Uwe Hück bildet den 17-jährigen Afghanen Hessam Ahmadi in der Pforzheimer Lernstiftung. Foto: Schiermeyer

Pforzheim ist eine AfD-Hochburg im Südwesten. Dies hat mit den vielen Nationalitäten, der Arbeitslosigkeit und Wunden der Vergangenheit zu tun. Doch es gibt politische engagierte Bürger, die sich vehement dagegen stemmen.

Pforzheim - Wenn Uwe Hück den Raum betritt, redet praktisch nur einer: er selbst. Ehrfürchtiges Schweigen ist das Echo, wenn er Hücksche Sätze sagt wie „Ihr braucht Fleiß und Disziplin – mit Wattebäuschchen kommt ihr nicht weiter.“ Junge Menschen, deren Leben aus dem Lot ist, brauchen Verlässlichkeit – strenge Lehrer sind ihnen die liebsten, da wissen sie, wie sie dran sind. Für die sozial benachteiligten Jugendlichen aus Pforzheim, Migranten zumeist, ist der Porsche-Betriebsratschef ein solcher Leader – ein Vorbild, mit dem sie Selfies machen wollen. Deshalb kommen sie in seine Lernstiftung an der Maximilianstraße. „Politik spielt hier keine Rolle“, schmettert er den 16- bis 21-Jährigen aus zehn Nationen bei der Unterrichtsvisite entgegen. Ihre Herkunft interessiere ihn nicht. „Ihr seid hier Pforzheimer!“

Auf 942 Quadratmetern eines ehemaligen Galvanikwerks hat Hück im Juni 2015 ein Bildungs- und Sportzentrum errichtet – die Lernstiftung ist die weniger bekannte Seite des schillernden Porsche-Selfmademans. Im Eingang prangt raumhoch ein Foto von Hück und einem seiner vielen Freunde: „Ihr könnte es alle schaffen. Euer Arnold Schwarzenegger“, steht handschriftlich darunter. In der ersten Etage zieht ein strenger Geruch über den roten Mattenboden – 20 Männer und zwei Frauen üben das Thaiboxen. Auch hier gibt Hück nicht nur den Ton an, hier macht er auch gleich vor, wie es geht. „Das Trikot schwitzt nicht von allein“, lautet eine seiner Parolen. Und das Trikot des früheren Europameisters schwitzt am stärksten, was auch damit zu tun hat, dass er sich auf den nächsten Schaukampf am 31. März in Kapstadt vorbereitet.

Jeden Montag und Freitag trainiert der Ex-Champion mit seinen Jungs

Jeden Montag und Freitag trainiert der Ex-Champion mit seinen Jungs. Da fliegen Fäuste und Füße gleichermaßen. Einer der eifrigsten Schüler ist Hessam Ahmadi. Der 17-jährige Afghane aus der Region Baghlan ist seit Oktober 2015 in Pforzheim. Der Vater hatte ihn losgeschickt. Zehn Länder hat er durchquert. Nächstes Jahr will er seinen Hauptschulabschluss machen und möglichst Mechaniker werden. Doch wie sein Asylantrag beschieden wird, weiß er nicht.

Obwohl Politik in dem alten Fabrikgebäude keine Rolle spielen soll, ist das Integrationsprojekt ein hochpolitisches Unterfangen – ein Bollwerk gegen den um sich greifenden Nationalismus in einer Stadt, in der die AfD mit 24,2 Prozent bei der Landtagswahl eines von zwei Direktmandaten geholt hat und die seit jeher ein Problem mit den Rechten hat.

Pforzheim ist vom Strukturwandel gebeutelt

Fast 49 Prozent der 123 600 Einwohner haben einen Migrationshintergrund – knapp jeder Vierte ist ein Ausländer. 135 Nationalitäten sind hier vereint. „Bunt macht die Stadt erst interessant“, versichert Hück. Die Kriminalität verbreitet hier nicht mehr Schrecken als anderswo. Doch ist es den Rechtspopulisten gelungen, Furcht vor den Flüchtlingen zu verbreiten, weil sie den Einheimischen angeblich Arbeit und Wohnraum nehmen. Pforzheim ist vom Strukturwandel gebeutelt, hat mit 6,8 Prozent die höchste Arbeitslosenquote in Baden-Württemberg – daher fällt die Angstmacherei auf fruchtbaren Boden.

Der Porsche-Mann will ein „Menschenfänger“ sein. Der AfD-Erfolg lehre ihn, mehr zu den Menschen gehen, indem man ihre Sorgen ernst nehme. „Diese Botschaft habe ich verstanden“, sagt Hück. „Wir können den AfD-Anhang nur dezimieren, indem wir vor Ort aktiv werden.“ Augenhöhe sei das Wichtigste. „Also runter von der Kanzel – wir sind zu oft da oben.“

„Da gibt es für mich kein Wegducken“, sagt der IG-Metall-Mann

Den Menschen ihre Bedenken nehmen will auch Martin Kunzmann. Der Pforzheimer IG-Metall-Bevollmächtigte, jüngst zum Landesvorsitzenden des Gewerkschaftsbundes gewählt, kennt wie kein anderer die Stimmung in den Unternehmen – und hat miterlebt, als diese gegen die Flüchtlinge gekippt ist. Er weiß, dass kaum ein Beschäftigter in Betriebsversammlungen offen gegen Asylbewerber redet, denn das fremdenfeindliche Geraune findet am Vespertisch oder in der Ecke statt, wie Betriebsräte schildern. Sprüche wie „Jetzt gehören die Öfen wieder angefackelt“ sollen da schon gefallen sein. Und wenn ein Betrieb 30 Flüchtlinge in die Kantine einlädt, gehe ein Rumoren durch die Reihen, berichtet ein Geschäftsführer.

„Richtig erschüttert“ hat Kunzmann das Landtagswahlergebnis, auch weil die AfD beim Gewerkschaftsanhang mehr gepunktet hat als insgesamt. Was haben IG Metall & Co. falsch gemacht? Darüber rätselt er wie viele andere, hält aber dagegen: „Da gibt es für mich kein Wegducken“, sagt er. „In dem Moment, wo wir uns von den Rechtspopulisten vor sich hertreiben lassen, gewinnen die – nicht wir.“ Er mahnt die Beschäftigten in den Betrieben, an der Wahlurne ihren Kopf einzuschalten statt nur auf den Bauch zu hören. Prompt wird gemurrt: Man wolle sich die Wahl einer Partei nicht vorschreiben lassen. An die 40 Mitglieder hat die IG Metall Pforzheim im vorigen Jahr deswegen verloren.

Ein stadtbekannter Rechtspopulist will sich als bei der OB-Wahl aufstellen lassen

Betriebspolitisch ist die AfD bisher noch nicht in die Offensive gegangen. „Wir beobachten das“, sagt Kunzmann mit Blick auf die Betriebsratswahlen 2018. Es sei nicht auszuschließen, dass die Rechtspopulisten dann eigene Listen aufstellen. Mit einigen Arbeitgebern bildet er eine heimliche Allianz. Zwar kommen nur wenige Unternehmen aus der Deckung, weil sie die Politik aus dem Betrieb heraushalten wollen. Doch herrscht in den Chefetagen eine Genugtuung darüber, dass die IG Metall für Respekt vor anderen Nationalitäten eintritt.

Die Firma Witzenmann, mit 1600 Beschäftigten größter Metallbetrieb der Region, hat wie wenige andere Betriebe schon Flüchtlinge eingestellt. Das liberal geprägte Unternehmen hat allerdings auch ein Spezialproblem, denn dort arbeitet ein stadtbekannter Rechtspopulist mit Nähe zur AfD, Initiator einer Bürgerwehr und bald wohl Bewerber für die Oberbürgermeisterwahlen am 7. Mai. Vor einem Jahr rief er zur Kundgebung gegen „verschwiegene Gewalt“ auf, zu der 500 Menschen kamen. Die Betriebsleitung von Witzenmann beäugt den Mann skeptisch, doch solange er intern nicht offen für die AfD wirbt, kann man ihm nichts anhaben. „Die Blöße gibt er sich nicht“, sagt Kunzmann. Auch kann die IG Metall dem Rechtspopulisten nicht einfach ein Ausschlussverfahren anhängen – wenngleich der IG-Metaller Hück sagt: „Wenn es nach mir gegangen wäre, wäre der schon längst aus der IG Metall geflogen.“ Einen Gerichtsprozess hätte er in Kauf genommen.

Die Spätaussiedler fühlen sich zum Teil deutscher als die Deutschen

Der Stadtteil Buckenberg/Haidach, wo der rechte Quergeist so gut ankommt, ist die Hochburg der Russlanddeutschen – weil er selbst einer ist. Von den knapp 8500 Bewohnern haben fast 5600 Menschen einen Migrationshintergrund. Wegen der hohen Zahl an Spätaussiedlern hat die AfD bei der Landtagswahl hier 43 Prozent der Wähler auf sich vereint. Noch Mitte der neunziger Jahre war das ein Brennpunktstadtteil. Wer dort oben eine Party veranstaltet hat, musste mit einem Überfall rechnen. „Da ist niemand freiwillig hochgefahren“, erinnert Renate Schöler, die dort sieben Jahre als Streetworkerin gearbeitet hat und nun ehrenamtlich als Hücks rechte Hand in der Lernstiftung tätig ist. Heute gehört Heidach zu den sicheren Stadtteilen. Die Bewohner sorgen selbst für Ruhe.

Die Spätaussiedler haben sich seit den siebziger Jahren voll integriert, fühlen sich zum Teil deutscher als die Deutschen und müssen nun aber erkennen, dass auf dem Haidach wieder Russisch gesprochen wird. „Die Alt-Russlanddeutschen sind total entsetzt, was da im Moment abgeht“, schildert Kunzmann. Putin ist der Held bei den Jüngeren, in dem russischen Präsidenten sehen sie die Führerpersönlichkeit. Die von Moskau gesteuerten Propagandakanäle erfüllen ihren Zweck.

Im Regal stehen viele hundert Wodka-Flaschen Spalier

Zentrum des Plattenbauensembles ist der „Mix Markt“. „Wir sprechen Russisch“, wirbt eine Autolackiererei am Eingang, der in die öde Betonschlucht der vielstöckigen Wohnsilos mündet. Ein Schmuckverkäufer und ein Grabsteinhersteller werben gleich ausschließlich in kyrillischer Schrift. Auch das Angebot im Markt selbst ist zweisprachig gehalten – es gibt gleichermaßen russische wie deutsche Produkte zu kaufen. Mit Original-Aufschrift. Die Wurzeln der Mitarbeiter liegen unverkennbar östlich Europas. Der Prospekt des Marktes verspricht eine Flasche Wodka bei einem Einkauf ab 70 Euro. Im zwei Meter hohen und gut fünf Meter breiten Regal stehen viele hundert Wodka-Flaschen Spalier – es dürfte die größte Auswahl in Süddeutschland sein. Auf dem Plakat an der Außenwand propagiert der windige Finanzjongleur Carsten Maschmeyer für „Reich werden ohne Zinsen“. „Klein Moskau“ wird das Areal im Volksmund genannt.

Uwe Hücks Offensivgeist wird auch hier oben benötigt. Der Porsche-Mann wurde Vorsitzender beim FSV Buckenberg, als sonst niemand mehr den Job hat machen wollte. Nun hat er Stabilität in den Verein gebracht. Weil die Russen den Kampfsport lieben, fühlt er sich hier oben respektiert. Sein FSV ist in Pforzheim einer der wenigen Vereine mit Herz für fremde Wurzeln. Dass die Russlanddeutschen den Flüchtlingen so reserviert gegenüberstehen, sieht Hück kritisch: „Die haben vergessen, dass sie selbst mal Flüchtlinge waren“, sagt er.

Am 23. Februar gibt es Demonstrationen gegen die Fackelmahnwache

Wer gegen andere Nationalitäten oder Religionen agitiere, müsse mit seinem Widerstand rechnen, betont der Porsche-Mann. Das gilt auch für Martin Kunzmann, der am Donnerstag nächster Woche einen Demonstrationszug gegen die Fackelmahnwache auf dem Wartberg anführen will. Dort instrumentalisiert die rechtsextreme Szene des Landes das Gedenken an die Zerstörung Pforzheims alljährlich für ihre Zwecke. Meist läuft das so ab, dass weniger als hundert Rechte vom „Freundeskreis Ein Herz für Deutschland“ (FHD) vom Ordnungsamt hochgekarrt werden und die drei- bis vierfache Zahl von Gegnern ihnen heimzuleuchten versucht. Dazwischen stehen dann 900 oder mehr Polizisten, um Ausschreitungen zu verhindern.

Der 22-minütige Bombenhagel der alliierten Kampfjets auf Pforzheim am 23. Februar 1945, bei dem bis zu 17 600 Menschen starben, prägt bis heute die Stadt. Er hat eine Wunde gerissen, die seither nie richtig verheilt ist. Die evangelische Dekanin Christiane Quincke hält Pforzheim für traumatisiert und nicht versöhnt mit der eigenen Geschichte – „solange die Stadt die Schattenseiten ihrer Geschichte nicht anschaut“. Das was vor dem Tag der Zerstörung passiert sei, während der Nazizeit, „wird vielfach ausgeblendet“, moniert sie. Pforzheim habe „keine unschuldige Geschichte“.

Die Dekanin scheut keine politische Rede von der Kanzel

Wohl auch deshalb wird immer neu über die angemessene Form des Erinnerns gerungen. Zwar gibt es erneut ein Gedenken auf dem Marktplatz, mit OB-Ansprache, Lichtermeer und Glockengeläut. Doch die Kirchenfrau ist damit nicht zufrieden: „Wir haben das Problem mit den Rechten in der Mitte der Stadt“, sagt sie, die auch von der Kanzel keine politische Rede scheut und daher von Andersdenkenden gerügt wird. Deswegen schwebe ihr vor, dass alle im Zentrum zusammenkommen und zeigen: Erwünscht sei ein Miteinander der Religionen – das Gesellschaftsmodell der AfD werde abgelehnt. „Da sollten mal 5000 statt 400 Leute ein Zeichen setzen“, fordert die Dekanin eine konzertierte Aktion aller demokratischen Kräfte zumal im Jahr des 250-jährigen Jubiläums der Pforzheimer Schmuck- und Uhrenindustrie. Ein großes gesellschaftliches Bündnis strebt auch der DGB an. Die „Mauern zwischen den demokratischen Parteien“ will Kunzmann „einreißen“. Und Quincke mahnt: „Die Stadt braucht das Signal, dass wir uns nicht gegenseitig aufhetzen lassen – da sehe ich wegen der vielen Migranten die große Gefahr.“