch im Nebeneinander von Skulptur und Malerei. Die ganze Trostlosigkeit von Claude Monets Ehebild „Im Wintergarten“, erzählt Demandt, habe sich einem Rezensenten erst erschlossen durch die beiden Schakale Rembrandt Bugattis, die während dieser Ausstellung vor dem Bild standen. „Wen man es schafft“, sagt Demandt, „solche Aspekte sowohl aus der Skulptur als auch aus der Malerei herauszuholen, dann ist das ein großer Mehrgewinn.“

Auch die Ausstellung zum Werk des südafrikanischen Objekt- und Medienkünstlers William Kentridge in der Skulpturensammlung des Liebieghauses, setzt diese Linie fort. Er sei, sagt Demandt, im Grunde kein Freund von Interventionen. „Aber im Bereich der Skulptur funktioniert das sehr gut, weil es am Ende immer um das Abbild des Menschen, das Abbild des Tieres geht. So entstehen sehr schnell interessante Dialogsituationen.“

Von Kunst-Superstars, die heute keiner mehr kennt

Auch in der Kunsthalle Schirn möchte Philipp Demandt seiner Linie weiter folgen. „Der König der Tiere“ ist der Titel einer Ausstellung, die sich dort im Herbst Wilhelm Kuhnert widmen wird, einem zwischen 1900 und 1910 äußerst erfolgreichen Maler. Befragt Demandt mit solchen Projekten den Kanon der Museen? „Ein Kanon“, sagt er, „ist ja nichts, das von jemand gemacht wurde, sondern eine historische Entwicklung, die nicht nur mit Qualität zu tun hat. Mich haben immer Künstler interessiert, die zu ihren Lebzeiten Superstars waren, die heute aber keiner mehr kennt. Oder aber Künstler, die auf dem Kunstmarkt unglaubliche Preise erzielten, von dem Museen jedoch völlig ignoriert werden.“

Ganz andere Fragen stellt „Power to the People“ die aktuelle Ausstellung der Schirn. „In der Schirn“, sagt Philipp Demandt, „denken wir immer auch seismographisch, machen Ausstellungen mit Themen, von denen wir glauben, dass sie in der Luft liegen.“ Wechselwirkungen zwischen Kunst und Gesellschaft sieht er unbedingt - „Power to the People“ thematisiert die Organisation demokratischer Staaten, auch die Oberflächlichkeit der digitalen Welt. „Man muss aber aufpassen“, sagt er, „dass man der Kunst nicht die Heilung der Welt zumutet, das kriegt sie nicht hin.“

Ausstellungen müssen „schirnig“ sein

Vor allem die Schirn erscheint Demandt bestens für Ausstellungen dieser Fragestellungen geeignet. „Als Kunsthalle“, sagt er, „besitzt sie sie keine eigene Sammlung. Dennoch hat sie es geschafft, eine ganz eigene DNA zu entwickeln.“ In seinem Team, erzählt er, habe sich ein Adjektiv dafür eingebürgert: „Schirnig“. Definieren möchte Demandt das Schirnige nicht - „Es ist mehr ein Gefühl. Aber im Bauch wissen wir alle, was das ist .“

Das Museum „bleibt ein höchst analoger Ort“

Zugleich ist die Schirn in den sozialen Netzwerken sehr präsent. Und wie sieht Philipp Demandt die digitale Vermittlungsarbeit in einer Ausstellung selbst? „Ein Museum“, sagt er, „wird immer ein höchst analoger Ort bleiben“. „Wir haben keine Besucher, die permanent aufs Handy starren.“ Er weiß um die Vorzüge der Technik, die Besuchern ein „begleitendes Programm an Informationen“ liefert – und wehrt sich nicht gegen das Handyfoto im Museum: „Jedes Foto aus dem Städel oder der Schirn, das danach im Netz umher geistert, ist ein gutes Bild.“

Der freie Eintritt ins Museum – dies bleibt ein Traum, den auch Philipp Demandt gerne träumt, über dem er die Wirklichkeit aber nicht vergisst: „Jede Ausstellung, die wir im Städel oder der Schirn machen“, sagt er, „bewegt sich im sechs- bis siebenstelligen Bereich. Wir machen 10 bis 15 Ausstellungen im Jahr.“ Entsprechend intensiv muss Demandt um Gelder für seine Häuser werben.

Große Identifikation der Stadtgesellschaft mit dem Städel

Hilft da die sprichwörtliche Identifikation der Frankfurter Stadtgesellschaft gerade mit der Schirn und dem Städel? Mit der Antwort sorgt Demandt für ein Raunen im Publikum: „Die Menschen in Frankfurt selbst und im gesamten Rhein-Main-Gebiet identifizieren sich sehr stark mit diesen Häusern, sie sind stolz auf ihr Städel und Schirn, auf ihr Städel und das Liebieghaus.“ Und so gelte in Frankfurt am Main, „in der Mitte Deutschlands“, weiter ein klares Motto: „Think big!“