Ralf Fuhrmann war in Pforzheim im Gemeinderat und im kirchlichen Leben stark engagiert. Foto: Alessandro Smarazzo

Ralf Fuhrmann war in Pforzheim überaus beliebt, weil er sich stark für das Gemeinwesen engagierte und weil er ein großer Menschenfreund war. Mit 57 Jahren ist er nach einer Coronainfektion verstorben.

Pforzheim - Als Ralf Fuhrmann vor mehr als 30 Jahren an einem regnerischen Tag das erste Mal nach Pforzheim kam, um dort als junger Arzt am Krankenhaus zu arbeiten, sagte er am Abend: „In dieser Stadt bleibe ich ein Jahr und keinen Tag länger.“ Doch Fuhrmann, der am 19. November 2020 mit 57 Jahren an einer Covid-19-Erkrankung verstorben ist, blieb nicht nur bis zu seinem Tod in Pforzheim, sondern machte die Stadt zu seiner geliebten Heimat und wurde dort zu einer lokal bekannten und vor allem sehr beliebten Persönlichkeit. Die SPD-Bundestagsabgeordnete Katja Mast sprach aus, was viele dachten: „Ralf Fuhrmann hat die Stadt mit seiner ganzen Persönlichkeit geprägt. Er hat Maßstäbe gesetzt.“ An jenem Freitagabend, als der Tod Ralf Fuhrmanns bekannt wurde, konnte man zusehen, wie in den sozialen Medien immer mehr Pforzheimer einen schwarzen Trauerrand an ihren Auftritt hefteten.

Diese Beliebtheit Ralf Fuhrmanns speiste sich aus drei Quellen: aus seiner unkonventionellen Art, als Arzt tätig zu sein; aus seinem vielfältigen politischen und kirchlichem Engagement; und wahrscheinlich am wichtigsten, aus seinem ehrlichen, bodenständigen und humorvollen Charakter.

Aktiv auch gegen rechte Umtriebe in Pforzheim

Seit 1998 betrieb Ralf Fuhrmann, der in Rastatt aufgewachsen war und in Heidelberg Medizin studiert hatte, in der Pforzheimer Nordstadt eine Hausarztpraxis. Niemals habe er einen Patienten getadelt, wenn dessen Lebenswandel der Gesundheit abträglich war, erzählt der Ehemann Timur Fuhrmann-Piontek, der nebenbei gesagt der Neffe des legendären Fußballtrainers Sepp Piontek ist. Manchmal hätten sich Patienten sogar gewundert, dass Fuhrmann sie nicht auf ihr Übergewicht ansprach. Dann lachte Fuhrmann und zeigte auf sich selbst – seine Leibesfülle war unübersehbar. Er nahm es selbst mit Humor. Bei einer Demo von Rechtsextremen verdeckte er einmal mit seinem Körper ein Plakat und sagte: „Zum Glück habe ich so ein breites Kreuz.“

Während der 16 Jahre als SPD-Stadtrat, davon viele Jahre auch als Fraktionsvorsitzender, wurde Ralf Fuhrmann dafür geschätzt, einen respektvollen Umgang mit allen Mitgliedern im Gemeinderat zu pflegen. Fuhrmann war ein Moderator, der angespannte Situationen durch einen Scherz entkrampfen konnte. „Er sah immer den Menschen hinter einem Konflikt. An ihm ist auch ein Theologe verloren gegangen“, so der Gatte. An der Christuskirche hatte er zudem lange das Amt des Vorsitzenden des Ältestenkreises inne – der Glaube war ihm wichtig, der Glaube trug ihn und motivierte ihn. Und er war stark engagiert in der Aids-Hilfe und kümmerte sich als einziger Arzt in Pforzheim um die HIV-infizierten Menschen; auch Monate nach seinem Tod gibt es noch keine Nachfolge für ihn. Auf sich selbst habe er leider nicht so sehr geachtet, sagt Timur Fuhrmann-Piontek über seinen Mann – es seien immer so viele Termine gewesen, der Stress sei oft sehr groß gewesen. „Das hat an seiner Gesundheit gezehrt.“

Aus seiner Homosexualität machte er keinen Hehl

Wenn Ralf Fuhrmann – wegen der vielen Termine wie so oft deutlich verspätet – zu einem privaten Treffen kam, dann hörten ihn alle, bevor man ihn sah: Schon am Eingang plauderte er mit dem Wirt oder einem Gast, und sein Lachen flog vor ihm her durch das Lokal. Er war beliebt, weil er sich selbst nicht zu ernst nahm, weil er sozial im besten Sinne des Wortes war, weil man sich auf ihn verlassen konnte. Und weil er Menschen berühren konnte: „Nach zwei, drei Sätzen war man von seiner Persönlichkeit gefangen“, meint Timur Fuhrmann-Piontek. Uwe Dürigen, der Verwaltungsdirektor des Pforzheimer Stadttheaters, fasste Fuhrmanns Charakter in diese Worte: „Er war ein fürsorglicher Freund, menschlich und politisch. Er fehlt uns schon jetzt.“

Dass er schwul war, daraus hatte Ralf Fuhrmann in seinem Freundeskreis nie einen Hehl gemacht. Öffentlich bekannt wurde es aber erst im Mai 2015, als er seinen Partner Timur Piontek, den er damals schon sechs Jahre kannte, heiratete. Und zwar standesamtlich wie kirchlich, was ihm sehr wichtig war. Diese Verpartnerung hatte in der evangelischen Landeskirche in Baden ein mittelstarkes Beben zur Folge gehabt: Da die Zeremonie wegen der 200 Gäste nicht wie damals noch vorgeschrieben in der Sakristei, sondern in der Kirche stattfand, und da die Pfarrerin die aus kirchlicher Sicht noch unerlaubten Worte „Heirat“ und „Ehe“ verwendete, protestierten zwei Dutzend Pfarrer beim Bischof. Timur Fuhrmann-Piontek ist sich sicher, dass ihre Trauung zu einer liberaleren Haltung der Kirche beigetragen hat: „Darauf dürfen wir ein wenig stolz sein.“

Der Lebenspartner hatte noch keine Zeit zu trauern

Er selbst hat noch gar nicht richtig Zeit gefunden, um zu trauern. Als Vorsitzender der Aids-Hilfe Pforzheim sucht er gerade fieberhaft nach einem neuen Arzt. Und er steht gemeinsam mit Fuhrmanns Bruder vor dem Problem, dass er bis Ende März einen Nachfolger für die Praxis finden muss, sonst kann er die Gehälter und die Miete nicht mehr bezahlen; den fünf Angestellten musste er vorsorglich schon kündigen. So langsam spürt er aber, wie ihm die Kraft ausgeht: „Gerade jetzt könnte ich Ralf gut gebrauchen. Er war immer an meiner Seite, nur deshalb habe ich so vieles geschafft.“

Die Pandemie hatte für das Ehepaar Fuhrmann zunächst sogar einen positiven Effekt gehabt. Im ersten Lockdown im Frühjahr 2020 fielen viele Termine aus, und deshalb hatte das Paar, das sich sonst an vielen Tagen nur kurz sah, viel Zeit füreinander gehabt: „Wir haben diese gemeinsame Zeit sehr genossen“, erzählt Timur Fuhrmann-Piontek. Wo sich sein Mann dann im Oktober angesteckt hat, weiß man nicht genau, und er möchte es auch gar nicht wissen – was würde man mit dieser Information anfangen?

Eine letzte Begegnung in der Heidelberger Klinik

Er infizierte sich kurz nach Ralf Fuhrmann auch selbst, aber durch die Sorge über den Zustand seines Mannes nahm er die eigene Erkrankung kaum wahr. Nur die zehn Tage in Quarantäne, als Ralf Fuhrmann schon im Krankenhaus lag und er ohnmächtig zuhause eingeschlossen war, hätten ihn fast wahnsinnig gemacht: „Wie ein Tiger im Käfig habe ich immer wieder unseren Teppich im Wohnzimmer umrundet.“

Da Ralf Fuhrmann immer schlechter atmete, wurde er nach Heidelberg gebracht; zu dieser Zeit hatten ihn die Ärzte bereits in ein künstliches Koma gelegt. Als es zu Ende ging, durfte Timur Fuhrmann-Piontek seinen Mann ein Mal auf der Intensivstation besuchen. Er habe große Angst davor gehabt, gesteht er ein; aber er sei unendlich froh, es getan zu haben. Sein Mann habe sehr friedlich ausgesehen; er habe sich bei ihm für alles bedankt, was er ihm Gutes getan habe; und eine Seelsorgerin habe sie nochmals gesegnet. Als er im Krankenzimmer angekommen war, sei Ralf Fuhrmanns Blutdruck gefährlich niedrig gewesen, doch nach den gemeinsamen Stunden habe sich dieser fast auf einem normalen Niveau stabilisiert. „Ich weiß, dass er gespürt hat, dass ich da war.“ Er selbst habe daraufhin besser loslassen können. Am Tag darauf starb Ralf Fuhrmann.

Der Partner möchte auf jeden Fall in Pforzheim bleiben

Seither sei er öfters gefragt worden, erzählt Timur Fuhrmann-Piontek, ob er jetzt eigentlich wieder nach Berlin zurückziehe, wo er früher gelebt hatte. Das verneint er heftig. Die vielen gemeinsamen Freunde, die jetzt sehr zu ihm gestanden hätten, seien ihm sehr wichtig. Und auch er habe Pforzheim schätzen gelernt als eine lebenswerte Stadt.

Im Übrigen ist die Grabstätte Ralf Fuhrmanns auf dem Hauptfriedhof Pforzheim ein Doppelgrab. „Irgendwann möchte ich dort neben ihm liegen“, sagt Timur Fuhrmann-Piontek. Aber jetzt möchte er wieder anfangen, ins Leben zurückzufinden. Er weiß, auch Ralf hätte das so gewollt.